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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aufgaben er stets eine Mehrheit finden werde, sofern nur jede Partei sich selbst
getreu bleibe, so spricht daraus, wie wir meinen, weit mehr Zuversicht in das
eigne Können und weit mehr die Ruhe der Erfahrung und Einsicht als die Rat¬
losigkeit eines zwischen erregten Leidenschaften versinkendem Piloten des Reichs¬
schiffs. Was konnte denn ein auf der Höhe seiner Aufgabe stehender Reichskanzler
unter den obwaltenden Umständen andres und besseres sagen, als daß er die
Parteien aufforderte, jede -einzelne ruhig an ihren Grundsätzen festzuhalten, er
werde für nötige und nützliche Aufgaben schon die geeigneten Mehrheiten finden?
Aber es gibt Situationen, in denen das Ohr des Zuhörers auf ganz andre Ein¬
drücke eingestellt und abgestimmt ist und an der Wirklichkeit, sozusagen, vorbeihört.
Man konnte sich in die leidenschaftslose, ausschließlich vorwärtsgerichtete Ausein¬
andersetzung des Reichskanzlers nicht hineinfinden, weil alles von dem Gedanken
erfüllt war. es müsse sich aus den Worten des Reichskanzlers etwas heraushören
lassen, was t>le noch halb in der Vergangenheit weilenden Stimmungen der
Parteien zum Mitschwingen bringen könne. Ans der Wendung, in der Herr
v. Bethmann Hollweg die Parteien auf ihre alten Traditionen und Ziele verwies,
wurde eine versteckte Kritik herausgehört, und seltsamerweise bezog sie insbesondre
die nationalliberale Partei auf sich, obwohl wenn der Reichskanzler überhaupt
damit die Kritik einer einzelnen Partei beabsichtigt hätte, die konservative Partei
weit mehr Ursache gehabt haben wurde, sich getroffen zu fühlen. Andre wieder
wollten in den Bemerkungen des Reichskanzlers über die Beziehungen seiner Politik
zu den Parteien überflüssige "väterliche Ermahnungen" oder gar "philosophische
Betrachtungen" sehen und stimmten darüber ein ärgerliches Räsonnement an. Was
an der Rede des Reichskanzlers philosophisch sein sollte, ist zwar für einen einiger¬
maßen nüchtern urteilenden Menschen nicht recht einzusehen, aber der gute Deutsche
muß jede neue Erscheinung mit einem Schlagwort abstempeln, und Herr v. Beth¬
mann Hollweg ist nun einmal der "philosophische" Reichskanzler, er mag feder,
was er will, und wenn er gar nicht redet, so ist er es erst recht.

Aber die Hauptsache ist, daß auf der linken Seite in mehr oder weniger
scharfer Form eine -Enttäuschung über das erste Auftreten des Reichskanzlers aus¬
gedrückt worden ist, -obwohl sich doch eigentlich jeder im voraus sagen konnte, daß
Herr v. Bethmann Hollweg die Wünsche der Liberalen nach dieser Richtung nicht
erfüllen werde. Nachdem die verbündeten Regierungen die Finanzrcform aus der
Hand des "schwarzblauen" Blocks hatten annehmen müssen, würde eine nachträgliche
Kritik an diesem Werke und der Art seines Zustandekommens vollkommen zwecklos
und sinnwidrig sein. Womit hätte also der Reichskanzler den Parteien der Linken
eine Freude machen sollen, wenn er nicht in einer ganz unnötigen und überflüssigen
Weise die Parteien gegeneinanderhetzen wollte? Aber es war wohl etwas andres,
was die Parteien der Linken mit Enttäuschung erfüllte. Es ließ sich vielleicht
weniger mit Worten zergliedern oder an Worten nachweisen, aber offenbar halte
man auf den Bänken der Linken den bestimmten Eindruck von dem Auftreten des
Reichskanzlers, daß nicht nur die praktische Staatsräson seine Politik bestimme,
sondern daß er der neuen Lage auch innerlich gar nicht unsympathisch gegenüber¬
stehe. Gewiß fern von unstaatsmännischer Einseitigkeit, durchaus kein engherziger
Parteimann, steht er doch der Mitwirkung und Einwirkung liberaler Ideen ein
gutes Stück ferner als sein Vorgänger. Und obwohl die liberalen Führer ihre
Bereitwilligkeit zu positiver Mitarbeit auch für die Folgezeit betont haben, so wird
man sich doch schwerlich täuschen, wenn man annimmt, daß die konservativ-klerikale
Mehrheit in nächster Zeit die Lage beherrschen wird. Dieses Vorgefühl, in dem
politischen Kalkül des neuen Reichskanzlers etwas zurückgeschoben zu sein, beherrschte
augenscheinlich die liberalen Parteien, versetzte sie in kritische Stimmung und ver¬
anlaßte Konservative und Zentrum desto mehr, sich in die Rolle der Regierungs¬
mehrheit hineinzuleben.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aufgaben er stets eine Mehrheit finden werde, sofern nur jede Partei sich selbst
getreu bleibe, so spricht daraus, wie wir meinen, weit mehr Zuversicht in das
eigne Können und weit mehr die Ruhe der Erfahrung und Einsicht als die Rat¬
losigkeit eines zwischen erregten Leidenschaften versinkendem Piloten des Reichs¬
schiffs. Was konnte denn ein auf der Höhe seiner Aufgabe stehender Reichskanzler
unter den obwaltenden Umständen andres und besseres sagen, als daß er die
Parteien aufforderte, jede -einzelne ruhig an ihren Grundsätzen festzuhalten, er
werde für nötige und nützliche Aufgaben schon die geeigneten Mehrheiten finden?
