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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Not der preußischen Verwaltung

schuld air dein Rückgang des Ansehns des Staats, beunruhigendes Anwachsen
des Beamtenheeres und der einzelnen Behörden, Vergeudung von Arbeitskräften
und Geldmitteln und dergleichen mehr.

Trotzdem haben diese Erörterungen erst in der letzten Zeit einen greifbaren
Erfolg gehabt. Nach langem Zögern hat jetzt die Königliche Staatsregierung
Vorarbeiten für eine Neuordnung der Verwaltung eingeleitet. Ein Ausschuß
von höheren Verwaltung^- und Justizbeamten, sowie von Männern der
Wissenschaft und der Praxis ist zur Vorbereitung dieser Vorarbeiten einberufen
und bereits zu Verhandlungen zusammengetreten. Alles das wäre sehr dankens¬
wert, wenn man nicht leider nach dem, was von den Einzelheiten und Zielen
dieser gesetzgeberischen Pläne bisher bekannt geworden ist, fürchten müßte, daß
sie den Kernpunkt der ganzen Frage, das, was die Not der preußischen Ver¬
waltung wirklich ausmacht, nicht treffen werden.

Auch die Regierung findet, ähnlich wie die später genannten Kritiker und
die vielen andern, die sich in den letzten Monaten haben hören lassen, in dem
gegenwärtigen Zustand unsrer Verwaltung offenbar nur Mängel der Organisation,
der Zustäudigkeitsverteilung und der Verwaltungstechnik im Bereiche der Provinzial-
behörden; ihre Mänderungsvorschläge betreffen daher nur diese Gebiete. Aber
wird dies wirklich helfen können? Organisation und Technik erhalten doch
erst Leben und Wirksamkeit durch die Meuschen, die sie handhaben. Liegt da
nicht die Frage nahe, ob nicht mindestens ein Teil der Mißstände, die in dem
Geschäftsbetrieb der Verwaltungsbehörden hervortreten, nicht sachliche, sondern
persönliche Gründe hat? Ich behaupte, daß dies in der Tat so ist und daß
diese Mängel, soweit sie nicht auf unabwendbaren Zufälligkeiten beruhen, mindestens
mittelbar ausschließlich auf die Personalverhältnisse in der Verwaltung zurück¬
zuführen sind.

Aber ich gehe noch weiter und behaupte, 'daß der Bureaukratismus und
das, was mit ihn: äußerlich oder innerlich zusammenhängen mag, gar nicht das
größte Gebrechen unsrer jetzigen Verwaltung ist. Viel gefährlicher ist das andre,
das in dem Wort des Professors Hasbach an der Spitze dieses Artikels zu¬
treffend bezeichnet ist. Es fehlt in der Tat jetzt überall bei uns die Führung,
im großen und im kleinen, die klare, sachverständige, selbstbewußte, tatkräftige,
vordringende Führung, die einstens ^vorhanden war und Preußen und
Deutschland groß gemacht hat, 'und die Allein Preußen und Deutschland
wird erhalten können. Das ist die tieftraurige Erkenntnis, die man tagtäglich
aus den laufenden Geschäften, wie aus dem Schicksal der großen Fragen des
Volks- und Staatslebens gewinnen muß. Und in diesen, Mangel der Führung
sind die bedauerlichen Wirkungen für das Staatsganze begründet, die ich früher
erwähnt habe. Die gefährlichste ist der Rückgang des Staatsansehns und damit
des Staatsgedankens und der Vaterlandsgesinnung. Was will es demgegenüber
bedeuten, daß bei uns infolge eines vielleicht nicht ganz zweckmäßigen Aufbaus
der Verwaltungsbehörden oder einer unpraktischen Verteilung der Geschäfte


Die Not der preußischen Verwaltung

schuld air dein Rückgang des Ansehns des Staats, beunruhigendes Anwachsen
des Beamtenheeres und der einzelnen Behörden, Vergeudung von Arbeitskräften
und Geldmitteln und dergleichen mehr.

Trotzdem haben diese Erörterungen erst in der letzten Zeit einen greifbaren
Erfolg gehabt. Nach langem Zögern hat jetzt die Königliche Staatsregierung
Vorarbeiten für eine Neuordnung der Verwaltung eingeleitet. Ein Ausschuß
von höheren Verwaltung^- und Justizbeamten, sowie von Männern der
Wissenschaft und der Praxis ist zur Vorbereitung dieser Vorarbeiten einberufen
und bereits zu Verhandlungen zusammengetreten. Alles das wäre sehr dankens¬
wert, wenn man nicht leider nach dem, was von den Einzelheiten und Zielen
dieser gesetzgeberischen Pläne bisher bekannt geworden ist, fürchten müßte, daß
sie den Kernpunkt der ganzen Frage, das, was die Not der preußischen Ver¬
waltung wirklich ausmacht, nicht treffen werden.

Auch die Regierung findet, ähnlich wie die später genannten Kritiker und
die vielen andern, die sich in den letzten Monaten haben hören lassen, in dem
gegenwärtigen Zustand unsrer Verwaltung offenbar nur Mängel der Organisation,
der Zustäudigkeitsverteilung und der Verwaltungstechnik im Bereiche der Provinzial-
behörden; ihre Mänderungsvorschläge betreffen daher nur diese Gebiete. Aber
wird dies wirklich helfen können? Organisation und Technik erhalten doch
erst Leben und Wirksamkeit durch die Meuschen, die sie handhaben. Liegt da
nicht die Frage nahe, ob nicht mindestens ein Teil der Mißstände, die in dem
Geschäftsbetrieb der Verwaltungsbehörden hervortreten, nicht sachliche, sondern
persönliche Gründe hat? Ich behaupte, daß dies in der Tat so ist und daß
diese Mängel, soweit sie nicht auf unabwendbaren Zufälligkeiten beruhen, mindestens
mittelbar ausschließlich auf die Personalverhältnisse in der Verwaltung zurück¬
zuführen sind.

Aber ich gehe noch weiter und behaupte, 'daß der Bureaukratismus und
das, was mit ihn: äußerlich oder innerlich zusammenhängen mag, gar nicht das
größte Gebrechen unsrer jetzigen Verwaltung ist. Viel gefährlicher ist das andre,
das in dem Wort des Professors Hasbach an der Spitze dieses Artikels zu¬
treffend bezeichnet ist. Es fehlt in der Tat jetzt überall bei uns die Führung,
im großen und im kleinen, die klare, sachverständige, selbstbewußte, tatkräftige,
vordringende Führung, die einstens ^vorhanden war und Preußen und
Deutschland groß gemacht hat, 'und die Allein Preußen und Deutschland
wird erhalten können. Das ist die tieftraurige Erkenntnis, die man tagtäglich
aus den laufenden Geschäften, wie aus dem Schicksal der großen Fragen des
Volks- und Staatslebens gewinnen muß. Und in diesen, Mangel der Führung
sind die bedauerlichen Wirkungen für das Staatsganze begründet, die ich früher
erwähnt habe. Die gefährlichste ist der Rückgang des Staatsansehns und damit
des Staatsgedankens und der Vaterlandsgesinnung. Was will es demgegenüber
bedeuten, daß bei uns infolge eines vielleicht nicht ganz zweckmäßigen Aufbaus
der Verwaltungsbehörden oder einer unpraktischen Verteilung der Geschäfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/110>, abgerufen am 24.07.2024.