Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Berliner Schauspielhaus

Dabei lehrte jedesmal die Erfahrung, daß es gar keiner besonderen
Anstrengung bedarf. Niemand hat es so leicht wie der Generalintendant
der Königlichen Schauspiele, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen
und sich ohne sonderliche Anstrengung zu einer beliebten Persönlichkeit zu
machen. Das hat auch der jetzige Leiter, Georg von Hülsen, erfahren, an
dem man fast schon verzweifeln wollte, als die Zügel seiner Verwaltung
am Boden schleiften und er niemandem vertraute, sie, wie es dringend notwendig
war, straff anzuziehen. Nach seiner Wiederherstellung von schwerer Krankheit
hatte er sich lange Zeit in eine solche Zurückhaltung eingekapselt, daß er sogar
in seinen: eigenen Hause unsichtbar blieb und wie ein unnahbares Wesen hinter
den Wolken verschwand. Kaum ließ er sich aber herab, eine Persönlichkeit
vorzustellen, mit der man rechnen konnte, so streckten sich ihm von alle,: Seiten
erwartungsvoll die Hände entgegen, um ihn als tatkräftigen Helfer und Retter
aus der Not zu begrüßen. Mit den schönen Worten seiner Matkowsky-Feier,
gegen die er sich zuerst entschieden gesträubt hatte, gewann er einen großen Teil
der öffentlichen Meinung für sich. Das alte Schuldbuch, das man ihn: früher
so oft mit mahnenden Worten vorgehalten hatte, flog in hundert Fetzen aus¬
einander. Paul Lindaus Einzug als Dramaturg erschien manchen sogar als
Anbruch einer literarischen Morgenröte. Auch ältere Beobachter, die durch
die Schule der Erfahrung gewitzigt waren, nickten der seltsamen Wendung der
Dinge freundlich zu und manche Enthusiasten meinten, daß es bei einigen,
Bemühen möglich sein müßte, das Theater am Schillerplatz wieder zur ersten
Bühne Berlins, ja vielleicht von ganz Deutschland zu machen.

Ein schöner Traum, dem man immer wieder nachjagt und der sich doch
nur schwer zur Wirklichkeit gestalten läßt! An Leuten, die trotz alledem eine
aufrichtige Liebe zum Schauspielhause empfinden, fehlt es gewiß nicht. Sie
knüpfen ihre eigene Erinnerung, die ihnen das Blut freudiger durch die Adern
treibt, an die von fern herüberleuchtende geschichtliche Vergangenheit, glauben
die Steine reden zu hören und wandeln wie in einer stolzen Ruhmeshalle im
Schatten großer Meister, denen die Menge in Begeisterung zuströmte. Dieser
Kranz, der Männern wie Ludwig Devrient und Seydelmcmn, Dessoir und
Döring, Frauen wie Auguste Crelinger und Fried-Blumauer gewunden wurde,
ist unwiederbringlich verwelkt und zerrissen. Es ist an dieser Stelle zu viel
ins Stocken geraten und zu große Lücken haben sich gebildet, als daß man
die Fahrt mit vollen Segeln zu weiten, lockenden Zielen ohne weiteres
beginnen könnte. Die "Lieder des Euripides" bildeten eine wehmutsvolle
Klage um den jähen Tod des unvergeßlichen Wildenbruch, der dem deutschen
Volk und dem Hohenzollernhause so viele stolze Denkmäler errichtet hat.