Aber es gibt Situationen, in denen das Ohr des Zuhörers auf ganz andre Ein¬
drücke eingestellt und abgestimmt ist und an der Wirklichkeit, sozusagen, vorbeihört.
Man konnte sich in die leidenschaftslose, ausschließlich vorwärtsgerichtete Ausein¬
andersetzung des Reichskanzlers nicht hineinfinden, weil alles von dem Gedanken
erfüllt war. es müsse sich aus den Worten des Reichskanzlers etwas heraushören
lassen, was t>le noch halb in der Vergangenheit weilenden Stimmungen der
Parteien zum Mitschwingen bringen könne. Ans der Wendung, in der Herr
v. Bethmann Hollweg die Parteien auf ihre alten Traditionen und Ziele verwies,
wurde eine versteckte Kritik herausgehört, und seltsamerweise bezog sie insbesondre
die nationalliberale Partei auf sich, obwohl wenn der Reichskanzler überhaupt
damit die Kritik einer einzelnen Partei beabsichtigt hätte, die konservative Partei
weit mehr Ursache gehabt haben wurde, sich getroffen zu fühlen. Andre wieder
wollten in den Bemerkungen des Reichskanzlers über die Beziehungen seiner Politik
zu den Parteien überflüssige „väterliche Ermahnungen" oder gar „philosophische
Betrachtungen" sehen und stimmten darüber ein ärgerliches Räsonnement an. Was
an der Rede des Reichskanzlers philosophisch sein sollte, ist zwar für einen einiger¬
maßen nüchtern urteilenden Menschen nicht recht einzusehen, aber der gute Deutsche
muß jede neue Erscheinung mit einem Schlagwort abstempeln, und Herr v. Beth¬
mann Hollweg ist nun einmal der „philosophische" Reichskanzler, er mag feder,
was er will, und wenn er gar nicht redet, so ist er es erst recht.

Aber die Hauptsache ist, daß auf der linken Seite in mehr oder weniger
scharfer Form eine -Enttäuschung über das erste Auftreten des Reichskanzlers aus¬
gedrückt worden ist, -obwohl sich doch eigentlich jeder im voraus sagen konnte, daß
Herr v. Bethmann Hollweg die Wünsche der Liberalen nach dieser Richtung nicht
erfüllen werde. Nachdem die verbündeten Regierungen die Finanzrcform aus der
Hand des „schwarzblauen" Blocks hatten annehmen müssen, würde eine nachträgliche
Kritik an diesem Werke und der Art seines Zustandekommens vollkommen zwecklos
und sinnwidrig sein. Womit hätte also der Reichskanzler den Parteien der Linken
eine Freude machen sollen, wenn er nicht in einer ganz unnötigen und überflüssigen
Weise die Parteien gegeneinanderhetzen wollte? Aber es war wohl etwas andres,
was die Parteien der Linken mit Enttäuschung erfüllte. Es ließ sich vielleicht
weniger mit Worten zergliedern oder an Worten nachweisen, aber offenbar halte
man auf den Bänken der Linken den bestimmten Eindruck von dem Auftreten des
Reichskanzlers, daß nicht nur die praktische Staatsräson seine Politik bestimme,
sondern daß er der neuen Lage auch innerlich gar nicht unsympathisch gegenüber¬
stehe. Gewiß fern von unstaatsmännischer Einseitigkeit, durchaus kein engherziger
Parteimann, steht er doch der Mitwirkung und Einwirkung liberaler Ideen ein
gutes Stück ferner als sein Vorgänger. Und obwohl die liberalen Führer ihre
Bereitwilligkeit zu positiver Mitarbeit auch für die Folgezeit betont haben, so wird
man sich doch schwerlich täuschen, wenn man annimmt, daß die konservativ-klerikale
Mehrheit in nächster Zeit die Lage beherrschen wird. Dieses Vorgefühl, in dem
politischen Kalkül des neuen Reichskanzlers etwas zurückgeschoben zu sein, beherrschte
augenscheinlich die liberalen Parteien, versetzte sie in kritische Stimmung und ver¬
anlaßte Konservative und Zentrum desto mehr, sich in die Rolle der Regierungs¬
mehrheit hineinzuleben.


