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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Lehrertragödien

Mittelamerika, wo auf dem Vorhang geschrieben stand: Man bittet auf auf die
Schauspieler nicht zu schießen; die Leute tun, was sie können.' Ähnlich
denke ich mir auch das Katheder der Zukunft mit einem Plakate beklebt: Man
bittet sich wegen schlechter Zensuren nicht gleich zu erschießen; der Lehrer tut,
was er muß.' Ich setze voraus, daß die besseren Schüler von Quarta ab dann
in ihren Ranzen und Federkasten Browningpistolen oder Flaschen mit Rattengift
tragen; die ärmeren begnügen sich mit einer Wäscheleine oder einem alten
Dolchmesser; und die ganz mittellosen erscheinen in: Badekostüm, nur ihre Vor¬
liebe für tiefes Wasser zu veranschaulichen..."

"Lassen Sie doch die Witze," wehrte der Professor griesgrämig ab; "da¬
durch wird die Sache nicht besser."

"Die Sache ist im Gegenteil sehr ernst," widersprach der Oberlehrer, ohne
eine Miene zu verziehen. "Denken Sie doch nur, was soll man bei solch einem
Auditorium anfangen? Tadelt man einen, sofort knackt der Hahn eines Revolvers
in der Hosentasche, oder ein Dolch blitzt aus der Scheide. Man muß also flugs
die 2 oder 3 in eine 7 oder 8 verwandeln und auch die größten Faulpelze
versetzen. Die bedingte Versetzung, wie wir sie heutzutage haben, wäre bereits
eine Kränkung, ein ^timonium pauportati8, das der ehrliebende Schüler nicht
ertragen kann. Im Kadettenkorps gibt's etwas ähnliches: da empfiehlt man
solche, die zweimal durchs Examen geplumpst sind, aber verdienstvolle Väter oder
Onkels haben, der Gnade des Kaisers; aber auch das ist verletzend; auf Recht
pocht das junge Geschlecht, nicht auf Gnade; auf das Recht, versetzt zu werden
und sich in voller Freiheit auszuleben. Wie das beides zu vereinen ist, darüber
mögen Eltern und Lehrer sich gemeinsam die Köpfe zerbrechen."

Der Professor nickte abermals sorgenvoll; doch er schien sich dem trocknen
Witz seines Kollegen schon minder zu verschließen und unterbrach ihn nicht.

"Wissen Sie," fuhr dieser nach einem starken Schluck Bier fort, als käme
er jetzt erst mit der Hauptsache heraus, "wissen Sie, was ich neulich gerräumt
habe? Es war allerdings wirres Zeug; das kam von unserm Festkommers
neulich Abend; manchmal wird man ja wieder jung und kneipt wie ein Student...
Überdies hatte ich mich an dein Nachmittag geärgert. Ein Vater hatte mir den
fälligen Besuch gemacht, um sich nach seinen: faulen Söhnchen zu erkundigen,
und wir hatten uns mit bedauerndem Achselzucken getrennt. Nachher war mir
der Junge noch selbst auf die Bude gerückt und frech geworden, so daß ich ihn
dem Direktor anzeigen mußte... Na, Sie kennen das ja besser als ich . . .
Kurzum, ich ersäufte meinen Ärger in edlem Gerstensaft, wahrscheinlich mehr
als genug; denn in der Nacht träumte ich. der Vater besuchte mich nochmals.
Es war aber alles so auf den Kopf gestellt wie in der schönen Zukunft, von
der wir sprachen. Ich muß Ihnen das erzählen.

"Statt traurig und kleinlaut, erschien der Vater bei mir mit verstörter
Miene und schrie mich sofort an: .Um Gottes willen. Herr Doktor, wenn Sre
den Karl nicht versetzen, schießt er sich tot. Ich las es heut in seinen: Tage-


Lehrertragödien

Mittelamerika, wo auf dem Vorhang geschrieben stand: Man bittet auf auf die
Schauspieler nicht zu schießen; die Leute tun, was sie können.' Ähnlich
denke ich mir auch das Katheder der Zukunft mit einem Plakate beklebt: Man
bittet sich wegen schlechter Zensuren nicht gleich zu erschießen; der Lehrer tut,
was er muß.' Ich setze voraus, daß die besseren Schüler von Quarta ab dann
in ihren Ranzen und Federkasten Browningpistolen oder Flaschen mit Rattengift
tragen; die ärmeren begnügen sich mit einer Wäscheleine oder einem alten
Dolchmesser; und die ganz mittellosen erscheinen in: Badekostüm, nur ihre Vor¬
liebe für tiefes Wasser zu veranschaulichen..."

„Lassen Sie doch die Witze," wehrte der Professor griesgrämig ab; „da¬
durch wird die Sache nicht besser."

„Die Sache ist im Gegenteil sehr ernst," widersprach der Oberlehrer, ohne
eine Miene zu verziehen. „Denken Sie doch nur, was soll man bei solch einem
Auditorium anfangen? Tadelt man einen, sofort knackt der Hahn eines Revolvers
in der Hosentasche, oder ein Dolch blitzt aus der Scheide. Man muß also flugs
die 2 oder 3 in eine 7 oder 8 verwandeln und auch die größten Faulpelze
versetzen. Die bedingte Versetzung, wie wir sie heutzutage haben, wäre bereits
eine Kränkung, ein ^timonium pauportati8, das der ehrliebende Schüler nicht
ertragen kann. Im Kadettenkorps gibt's etwas ähnliches: da empfiehlt man
solche, die zweimal durchs Examen geplumpst sind, aber verdienstvolle Väter oder
Onkels haben, der Gnade des Kaisers; aber auch das ist verletzend; auf Recht
pocht das junge Geschlecht, nicht auf Gnade; auf das Recht, versetzt zu werden
und sich in voller Freiheit auszuleben. Wie das beides zu vereinen ist, darüber
mögen Eltern und Lehrer sich gemeinsam die Köpfe zerbrechen."