Hauptmanns "Versunkene Glocke" bedeutete eine ruhige Abfindung mit dem Dichter,
dessen "Hannele" bei der ersten Aufführung beinahe die Grundvesten des Hauses
erbeben machte. Der liebenswürdige Fremdling Müssets "Man spielt nicht mit
der Liebe" offenbarte sich allerdings als ein versehentlicher Besuch, den man


Das Berliner Schauspielhaus

Dabei lehrte jedesmal die Erfahrung, daß es gar keiner besonderen
Anstrengung bedarf. Niemand hat es so leicht wie der Generalintendant
der Königlichen Schauspiele, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen
und sich ohne sonderliche Anstrengung zu einer beliebten Persönlichkeit zu
machen. Das hat auch der jetzige Leiter, Georg von Hülsen, erfahren, an
dem man fast schon verzweifeln wollte, als die Zügel seiner Verwaltung
am Boden schleiften und er niemandem vertraute, sie, wie es dringend notwendig
war, straff anzuziehen. Nach seiner Wiederherstellung von schwerer Krankheit
hatte er sich lange Zeit in eine solche Zurückhaltung eingekapselt, daß er sogar
in seinen: eigenen Hause unsichtbar blieb und wie ein unnahbares Wesen hinter
den Wolken verschwand. Kaum ließ er sich aber herab, eine Persönlichkeit
vorzustellen, mit der man rechnen konnte, so streckten sich ihm von alle,: Seiten
erwartungsvoll die Hände entgegen, um ihn als tatkräftigen Helfer und Retter
aus der Not zu begrüßen. Mit den schönen Worten seiner Matkowsky-Feier,
gegen die er sich zuerst entschieden gesträubt hatte, gewann er einen großen Teil
der öffentlichen Meinung für sich. Das alte Schuldbuch, das man ihn: früher
so oft mit mahnenden Worten vorgehalten hatte, flog in hundert Fetzen aus¬
einander. Paul Lindaus Einzug als Dramaturg erschien manchen sogar als
Anbruch einer literarischen Morgenröte. Auch ältere Beobachter, die durch
die Schule der Erfahrung gewitzigt waren, nickten der seltsamen Wendung der
Dinge freundlich zu und manche Enthusiasten meinten, daß es bei einigen,
Bemühen möglich sein müßte, das Theater am Schillerplatz wieder zur ersten
Bühne Berlins, ja vielleicht von ganz Deutschland zu machen.

Ein schöner Traum, dem man immer wieder nachjagt und der sich doch
nur schwer zur Wirklichkeit gestalten läßt! An Leuten, die trotz alledem eine
aufrichtige Liebe zum Schauspielhause empfinden, fehlt es gewiß nicht. Sie
knüpfen ihre eigene Erinnerung, die ihnen das Blut freudiger durch die Adern
treibt, an die von fern herüberleuchtende geschichtliche Vergangenheit, glauben
die Steine reden zu hören und wandeln wie in einer stolzen Ruhmeshalle im
Schatten großer Meister, denen die Menge in Begeisterung zuströmte. Dieser
Kranz, der Männern wie Ludwig Devrient und Seydelmcmn, Dessoir und
Döring, Frauen wie Auguste Crelinger und Fried-Blumauer gewunden wurde,
ist unwiederbringlich verwelkt und zerrissen. Es ist an dieser Stelle zu viel
ins Stocken geraten und zu große Lücken haben sich gebildet, als daß man
die Fahrt mit vollen Segeln zu weiten, lockenden Zielen ohne weiteres
beginnen könnte. Die „Lieder des Euripides" bildeten eine wehmutsvolle
Klage um den jähen Tod des unvergeßlichen Wildenbruch, der dem deutschen
Volk und dem Hohenzollernhause so viele stolze Denkmäler errichtet hat.
