Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Was ist Monismus? Bon zwei Seiten her sucht man diese Hypothese zu unterbauen, durch Be¬ Beobachten wir die Embryonalentwicklung der verschiedensten Wesen, so Hier gilt es, den letzten, verhängnisvollen Streit zu erwähnen, in den Die paläontologischen Funde von Skeletten und Versteinerungen zeigen Grenzboten IV 1909 70
Was ist Monismus? Bon zwei Seiten her sucht man diese Hypothese zu unterbauen, durch Be¬ Beobachten wir die Embryonalentwicklung der verschiedensten Wesen, so Hier gilt es, den letzten, verhängnisvollen Streit zu erwähnen, in den Die paläontologischen Funde von Skeletten und Versteinerungen zeigen Grenzboten IV 1909 70
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314904"/> <fw type="header" place="top"> Was ist Monismus?</fw><lb/> <p xml:id="ID_2493"> Bon zwei Seiten her sucht man diese Hypothese zu unterbauen, durch Be¬<lb/> obachtungen und Schlüsse aus der Embryonalforschung und der Paläon¬<lb/> tologie.</p><lb/> <p xml:id="ID_2494"> Beobachten wir die Embryonalentwicklung der verschiedensten Wesen, so<lb/> gewahren wir in ihr ein einheitliches Grundgesetz. Soweit unsre Beobachtung<lb/> reicht, gleichen sich die ersten Stadien in der Entwicklung des befruchteten Eis<lb/> der Pflanze, des Tiers, des Menschen in ihren wesentlichsten Grundzügen.<lb/> Später erst zeigen sich die Verschiedenheiten, aber je verwandter die Wesen in<lb/> der Struktur ihres Vollendungszustandes sind, desto weiter hinaus gleicht sich<lb/> auch bei ihnen die Entwicklung der Embryonen. So nimmt man denn an,<lb/> daß alle die verschiedenartigen Organismen Aste und Zweige eines einheitlichen<lb/> Stammes der Entwicklung seien. Man stellt das biogenetische Grundgesetz<lb/> auf: die ontogenetische Entwicklung eines Wesens ist eine abgekürzte Wieder¬<lb/> holung der phylogenetischen, oder mit andern Worten: in den Stadien der Ge¬<lb/> staltung des Embryos können wir die Stadien wiedererkennen, die eine Art<lb/> von Wesen bis zu ihrer jetzigen Höchstentwicklung durchlaufen hat. So schließen<lb/> wir, daß der Mensch, ursprünglich aus einer Zelle entstanden, sich durch fisch¬<lb/> artige und andre Formen im Laufe der Jahrmillionen hindurch entwickelt hat,<lb/> aus der Beobachtung, daß sein Embryo noch heute hintereinander diese Formen<lb/> durchläuft. Nach unsrer Meinung erhellt aus den exakten, hier vorliegenden<lb/> Tatsachen nur dies, daß ein einheitliches Formengesetz durch alle organischen<lb/> Wesen hindurchwaltet, nichts weiter. Alles andre ist Hypothese, die wohl<lb/> wissenschaftlich erlaubt ist, aber nicht, wie es dort vielfach geschieht, selbst als<lb/> unumstößliche Tatsache hingestellt werden darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_2495"> Hier gilt es, den letzten, verhängnisvollen Streit zu erwähnen, in den<lb/> Haeckel durch den Zoologen Dr. Braß verwickelt worden ist. Dieser warf ihm<lb/> in seiner Schrift „Das Affenproblem" vor, er habe in seinen Büchern eine<lb/> Reihe von Embryonenbildern, die seine Hypothese stützen sollten, zu ihren<lb/> Gunsten gefälscht. Haeckel mußte zugestehn, daß etwa sechs bis acht Prozent<lb/> seiner Embryonenbilder nicht nach wirklich vorhandnen Präparaten hergestellt,<lb/> sondern zu dem Zweck erfunden seien, um eine zusammenhängende Entwicklungs¬<lb/> reihe herauszubekommen und vorhandne Lücken auszufüllen, ein Verfahren, das<lb/> ihm nicht nur von seinen Gegnern als Selbstvernichtung seines wissenschaft¬<lb/> lichen Charakters angerechnet wurde, sondern auch aus den Reihen seiner<lb/> Freunde heraus lebhafte Verurteilung fand.</p><lb/> <p xml:id="ID_2496" next="#ID_2497"> Die paläontologischen Funde von Skeletten und Versteinerungen zeigen<lb/> in der Tat ein Aufsteigen der Formationen bis zu ihrem heutigen Bestand.<lb/> Man findet zum Beispiel in den verschiedensten Erdperioden Geschöpfe, die sich<lb/> allmählich immer mehr dem heutigen Pferde annähern. Aber es ist ganz<lb/> natürlich, daß viele Zwischenformen verloren gegangen sind, sodaß eine lücken¬<lb/> lose Ausweisung des einheitlichen Stammbaums aller Wesen nie mit wissen¬<lb/> schaftlicher Exaktheit möglich sein wird. Besonders aber wird ein Zwischenglied</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1909 70</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0557]
Was ist Monismus?
