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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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N?as ist Monismus?

auf seinem Pfade eine gähnende Kluft auf, über die eine Brücke geschlagen werden
muß. Diese beiden Gegensätze, an deren Vereinigung sich das Denken von Jahr¬
tausenden zerarbeitete, sind Materie und Geist. Mit Descartes war die
Philosophie der neuern Zeit vor diese Kluft hingetreten. Er erkannte das Dasein
einer denkenden Und einer ausgedehnten Substanz, zwischen denen er keine Ver¬
bindung fand. Die Hauptarbeit der Folgezeit galt der Ausfüllung jener Kluft.
Spinoza griff ihr kühn vor und glaubte die Aufgabe schon gelöst, indem er nur
eine Substanz konstatierte, deren Attribute das Denken und die Ausdehnung
seien. Sein System ist eine erste großartige Ausprägung des Monismus in der
Neuzeit, an ihm orientiert sich alles monistische Denken der Spätern. Doch
besteht seine Bedeutung hauptsächlich darin, daß er mit großem Wurf die
Aufgabe gestellt hat, die Lösung ist ihm noch nicht gelungen. Wie vorher
Denken und Ausdehnung zwei einander fremde Substanzen sein sollten, so stehen
sie auch jetzt noch ohne innere Beziehung einander gegenüber, wo sie in einer
Substanz zusammengefaßt werden. Bloß durch ein Machtwort sind sie geeinigt:
sie sollen und müssen eins sein. Eine Vereinigung durch Worte aber zwingt
die Sache nicht.

Da das Denken mit aller Anstrengung die beiden Gegensätze nicht zusammen
zu bringen vermochte, so wählte es den einzigen Ausweg zur Einheit, der dann
noch möglich war: es suchte entweder den Geist auf die Materie zurückzuführen
oder umgekehrt die Materie auf den Geist. Damit haben wir zwei Arten des
Monismus, den materialistischen und den spiritualistischen. Der materialistische
Monismus sieht als den einen Weltgrund den Stoff an, auf dessen Bewegungen
alles, was da ist und lebt, zurückgeführt werden müsse und könne, auch das, was
wir als Geist und geistiges Leben bezeichnen. Alle Gedanken, alles, was unser
Gemüt bewegt in Lust und Schmerz, es ist nichts andres als Bewegung letzter
Stoffteilchen. Wie die Leber Galle absondert und die Nieren Urin, so ist der
Gedanke ein Sekret des Gehirns. Vor jedem wirklichen Denken richtet sich diese
Anschauung selbst. In dieser konsequenten Klarheit wird sie nirgends mehr
wissenschaftlich behauptet, wenn sie sich auch als Philosophie der des Denkens
ungewohnten Massen behauptet. Es liegt doch zu klar auf der Hand, daß Druck
und Stoß oder chemische Anziehung und Abstoßung etwas total andres sind
als Denken und Fühlen. Und wenn behauptet wird, das Geistige sei nicht die
physikalische Bewegung oder chemische Verbindung selbst, sondern ein Neben¬
produkt, so ist eben doch dieses Produkt mit der produzierenden Ursache durchaus
unvergleichbar, auf sie nicht zurückführbar. Niemand kann es begreiflich machen,
wie aus dem Stoff und den stofflichen Vorgängen plötzlich der geistige Funke
hervorblitzt. Die Zurückführung des Geistes auf den Stoff bleibt eine bloße
Behauptung, deren Widersinn jedem tiefer dringenden Denken sofort einleuchtet.

So versuchte das Denken der großen Philosophen der neuen Zeit denn den
andern Weg, nämlich den einheitlichen Grund der Welt als "Geist" nachzuweisen
und die Materie in Geist aufzulösen. Die Bemühungen des spiritualistischen


N?as ist Monismus?

auf seinem Pfade eine gähnende Kluft auf, über die eine Brücke geschlagen werden
muß. Diese beiden Gegensätze, an deren Vereinigung sich das Denken von Jahr¬
tausenden zerarbeitete, sind Materie und Geist. Mit Descartes war die
Philosophie der neuern Zeit vor diese Kluft hingetreten. Er erkannte das Dasein
einer denkenden Und einer ausgedehnten Substanz, zwischen denen er keine Ver¬
bindung fand. Die Hauptarbeit der Folgezeit galt der Ausfüllung jener Kluft.
Spinoza griff ihr kühn vor und glaubte die Aufgabe schon gelöst, indem er nur
eine Substanz konstatierte, deren Attribute das Denken und die Ausdehnung
seien. Sein System ist eine erste großartige Ausprägung des Monismus in der
Neuzeit, an ihm orientiert sich alles monistische Denken der Spätern. Doch
besteht seine Bedeutung hauptsächlich darin, daß er mit großem Wurf die
Aufgabe gestellt hat, die Lösung ist ihm noch nicht gelungen. Wie vorher
Denken und Ausdehnung zwei einander fremde Substanzen sein sollten, so stehen
sie auch jetzt noch ohne innere Beziehung einander gegenüber, wo sie in einer
Substanz zusammengefaßt werden. Bloß durch ein Machtwort sind sie geeinigt:
sie sollen und müssen eins sein. Eine Vereinigung durch Worte aber zwingt
die Sache nicht.