Hauptmanns „Versunkene Glocke" bedeutete eine ruhige Abfindung mit dem Dichter,
dessen „Hannele" bei der ersten Aufführung beinahe die Grundvesten des Hauses
erbeben machte. Der liebenswürdige Fremdling Müssets „Man spielt nicht mit
der Liebe" offenbarte sich allerdings als ein versehentlicher Besuch, den man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315112"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Berliner Schauspielhaus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_341"> Dabei lehrte jedesmal die Erfahrung, daß es gar keiner besonderen<lb/>
Anstrengung bedarf. Niemand hat es so leicht wie der Generalintendant<lb/>
der Königlichen Schauspiele, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen<lb/>
und sich ohne sonderliche Anstrengung zu einer beliebten Persönlichkeit zu<lb/>
machen. Das hat auch der jetzige Leiter, Georg von Hülsen, erfahren, an<lb/>
dem man fast schon verzweifeln wollte, als die Zügel seiner Verwaltung<lb/>
am Boden schleiften und er niemandem vertraute, sie, wie es dringend notwendig<lb/>
war, straff anzuziehen. Nach seiner Wiederherstellung von schwerer Krankheit<lb/>
hatte er sich lange Zeit in eine solche Zurückhaltung eingekapselt, daß er sogar<lb/>
in seinen: eigenen Hause unsichtbar blieb und wie ein unnahbares Wesen hinter<lb/>
den Wolken verschwand. Kaum ließ er sich aber herab, eine Persönlichkeit<lb/>
vorzustellen, mit der man rechnen konnte, so streckten sich ihm von alle,: Seiten<lb/>
erwartungsvoll die Hände entgegen, um ihn als tatkräftigen Helfer und Retter<lb/>
aus der Not zu begrüßen. Mit den schönen Worten seiner Matkowsky-Feier,<lb/>
gegen die er sich zuerst entschieden gesträubt hatte, gewann er einen großen Teil<lb/>
der öffentlichen Meinung für sich. Das alte Schuldbuch, das man ihn: früher<lb/>
so oft mit mahnenden Worten vorgehalten hatte, flog in hundert Fetzen aus¬<lb/>
einander. Paul Lindaus Einzug als Dramaturg erschien manchen sogar als<lb/>
Anbruch einer literarischen Morgenröte. Auch ältere Beobachter, die durch<lb/>
die Schule der Erfahrung gewitzigt waren, nickten der seltsamen Wendung der<lb/>
Dinge freundlich zu und manche Enthusiasten meinten, daß es bei einigen,<lb/>
Bemühen möglich sein müßte, das Theater am Schillerplatz wieder zur ersten<lb/>
Bühne Berlins, ja vielleicht von ganz Deutschland zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_342" next="#ID_343"> Ein schöner Traum, dem man immer wieder nachjagt und der sich doch<lb/>
nur schwer zur Wirklichkeit gestalten läßt! An Leuten, die trotz alledem eine<lb/>
aufrichtige Liebe zum Schauspielhause empfinden, fehlt es gewiß nicht. Sie<lb/>
knüpfen ihre eigene Erinnerung, die ihnen das Blut freudiger durch die Adern<lb/>
treibt, an die von fern herüberleuchtende geschichtliche Vergangenheit, glauben<lb/>
die Steine reden zu hören und wandeln wie in einer stolzen Ruhmeshalle im<lb/>
Schatten großer Meister, denen die Menge in Begeisterung zuströmte. Dieser<lb/>
Kranz, der Männern wie Ludwig Devrient und Seydelmcmn, Dessoir und<lb/>
Döring, Frauen wie Auguste Crelinger und Fried-Blumauer gewunden wurde,<lb/>
ist unwiederbringlich verwelkt und zerrissen. Es ist an dieser Stelle zu viel<lb/>
ins Stocken geraten und zu große Lücken haben sich gebildet, als daß man<lb/>
die Fahrt mit vollen Segeln zu weiten, lockenden Zielen ohne weiteres<lb/>
beginnen könnte. Die &#x201E;Lieder des Euripides" bildeten eine wehmutsvolle<lb/>
Klage um den jähen Tod des unvergeßlichen Wildenbruch, der dem deutschen<lb/>
Volk und dem Hohenzollernhause so viele stolze Denkmäler errichtet hat.<lb/>