Bon zwei Seiten her sucht man diese Hypothese zu unterbauen, durch Be¬
obachtungen und Schlüsse aus der Embryonalforschung und der Paläon¬
tologie.
Beobachten wir die Embryonalentwicklung der verschiedensten Wesen, so
gewahren wir in ihr ein einheitliches Grundgesetz. Soweit unsre Beobachtung
reicht, gleichen sich die ersten Stadien in der Entwicklung des befruchteten Eis
der Pflanze, des Tiers, des Menschen in ihren wesentlichsten Grundzügen.
Später erst zeigen sich die Verschiedenheiten, aber je verwandter die Wesen in
der Struktur ihres Vollendungszustandes sind, desto weiter hinaus gleicht sich
auch bei ihnen die Entwicklung der Embryonen. So nimmt man denn an,
daß alle die verschiedenartigen Organismen Aste und Zweige eines einheitlichen
Stammes der Entwicklung seien. Man stellt das biogenetische Grundgesetz
auf: die ontogenetische Entwicklung eines Wesens ist eine abgekürzte Wieder¬
holung der phylogenetischen, oder mit andern Worten: in den Stadien der Ge¬
staltung des Embryos können wir die Stadien wiedererkennen, die eine Art
von Wesen bis zu ihrer jetzigen Höchstentwicklung durchlaufen hat. So schließen
wir, daß der Mensch, ursprünglich aus einer Zelle entstanden, sich durch fisch¬
artige und andre Formen im Laufe der Jahrmillionen hindurch entwickelt hat,
aus der Beobachtung, daß sein Embryo noch heute hintereinander diese Formen
durchläuft. Nach unsrer Meinung erhellt aus den exakten, hier vorliegenden
Tatsachen nur dies, daß ein einheitliches Formengesetz durch alle organischen
Wesen hindurchwaltet, nichts weiter. Alles andre ist Hypothese, die wohl
wissenschaftlich erlaubt ist, aber nicht, wie es dort vielfach geschieht, selbst als
unumstößliche Tatsache hingestellt werden darf.
Hier gilt es, den letzten, verhängnisvollen Streit zu erwähnen, in den
Haeckel durch den Zoologen Dr. Braß verwickelt worden ist. Dieser warf ihm
in seiner Schrift „Das Affenproblem" vor, er habe in seinen Büchern eine
Reihe von Embryonenbildern, die seine Hypothese stützen sollten, zu ihren
Gunsten gefälscht. Haeckel mußte zugestehn, daß etwa sechs bis acht Prozent
seiner Embryonenbilder nicht nach wirklich vorhandnen Präparaten hergestellt,
sondern zu dem Zweck erfunden seien, um eine zusammenhängende Entwicklungs¬
reihe herauszubekommen und vorhandne Lücken auszufüllen, ein Verfahren, das
ihm nicht nur von seinen Gegnern als Selbstvernichtung seines wissenschaft¬
lichen Charakters angerechnet wurde, sondern auch aus den Reihen seiner
Freunde heraus lebhafte Verurteilung fand.
Die paläontologischen Funde von Skeletten und Versteinerungen zeigen
in der Tat ein Aufsteigen der Formationen bis zu ihrem heutigen Bestand.
Man findet zum Beispiel in den verschiedensten Erdperioden Geschöpfe, die sich
allmählich immer mehr dem heutigen Pferde annähern. Aber es ist ganz
natürlich, daß viele Zwischenformen verloren gegangen sind, sodaß eine lücken¬
lose Ausweisung des einheitlichen Stammbaums aller Wesen nie mit wissen¬
schaftlicher Exaktheit möglich sein wird. Besonders aber wird ein Zwischenglied
Grenzboten IV 1909 70
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