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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Versöhnung der Konfessionen

seitigen Interessen nie ganz ineinander aufgehen können, es gibt Fragen genug,
in denen sie sich verstündigen und Hand in Hand miteinander gehen können im
Kampf für Wahrheit und Recht, für des Volkes Wohlfahrt." Auch Professor
Dr. Rade, der die Christliche Welt herausgibt, muß in diesem Zusammenhange
genannt werden: "Ein Zusammenleben mit unsern katholischen Volksgenossen
muß möglich sein; wir müssen ihnen die Hand reichen, wo und wie wir können;
wir müssen das Christliche im Katholizismus erkennen und anerkennen und
damit mehr Anknüpfung und Gemeinsames. Wir müssen drüben nicht alles für
Jesuitismus, Ultramontanismus, Vaterlandslosigkeit, für Nacht und Lüge erklären.
Der Trieb, das Eigne zu wahren, darf nicht zur Mißachtung des andern Teils
führen. Es ist nicht bloßer Schein und Heuchelei, unsre Katholiken fühlen sich
unverstanden, gedrückt, benachteiligt, ungerecht behandelt. Sie glauben tatsächlich,
daß man ihnen Luft und Licht und den Platz an der Sonne der modernen
Kultur nicht gönne." "Als Deutsche haben wir Protestanten ohne Unterlaß
mit allen Deutschen Fühlung zu halten oder zu suchen, auch mit den katholischen
Stämmen. Unmöglich kann es nicht sein. Ich glaube einfach nicht daran, daß
die Bayern und Westfalen so verwelscht sein sollen, daß das Blut in ihnen gar
nicht mehr deutsch flösse. Und als Christen haben wir mit den katholischen
Christen immer Fühlung zu halten oder zu suchen. Ich glaube einfach nicht
daran, daß sie mit ihrer ganzen Frömmigkeit so verwahrlost und so planmäßig
verdorben seien, daß gemeinsam Christliches zwischen ihnen und uns nicht mehr
da wäre und also nur noch eins von beiden gegenseitig übrigbliebe: Absperrung
oder Mission. Dazu ist es möglich, geistige Fühlung mit unsern Katholiken zu
gewinnen, ja sie ist schon da. Sie ist da in der Wissenschaft, in der Kunst, in
der Literatur. Nicht am wenigsten trotz allem in der Theologie. Sie vollzieht
sich im verborgnen, hier und dort, schüchtern und doch wie selbstverständlich. Ich
halte es für möglich und notwendig, diese Bestände zu pflegen, zu schützen und
sogar Anfänge einer aufsteigenden Bewegung daraus zu machen. Man kann
protestantisch sein bis auf die Knochen und andre daneben auch noch gelten lassen.
Sobald jene merken, daß wir es vertragen können, daß sie katholisch sind, so bald
sind die Grundpfeiler der neuen Brücke "Verständigung" gelegt."

Wir leben in einer großen Zeit. Aber nichts pflegt von den Menschen
schwerer verstanden zu werden als ihre eigne Zeit und deren Größe. Wir sehen
in der Regel auf das, was noch fehlt, nicht auf das, was wir besitzen. Wir
schauen auf die Schatten, statt uns des Lichtes zu freuen. Darum sind wir
blind gegen die Keime neuer Gestaltungen, überängstlich gegenüber den Vorboten
neuer Ereignisse. Wir könnten so reich sein, empfinden aber bloß unsre Armut.
Möchte es den Friedensbestrebungen beschieden sein, daß sie auch in der Neuzeit
ein Stück vorwärts kommen!




Zur Versöhnung der Konfessionen

seitigen Interessen nie ganz ineinander aufgehen können, es gibt Fragen genug,
in denen sie sich verstündigen und Hand in Hand miteinander gehen können im
Kampf für Wahrheit und Recht, für des Volkes Wohlfahrt." Auch Professor
Dr. Rade, der die Christliche Welt herausgibt, muß in diesem Zusammenhange
genannt werden: „Ein Zusammenleben mit unsern katholischen Volksgenossen
muß möglich sein; wir müssen ihnen die Hand reichen, wo und wie wir können;
wir müssen das Christliche im Katholizismus erkennen und anerkennen und
damit mehr Anknüpfung und Gemeinsames. Wir müssen drüben nicht alles für
Jesuitismus, Ultramontanismus, Vaterlandslosigkeit, für Nacht und Lüge erklären.
Der Trieb, das Eigne zu wahren, darf nicht zur Mißachtung des andern Teils
führen. Es ist nicht bloßer Schein und Heuchelei, unsre Katholiken fühlen sich
unverstanden, gedrückt, benachteiligt, ungerecht behandelt. Sie glauben tatsächlich,
daß man ihnen Luft und Licht und den Platz an der Sonne der modernen
Kultur nicht gönne." „Als Deutsche haben wir Protestanten ohne Unterlaß
mit allen Deutschen Fühlung zu halten oder zu suchen, auch mit den katholischen
Stämmen. Unmöglich kann es nicht sein. Ich glaube einfach nicht daran, daß
die Bayern und Westfalen so verwelscht sein sollen, daß das Blut in ihnen gar
nicht mehr deutsch flösse. Und als Christen haben wir mit den katholischen
Christen immer Fühlung zu halten oder zu suchen. Ich glaube einfach nicht
daran, daß sie mit ihrer ganzen Frömmigkeit so verwahrlost und so planmäßig
verdorben seien, daß gemeinsam Christliches zwischen ihnen und uns nicht mehr
da wäre und also nur noch eins von beiden gegenseitig übrigbliebe: Absperrung
oder Mission. Dazu ist es möglich, geistige Fühlung mit unsern Katholiken zu
gewinnen, ja sie ist schon da. Sie ist da in der Wissenschaft, in der Kunst, in
der Literatur. Nicht am wenigsten trotz allem in der Theologie. Sie vollzieht
sich im verborgnen, hier und dort, schüchtern und doch wie selbstverständlich. Ich
halte es für möglich und notwendig, diese Bestände zu pflegen, zu schützen und
sogar Anfänge einer aufsteigenden Bewegung daraus zu machen. Man kann
protestantisch sein bis auf die Knochen und andre daneben auch noch gelten lassen.
Sobald jene merken, daß wir es vertragen können, daß sie katholisch sind, so bald
sind die Grundpfeiler der neuen Brücke »Verständigung« gelegt."

Wir leben in einer großen Zeit. Aber nichts pflegt von den Menschen
schwerer verstanden zu werden als ihre eigne Zeit und deren Größe. Wir sehen
in der Regel auf das, was noch fehlt, nicht auf das, was wir besitzen. Wir
schauen auf die Schatten, statt uns des Lichtes zu freuen. Darum sind wir
blind gegen die Keime neuer Gestaltungen, überängstlich gegenüber den Vorboten
neuer Ereignisse. Wir könnten so reich sein, empfinden aber bloß unsre Armut.
Möchte es den Friedensbestrebungen beschieden sein, daß sie auch in der Neuzeit
ein Stück vorwärts kommen!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/64>, abgerufen am 27.08.2024.