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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Wiederkaufsrecht einräumen für den Fall, daß er die Stelle nicht binnen
zwei Jahren betriebsfähig macht, daß er ohne besondre Erlaubnis geistige
Getränke vertreibt, daß er die Stelle nicht selbst bewirtschaftet, daß er ohne
Genehmigung des Staats verpachtet, parzelliert oder verkauft, oder daß er in
Gaut kommt. Ein Vorkaufsrecht des Staates tritt auch ein nach dem Tode des
Nentengutsbesitzers. Diese Beschränkungen des vollständigen freien Besitzrechtes
mußte der Staat festsetzen, da sonst unter Umständen Personen in den Besitz
eines Rentengutes kommen könnten, die den nationalen Zweck der Einrichtung
schwer schädigen würden. Für den loyalen und fleißigen Ansiedler oder seine
Familie sind diese Beschränkungen jedoch vollständig belanglos. Wenn nach dem
Tode eines Nentengutsbesitzers von den Erben ein Sohn, Schwiegersohn oder
sonst ein in wirtschaftlicher und nationaler Beziehung unverdächtiger Mann als
Gutsnachfolger vorgeschlagen wird, so macht der Staat von seinem Vorkaufs¬
recht keinen Gebrauch.

Der nächste Tag führte uns auf einer Strecke von 40 Kilometern durch
das dichte Netz deutscher Ansiedlungsdörser im Norden Gnesens, die nahe daran
sind, den Anschluß an das deutsche Netzetal, die Kolonien Friedrichs des Großen,
zu erreichen.

Doch zuvor noch ein Wort über die Kreisstadt Gnesen selbst, deren
Deutschtum durch die Ansiedlungspolitik indirekt in erfreulichster Weise gefördert
wird. Gnesen hat zwei Gesichter, ein polnisches und ein deutsches. Wer am
Tage seines Patrons, des heiligen Adalbert, oder an einem andern hohen
Festtag in die Nähe seines Domes kommt, der erlebt noch einen Nachhall der
Zeit, wo Gnesen die kirchliche Metropole von Tausenden von Quadratmeilen
war. Wenn sich die Wallfahrer zu den Reliquien des Apostels der Polen und
der Preußen drängen, wenn in langem Zuge die reichen Kirchenfahnen flattern
und ein polnisches Lied nach dem andern ertönt, dann ist Gnesen auf Augen¬
blicke wieder mittelalterlich und polnisch. Am Werktag aber ist die Titularstadt
des Titularreichsverwesers der Krone Polen eine solide, moderne, königlich
preußische Landstadt mit deutscher Oberschicht und rein deutscher Stadtverwaltung.
Eine geistliche Stadt etwa wie Freising, die gleichalte und ebenfalls deponierte
kirchliche Metropole der Bajuvaren, ist Gnesen nicht. Die Stadt hat zwar sieben
Kirchen, diese fallen dem Fremden aber ebensowenig in die Augen wie die sieben
Hügel, auf denen sie stehen sollen. Eine Ausnahme macht nur die Domkirche,
deren gotisches Turmpaar Weithinaus in die Lande leuchtet. In einer kirchen-
reichen Stadt wie Köln würde selbst der historisch ehrwürdige Dom nicht auf¬
fallen, denn er ist nicht eben groß, und wiederholte Brände und Restaurationen
haben sein Äußeres der Einheitlichkeit beraubt, ohne es malerisch zu machen.
Die Gesamtwirkung des Innern ist reich und festlich, ohne überladen zu sein.
Aus seiner großen Zeit hat der Dom außer den Gebeinen des Heiligen*) drei
Andenken gerettet, nämlich die kunstvolle Bronzetür mit den Neliesdarstellnngeu



Die Gebeine des heiligen Adalbert sind übrigenZ auch in Prag zur Verehrung ausgcsi. lit.
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Wiederkaufsrecht einräumen für den Fall, daß er die Stelle nicht binnen
zwei Jahren betriebsfähig macht, daß er ohne besondre Erlaubnis geistige
Getränke vertreibt, daß er die Stelle nicht selbst bewirtschaftet, daß er ohne
Genehmigung des Staats verpachtet, parzelliert oder verkauft, oder daß er in
Gaut kommt. Ein Vorkaufsrecht des Staates tritt auch ein nach dem Tode des
Nentengutsbesitzers. Diese Beschränkungen des vollständigen freien Besitzrechtes
mußte der Staat festsetzen, da sonst unter Umständen Personen in den Besitz
eines Rentengutes kommen könnten, die den nationalen Zweck der Einrichtung
schwer schädigen würden. Für den loyalen und fleißigen Ansiedler oder seine
Familie sind diese Beschränkungen jedoch vollständig belanglos. Wenn nach dem
Tode eines Nentengutsbesitzers von den Erben ein Sohn, Schwiegersohn oder
sonst ein in wirtschaftlicher und nationaler Beziehung unverdächtiger Mann als
Gutsnachfolger vorgeschlagen wird, so macht der Staat von seinem Vorkaufs¬
recht keinen Gebrauch.

Der nächste Tag führte uns auf einer Strecke von 40 Kilometern durch
das dichte Netz deutscher Ansiedlungsdörser im Norden Gnesens, die nahe daran
sind, den Anschluß an das deutsche Netzetal, die Kolonien Friedrichs des Großen,
zu erreichen.