Hauptmanns &#x201E;Versunkene Glocke" bedeutete eine ruhige Abfindung mit dem Dichter,<lb/>
dessen &#x201E;Hannele" bei der ersten Aufführung beinahe die Grundvesten des Hauses<lb/>
erbeben machte. Der liebenswürdige Fremdling Müssets &#x201E;Man spielt nicht mit<lb/>
der Liebe" offenbarte sich allerdings als ein versehentlicher Besuch, den man</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Das Berliner Schauspielhaus Dabei lehrte jedesmal die Erfahrung, daß es gar keiner besonderen Anstrengung bedarf. Niemand hat es so leicht wie der Generalintendant der Königlichen Schauspiele, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und sich ohne sonderliche Anstrengung zu einer beliebten Persönlichkeit zu machen. Das hat auch der jetzige Leiter, Georg von Hülsen, erfahren, an dem man fast schon verzweifeln wollte, als die Zügel seiner Verwaltung am Boden schleiften und er niemandem vertraute, sie, wie es dringend notwendig war, straff anzuziehen. Nach seiner Wiederherstellung von schwerer Krankheit hatte er sich lange Zeit in eine solche Zurückhaltung eingekapselt, daß er sogar in seinen: eigenen Hause unsichtbar blieb und wie ein unnahbares Wesen hinter den Wolken verschwand. Kaum ließ er sich aber herab, eine Persönlichkeit vorzustellen, mit der man rechnen konnte, so streckten sich ihm von alle,: Seiten erwartungsvoll die Hände entgegen, um ihn als tatkräftigen Helfer und Retter aus der Not zu begrüßen. Mit den schönen Worten seiner Matkowsky-Feier, gegen die er sich zuerst entschieden gesträubt hatte, gewann er einen großen Teil der öffentlichen Meinung für sich. Das alte Schuldbuch, das man ihn: früher so oft mit mahnenden Worten vorgehalten hatte, flog in hundert Fetzen aus¬ einander. Paul Lindaus Einzug als Dramaturg erschien manchen sogar als Anbruch einer literarischen Morgenröte. Auch ältere Beobachter, die durch die Schule der Erfahrung gewitzigt waren, nickten der seltsamen Wendung der Dinge freundlich zu und manche Enthusiasten meinten, daß es bei einigen, Bemühen möglich sein müßte, das Theater am Schillerplatz wieder zur ersten Bühne Berlins, ja vielleicht von ganz Deutschland zu machen. Ein schöner Traum, dem man immer wieder nachjagt und der sich doch nur schwer zur Wirklichkeit gestalten läßt! An Leuten, die trotz alledem eine aufrichtige Liebe zum Schauspielhause empfinden, fehlt es gewiß nicht. Sie knüpfen ihre eigene Erinnerung, die ihnen das Blut freudiger durch die Adern treibt, an die von fern herüberleuchtende geschichtliche Vergangenheit, glauben die Steine reden zu hören und wandeln wie in einer stolzen Ruhmeshalle im Schatten großer Meister, denen die Menge in Begeisterung zuströmte. Dieser Kranz, der Männern wie Ludwig Devrient und Seydelmcmn, Dessoir und Döring, Frauen wie Auguste Crelinger und Fried-Blumauer gewunden wurde, ist unwiederbringlich verwelkt und zerrissen. Es ist an dieser Stelle zu viel ins Stocken geraten und zu große Lücken haben sich gebildet, als daß man die Fahrt mit vollen Segeln zu weiten, lockenden Zielen ohne weiteres beginnen könnte. Die „Lieder des Euripides" bildeten eine wehmutsvolle Klage um den jähen Tod des unvergeßlichen Wildenbruch, der dem deutschen Volk und dem Hohenzollernhause so viele stolze Denkmäler errichtet hat. Hauptmanns „Versunkene Glocke" bedeutete eine ruhige Abfindung mit dem Dichter, dessen „Hannele" bei der ersten Aufführung beinahe die Grundvesten des Hauses erbeben machte. Der liebenswürdige Fremdling Müssets „Man spielt nicht mit der Liebe" offenbarte sich allerdings als ein versehentlicher Besuch, den man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/115>, abgerufen am 04.07.2024.