Der Professor nickte abermals sorgenvoll; doch er schien sich dem trocknen
Witz seines Kollegen schon minder zu verschließen und unterbrach ihn nicht.

„Wissen Sie," fuhr dieser nach einem starken Schluck Bier fort, als käme
er jetzt erst mit der Hauptsache heraus, „wissen Sie, was ich neulich gerräumt
habe? Es war allerdings wirres Zeug; das kam von unserm Festkommers
neulich Abend; manchmal wird man ja wieder jung und kneipt wie ein Student...
Überdies hatte ich mich an dein Nachmittag geärgert. Ein Vater hatte mir den
fälligen Besuch gemacht, um sich nach seinen: faulen Söhnchen zu erkundigen,
und wir hatten uns mit bedauerndem Achselzucken getrennt. Nachher war mir
der Junge noch selbst auf die Bude gerückt und frech geworden, so daß ich ihn
dem Direktor anzeigen mußte... Na, Sie kennen das ja besser als ich . . .
Kurzum, ich ersäufte meinen Ärger in edlem Gerstensaft, wahrscheinlich mehr
als genug; denn in der Nacht träumte ich. der Vater besuchte mich nochmals.
Es war aber alles so auf den Kopf gestellt wie in der schönen Zukunft, von
der wir sprachen. Ich muß Ihnen das erzählen.

„Statt traurig und kleinlaut, erschien der Vater bei mir mit verstörter
Miene und schrie mich sofort an: .Um Gottes willen. Herr Doktor, wenn Sre
den Karl nicht versetzen, schießt er sich tot. Ich las es heut in seinen: Tage-


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[0123] Lehrertragödien Mittelamerika, wo auf dem Vorhang geschrieben stand: Man bittet auf auf die Schauspieler nicht zu schießen; die Leute tun, was sie können.' Ähnlich denke ich mir auch das Katheder der Zukunft mit einem Plakate beklebt: Man bittet sich wegen schlechter Zensuren nicht gleich zu erschießen; der Lehrer tut, was er muß.' Ich setze voraus, daß die besseren Schüler von Quarta ab dann in ihren Ranzen und Federkasten Browningpistolen oder Flaschen mit Rattengift tragen; die ärmeren begnügen sich mit einer Wäscheleine oder einem alten Dolchmesser; und die ganz mittellosen erscheinen in: Badekostüm, nur ihre Vor¬ liebe für tiefes Wasser zu veranschaulichen..." „Lassen Sie doch die Witze," wehrte der Professor griesgrämig ab; „da¬ durch wird die Sache nicht besser." „Die Sache ist im Gegenteil sehr ernst," widersprach der Oberlehrer, ohne eine Miene zu verziehen. „Denken Sie doch nur, was soll man bei solch einem Auditorium anfangen? Tadelt man einen, sofort knackt der Hahn eines Revolvers in der Hosentasche, oder ein Dolch blitzt aus der Scheide. Man muß also flugs die 2 oder 3 in eine 7 oder 8 verwandeln und auch die größten Faulpelze versetzen. Die bedingte Versetzung, wie wir sie heutzutage haben, wäre bereits eine Kränkung, ein ^timonium pauportati8, das der ehrliebende Schüler nicht ertragen kann. Im Kadettenkorps gibt's etwas ähnliches: da empfiehlt man solche, die zweimal durchs Examen geplumpst sind, aber verdienstvolle Väter oder Onkels haben, der Gnade des Kaisers; aber auch das ist verletzend; auf Recht pocht das junge Geschlecht, nicht auf Gnade; auf das Recht, versetzt zu werden und sich in voller Freiheit auszuleben. Wie das beides zu vereinen ist, darüber mögen Eltern und Lehrer sich gemeinsam die Köpfe zerbrechen." Der Professor nickte abermals sorgenvoll; doch er schien sich dem trocknen Witz seines Kollegen schon minder zu verschließen und unterbrach ihn nicht. „Wissen Sie," fuhr dieser nach einem starken Schluck Bier fort, als käme er jetzt erst mit der Hauptsache heraus, „wissen Sie, was ich neulich gerräumt habe? Es war allerdings wirres Zeug; das kam von unserm Festkommers neulich Abend; manchmal wird man ja wieder jung und kneipt wie ein Student... Überdies hatte ich mich an dein Nachmittag geärgert. Ein Vater hatte mir den fälligen Besuch gemacht, um sich nach seinen: faulen Söhnchen zu erkundigen, und wir hatten uns mit bedauerndem Achselzucken getrennt. Nachher war mir der Junge noch selbst auf die Bude gerückt und frech geworden, so daß ich ihn dem Direktor anzeigen mußte... Na, Sie kennen das ja besser als ich . . . Kurzum, ich ersäufte meinen Ärger in edlem Gerstensaft, wahrscheinlich mehr als genug; denn in der Nacht träumte ich. der Vater besuchte mich nochmals. Es war aber alles so auf den Kopf gestellt wie in der schönen Zukunft, von der wir sprachen. Ich muß Ihnen das erzählen. „Statt traurig und kleinlaut, erschien der Vater bei mir mit verstörter Miene und schrie mich sofort an: .Um Gottes willen. Herr Doktor, wenn Sre den Karl nicht versetzen, schießt er sich tot. Ich las es heut in seinen: Tage-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/123>, abgerufen am 22.12.2024.