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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die kaufmännische Bildung

Ein Jahr, vielleicht beim Übergang von einer Stellung zur andern, werden
die meisten Kaufleute ihrer Fachbildung, mit der stets eine Vertiefung der
Allgemeinbildung verbunden ist, opfern können und wollen.

In diesem Sinne möchte ich den sogenannten "Handelsakademien", die
infolge ihres akademischen Lehrbetriebes nicht mit den gleichnamigen Lehr¬
anstalten für den niedern kaufmännischen Dienst (Schönschreiben, Buch¬
führung usw.) zu verwechseln sind, das Wort reden. Diese Anstalten bieten
dem Kaufmann, bei dem schön die Kenntnis des praktischen Berufs voraus¬
gesetzt wird, auf Grund eines einjährigen Studiums eine abgerundete Fach-
und Allgemeinbildung. Dabei zerfällt das Jahr in vier Trimester, auf die
der Lehrstoff derart verteilt ist, daß der Eintritt gegen Anfang jedes Quartals
erfolgen kann. Dadurch, daß man an diesen Anstalten, die sonst eine aka¬
demische Organisation sowie Vorlesungen und Übungen als Unterrichtsverfahren
aufweisen, die langen akademischen Ferien, die ja überdies dem praktischen
Kaufmann ganz ungewohnt sind, in Wegfall gebracht hat, ist es möglich, in
Jahresfrist ungefähr denselben Stoff zu bewältigen, zu dem im Handelshoch¬
schulstudium zwei Jahre nötig sind.

Mit dieser geschlossenen Arbeitszeit geht ein geschlossener Lehrbetrieb in
den Handelsakademien Hand in Hand. Die meisten Handelshochschulen gliedern
sich ja an die Universitäten an. Das hat Vorteile, aber auch viele Nachteile!
Der Hauptnachteil besteht wohl darin, daß viele Fächer an den Handelshoch¬
schulen überhaupt nicht vertreten sind, sondern durch Universitätsvorlesungen ersetzt
werden sollen. Eine Universitätsvorlesung aber ist, zumal wenn sie pädagogisch
angelegt wird, den Bildungsbedürfnissen ganz anders gearteter Hörer angepaßt
und würde sicherlich von dem Dozenten, der sein Geschäft nicht mechanisch betreibt,
ganz anders gefaßt werden, hätte er nur Handelsstudenten als Hörer. Diese
Erkenntnis haben sich die Handelsakademien zunutze gemacht. Wie sie die
praktischen Fächer durch praktische Fachleute an der Anstalt lehren lassen, so
sorgen sie auch für Vorlesungen über die den Handelsfächern verwandten
Wissenschaften im Rahmen ihrer Anstalt. Dadurch ergibt sich ein den Zielen
und Zwecken schärfer angepaßter Lehrbetrieb, bei dem auf die Vorbildung, die
durchschnittlich bei den Handelsbeflissenen im Vergleich mit den Universitäts¬
studenten geringer ist, in stärkeren Maße Rücksicht genommen werden kann.
Dadurch wird aber die Frage, ob Handelsakademie oder Handelshochschule
von dem nach Hochschulbildung strebenden Kaufmann zu wählen sei, eine päda¬
gogische, wie es auch sein soll. Während die Handelshochschule, zumal wenn
sie sich an die Universität anlehnt, möglichst die Vorbildung einer neunjährigen
Anstalt verlangen sollte, sicherlich aber nicht von der Forderung des einjährig¬
freiwilligen Zeugnisses abgehn darf, sind die Handelsakademien in der Lage,
auch jungen strebsamen Kaufleuten, die vielleicht aus andern Gründen als aus
dem der Unfähigkeit nicht bis zur Prima einer Realschule oder Untersekunda
eines Gymnasiums kamen, eine höhere kaufmännische Ausbildung angedeihen zu


Die kaufmännische Bildung

Ein Jahr, vielleicht beim Übergang von einer Stellung zur andern, werden
die meisten Kaufleute ihrer Fachbildung, mit der stets eine Vertiefung der
Allgemeinbildung verbunden ist, opfern können und wollen.

In diesem Sinne möchte ich den sogenannten „Handelsakademien", die
infolge ihres akademischen Lehrbetriebes nicht mit den gleichnamigen Lehr¬
anstalten für den niedern kaufmännischen Dienst (Schönschreiben, Buch¬
führung usw.) zu verwechseln sind, das Wort reden. Diese Anstalten bieten
dem Kaufmann, bei dem schön die Kenntnis des praktischen Berufs voraus¬
gesetzt wird, auf Grund eines einjährigen Studiums eine abgerundete Fach-
und Allgemeinbildung. Dabei zerfällt das Jahr in vier Trimester, auf die
der Lehrstoff derart verteilt ist, daß der Eintritt gegen Anfang jedes Quartals
erfolgen kann. Dadurch, daß man an diesen Anstalten, die sonst eine aka¬
demische Organisation sowie Vorlesungen und Übungen als Unterrichtsverfahren
aufweisen, die langen akademischen Ferien, die ja überdies dem praktischen
Kaufmann ganz ungewohnt sind, in Wegfall gebracht hat, ist es möglich, in
Jahresfrist ungefähr denselben Stoff zu bewältigen, zu dem im Handelshoch¬
schulstudium zwei Jahre nötig sind.

Mit dieser geschlossenen Arbeitszeit geht ein geschlossener Lehrbetrieb in
den Handelsakademien Hand in Hand. Die meisten Handelshochschulen gliedern
sich ja an die Universitäten an. Das hat Vorteile, aber auch viele Nachteile!
Der Hauptnachteil besteht wohl darin, daß viele Fächer an den Handelshoch¬
schulen überhaupt nicht vertreten sind, sondern durch Universitätsvorlesungen ersetzt
werden sollen. Eine Universitätsvorlesung aber ist, zumal wenn sie pädagogisch
angelegt wird, den Bildungsbedürfnissen ganz anders gearteter Hörer angepaßt
und würde sicherlich von dem Dozenten, der sein Geschäft nicht mechanisch betreibt,
ganz anders gefaßt werden, hätte er nur Handelsstudenten als Hörer. Diese
Erkenntnis haben sich die Handelsakademien zunutze gemacht. Wie sie die
praktischen Fächer durch praktische Fachleute an der Anstalt lehren lassen, so
sorgen sie auch für Vorlesungen über die den Handelsfächern verwandten
Wissenschaften im Rahmen ihrer Anstalt. Dadurch ergibt sich ein den Zielen
und Zwecken schärfer angepaßter Lehrbetrieb, bei dem auf die Vorbildung, die
durchschnittlich bei den Handelsbeflissenen im Vergleich mit den Universitäts¬
studenten geringer ist, in stärkeren Maße Rücksicht genommen werden kann.
Dadurch wird aber die Frage, ob Handelsakademie oder Handelshochschule
von dem nach Hochschulbildung strebenden Kaufmann zu wählen sei, eine päda¬
gogische, wie es auch sein soll. Während die Handelshochschule, zumal wenn
sie sich an die Universität anlehnt, möglichst die Vorbildung einer neunjährigen
Anstalt verlangen sollte, sicherlich aber nicht von der Forderung des einjährig¬
freiwilligen Zeugnisses abgehn darf, sind die Handelsakademien in der Lage,
auch jungen strebsamen Kaufleuten, die vielleicht aus andern Gründen als aus
dem der Unfähigkeit nicht bis zur Prima einer Realschule oder Untersekunda
eines Gymnasiums kamen, eine höhere kaufmännische Ausbildung angedeihen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/84>, abgerufen am 24.07.2024.