Doch zuvor noch ein Wort über die Kreisstadt Gnesen selbst, deren
Deutschtum durch die Ansiedlungspolitik indirekt in erfreulichster Weise gefördert
wird. Gnesen hat zwei Gesichter, ein polnisches und ein deutsches. Wer am
Tage seines Patrons, des heiligen Adalbert, oder an einem andern hohen
Festtag in die Nähe seines Domes kommt, der erlebt noch einen Nachhall der
Zeit, wo Gnesen die kirchliche Metropole von Tausenden von Quadratmeilen
war. Wenn sich die Wallfahrer zu den Reliquien des Apostels der Polen und
der Preußen drängen, wenn in langem Zuge die reichen Kirchenfahnen flattern
und ein polnisches Lied nach dem andern ertönt, dann ist Gnesen auf Augen¬
blicke wieder mittelalterlich und polnisch. Am Werktag aber ist die Titularstadt
des Titularreichsverwesers der Krone Polen eine solide, moderne, königlich
preußische Landstadt mit deutscher Oberschicht und rein deutscher Stadtverwaltung.
Eine geistliche Stadt etwa wie Freising, die gleichalte und ebenfalls deponierte
kirchliche Metropole der Bajuvaren, ist Gnesen nicht. Die Stadt hat zwar sieben
Kirchen, diese fallen dem Fremden aber ebensowenig in die Augen wie die sieben
Hügel, auf denen sie stehen sollen. Eine Ausnahme macht nur die Domkirche,
deren gotisches Turmpaar Weithinaus in die Lande leuchtet. In einer kirchen-
reichen Stadt wie Köln würde selbst der historisch ehrwürdige Dom nicht auf¬
fallen, denn er ist nicht eben groß, und wiederholte Brände und Restaurationen
haben sein Äußeres der Einheitlichkeit beraubt, ohne es malerisch zu machen.
Die Gesamtwirkung des Innern ist reich und festlich, ohne überladen zu sein.
Aus seiner großen Zeit hat der Dom außer den Gebeinen des Heiligen*) drei
Andenken gerettet, nämlich die kunstvolle Bronzetür mit den Neliesdarstellnngeu



Die Gebeine des heiligen Adalbert sind übrigenZ auch in Prag zur Verehrung ausgcsi. lit.
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[0077] von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten Wiederkaufsrecht einräumen für den Fall, daß er die Stelle nicht binnen zwei Jahren betriebsfähig macht, daß er ohne besondre Erlaubnis geistige Getränke vertreibt, daß er die Stelle nicht selbst bewirtschaftet, daß er ohne Genehmigung des Staats verpachtet, parzelliert oder verkauft, oder daß er in Gaut kommt. Ein Vorkaufsrecht des Staates tritt auch ein nach dem Tode des Nentengutsbesitzers. Diese Beschränkungen des vollständigen freien Besitzrechtes mußte der Staat festsetzen, da sonst unter Umständen Personen in den Besitz eines Rentengutes kommen könnten, die den nationalen Zweck der Einrichtung schwer schädigen würden. Für den loyalen und fleißigen Ansiedler oder seine Familie sind diese Beschränkungen jedoch vollständig belanglos. Wenn nach dem Tode eines Nentengutsbesitzers von den Erben ein Sohn, Schwiegersohn oder sonst ein in wirtschaftlicher und nationaler Beziehung unverdächtiger Mann als Gutsnachfolger vorgeschlagen wird, so macht der Staat von seinem Vorkaufs¬ recht keinen Gebrauch. Der nächste Tag führte uns auf einer Strecke von 40 Kilometern durch das dichte Netz deutscher Ansiedlungsdörser im Norden Gnesens, die nahe daran sind, den Anschluß an das deutsche Netzetal, die Kolonien Friedrichs des Großen, zu erreichen. Doch zuvor noch ein Wort über die Kreisstadt Gnesen selbst, deren Deutschtum durch die Ansiedlungspolitik indirekt in erfreulichster Weise gefördert wird. Gnesen hat zwei Gesichter, ein polnisches und ein deutsches. Wer am Tage seines Patrons, des heiligen Adalbert, oder an einem andern hohen Festtag in die Nähe seines Domes kommt, der erlebt noch einen Nachhall der Zeit, wo Gnesen die kirchliche Metropole von Tausenden von Quadratmeilen war. Wenn sich die Wallfahrer zu den Reliquien des Apostels der Polen und der Preußen drängen, wenn in langem Zuge die reichen Kirchenfahnen flattern und ein polnisches Lied nach dem andern ertönt, dann ist Gnesen auf Augen¬ blicke wieder mittelalterlich und polnisch. Am Werktag aber ist die Titularstadt des Titularreichsverwesers der Krone Polen eine solide, moderne, königlich preußische Landstadt mit deutscher Oberschicht und rein deutscher Stadtverwaltung. Eine geistliche Stadt etwa wie Freising, die gleichalte und ebenfalls deponierte kirchliche Metropole der Bajuvaren, ist Gnesen nicht. Die Stadt hat zwar sieben Kirchen, diese fallen dem Fremden aber ebensowenig in die Augen wie die sieben Hügel, auf denen sie stehen sollen. Eine Ausnahme macht nur die Domkirche, deren gotisches Turmpaar Weithinaus in die Lande leuchtet. In einer kirchen- reichen Stadt wie Köln würde selbst der historisch ehrwürdige Dom nicht auf¬ fallen, denn er ist nicht eben groß, und wiederholte Brände und Restaurationen haben sein Äußeres der Einheitlichkeit beraubt, ohne es malerisch zu machen. Die Gesamtwirkung des Innern ist reich und festlich, ohne überladen zu sein. Aus seiner großen Zeit hat der Dom außer den Gebeinen des Heiligen*) drei Andenken gerettet, nämlich die kunstvolle Bronzetür mit den Neliesdarstellnngeu Die Gebeine des heiligen Adalbert sind übrigenZ auch in Prag zur Verehrung ausgcsi. lit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/77>, abgerufen am 24.07.2024.