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[0582] Maßgebliches und Unmaßgebliches Aufgaben er stets eine Mehrheit finden werde, sofern nur jede Partei sich selbst getreu bleibe, so spricht daraus, wie wir meinen, weit mehr Zuversicht in das eigne Können und weit mehr die Ruhe der Erfahrung und Einsicht als die Rat¬ losigkeit eines zwischen erregten Leidenschaften versinkendem Piloten des Reichs¬ schiffs. Was konnte denn ein auf der Höhe seiner Aufgabe stehender Reichskanzler unter den obwaltenden Umständen andres und besseres sagen, als daß er die Parteien aufforderte, jede -einzelne ruhig an ihren Grundsätzen festzuhalten, er werde für nötige und nützliche Aufgaben schon die geeigneten Mehrheiten finden? Aber es gibt Situationen, in denen das Ohr des Zuhörers auf ganz andre Ein¬ drücke eingestellt und abgestimmt ist und an der Wirklichkeit, sozusagen, vorbeihört. Man konnte sich in die leidenschaftslose, ausschließlich vorwärtsgerichtete Ausein¬ andersetzung des Reichskanzlers nicht hineinfinden, weil alles von dem Gedanken erfüllt war. es müsse sich aus den Worten des Reichskanzlers etwas heraushören lassen, was t>le noch halb in der Vergangenheit weilenden Stimmungen der Parteien zum Mitschwingen bringen könne. Ans der Wendung, in der Herr v. Bethmann Hollweg die Parteien auf ihre alten Traditionen und Ziele verwies, wurde eine versteckte Kritik herausgehört, und seltsamerweise bezog sie insbesondre die nationalliberale Partei auf sich, obwohl wenn der Reichskanzler überhaupt damit die Kritik einer einzelnen Partei beabsichtigt hätte, die konservative Partei weit mehr Ursache gehabt haben wurde, sich getroffen zu fühlen. Andre wieder wollten in den Bemerkungen des Reichskanzlers über die Beziehungen seiner Politik zu den Parteien überflüssige „väterliche Ermahnungen" oder gar „philosophische Betrachtungen" sehen und stimmten darüber ein ärgerliches Räsonnement an. Was an der Rede des Reichskanzlers philosophisch sein sollte, ist zwar für einen einiger¬ maßen nüchtern urteilenden Menschen nicht recht einzusehen, aber der gute Deutsche muß jede neue Erscheinung mit einem Schlagwort abstempeln, und Herr v. Beth¬ mann Hollweg ist nun einmal der „philosophische" Reichskanzler, er mag feder, was er will, und wenn er gar nicht redet, so ist er es erst recht. Aber die Hauptsache ist, daß auf der linken Seite in mehr oder weniger scharfer Form eine -Enttäuschung über das erste Auftreten des Reichskanzlers aus¬ gedrückt worden ist, -obwohl sich doch eigentlich jeder im voraus sagen konnte, daß Herr v. Bethmann Hollweg die Wünsche der Liberalen nach dieser Richtung nicht erfüllen werde. Nachdem die verbündeten Regierungen die Finanzrcform aus der Hand des „schwarzblauen" Blocks hatten annehmen müssen, würde eine nachträgliche Kritik an diesem Werke und der Art seines Zustandekommens vollkommen zwecklos und sinnwidrig sein. Womit hätte also der Reichskanzler den Parteien der Linken eine Freude machen sollen, wenn er nicht in einer ganz unnötigen und überflüssigen Weise die Parteien gegeneinanderhetzen wollte? Aber es war wohl etwas andres, was die Parteien der Linken mit Enttäuschung erfüllte. Es ließ sich vielleicht weniger mit Worten zergliedern oder an Worten nachweisen, aber offenbar halte man auf den Bänken der Linken den bestimmten Eindruck von dem Auftreten des Reichskanzlers, daß nicht nur die praktische Staatsräson seine Politik bestimme, sondern daß er der neuen Lage auch innerlich gar nicht unsympathisch gegenüber¬ stehe. Gewiß fern von unstaatsmännischer Einseitigkeit, durchaus kein engherziger Parteimann, steht er doch der Mitwirkung und Einwirkung liberaler Ideen ein gutes Stück ferner als sein Vorgänger. Und obwohl die liberalen Führer ihre Bereitwilligkeit zu positiver Mitarbeit auch für die Folgezeit betont haben, so wird man sich doch schwerlich täuschen, wenn man annimmt, daß die konservativ-klerikale Mehrheit in nächster Zeit die Lage beherrschen wird. Dieses Vorgefühl, in dem politischen Kalkül des neuen Reichskanzlers etwas zurückgeschoben zu sein, beherrschte augenscheinlich die liberalen Parteien, versetzte sie in kritische Stimmung und ver¬ anlaßte Konservative und Zentrum desto mehr, sich in die Rolle der Regierungs¬ mehrheit hineinzuleben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/582>, abgerufen am 24.07.2024.