Da das Denken mit aller Anstrengung die beiden Gegensätze nicht zusammen
zu bringen vermochte, so wählte es den einzigen Ausweg zur Einheit, der dann
noch möglich war: es suchte entweder den Geist auf die Materie zurückzuführen
oder umgekehrt die Materie auf den Geist. Damit haben wir zwei Arten des
Monismus, den materialistischen und den spiritualistischen. Der materialistische
Monismus sieht als den einen Weltgrund den Stoff an, auf dessen Bewegungen
alles, was da ist und lebt, zurückgeführt werden müsse und könne, auch das, was
wir als Geist und geistiges Leben bezeichnen. Alle Gedanken, alles, was unser
Gemüt bewegt in Lust und Schmerz, es ist nichts andres als Bewegung letzter
Stoffteilchen. Wie die Leber Galle absondert und die Nieren Urin, so ist der
Gedanke ein Sekret des Gehirns. Vor jedem wirklichen Denken richtet sich diese
Anschauung selbst. In dieser konsequenten Klarheit wird sie nirgends mehr
wissenschaftlich behauptet, wenn sie sich auch als Philosophie der des Denkens
ungewohnten Massen behauptet. Es liegt doch zu klar auf der Hand, daß Druck
und Stoß oder chemische Anziehung und Abstoßung etwas total andres sind
als Denken und Fühlen. Und wenn behauptet wird, das Geistige sei nicht die
physikalische Bewegung oder chemische Verbindung selbst, sondern ein Neben¬
produkt, so ist eben doch dieses Produkt mit der produzierenden Ursache durchaus
unvergleichbar, auf sie nicht zurückführbar. Niemand kann es begreiflich machen,
wie aus dem Stoff und den stofflichen Vorgängen plötzlich der geistige Funke
hervorblitzt. Die Zurückführung des Geistes auf den Stoff bleibt eine bloße
Behauptung, deren Widersinn jedem tiefer dringenden Denken sofort einleuchtet.

So versuchte das Denken der großen Philosophen der neuen Zeit denn den
andern Weg, nämlich den einheitlichen Grund der Welt als „Geist" nachzuweisen
und die Materie in Geist aufzulösen. Die Bemühungen des spiritualistischen


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[0552] N?as ist Monismus? auf seinem Pfade eine gähnende Kluft auf, über die eine Brücke geschlagen werden muß. Diese beiden Gegensätze, an deren Vereinigung sich das Denken von Jahr¬ tausenden zerarbeitete, sind Materie und Geist. Mit Descartes war die Philosophie der neuern Zeit vor diese Kluft hingetreten. Er erkannte das Dasein einer denkenden Und einer ausgedehnten Substanz, zwischen denen er keine Ver¬ bindung fand. Die Hauptarbeit der Folgezeit galt der Ausfüllung jener Kluft. Spinoza griff ihr kühn vor und glaubte die Aufgabe schon gelöst, indem er nur eine Substanz konstatierte, deren Attribute das Denken und die Ausdehnung seien. Sein System ist eine erste großartige Ausprägung des Monismus in der Neuzeit, an ihm orientiert sich alles monistische Denken der Spätern. Doch besteht seine Bedeutung hauptsächlich darin, daß er mit großem Wurf die Aufgabe gestellt hat, die Lösung ist ihm noch nicht gelungen. Wie vorher Denken und Ausdehnung zwei einander fremde Substanzen sein sollten, so stehen sie auch jetzt noch ohne innere Beziehung einander gegenüber, wo sie in einer Substanz zusammengefaßt werden. Bloß durch ein Machtwort sind sie geeinigt: sie sollen und müssen eins sein. Eine Vereinigung durch Worte aber zwingt die Sache nicht. Da das Denken mit aller Anstrengung die beiden Gegensätze nicht zusammen zu bringen vermochte, so wählte es den einzigen Ausweg zur Einheit, der dann noch möglich war: es suchte entweder den Geist auf die Materie zurückzuführen oder umgekehrt die Materie auf den Geist. Damit haben wir zwei Arten des Monismus, den materialistischen und den spiritualistischen. Der materialistische Monismus sieht als den einen Weltgrund den Stoff an, auf dessen Bewegungen alles, was da ist und lebt, zurückgeführt werden müsse und könne, auch das, was wir als Geist und geistiges Leben bezeichnen. Alle Gedanken, alles, was unser Gemüt bewegt in Lust und Schmerz, es ist nichts andres als Bewegung letzter Stoffteilchen. Wie die Leber Galle absondert und die Nieren Urin, so ist der Gedanke ein Sekret des Gehirns. Vor jedem wirklichen Denken richtet sich diese Anschauung selbst. In dieser konsequenten Klarheit wird sie nirgends mehr wissenschaftlich behauptet, wenn sie sich auch als Philosophie der des Denkens ungewohnten Massen behauptet. Es liegt doch zu klar auf der Hand, daß Druck und Stoß oder chemische Anziehung und Abstoßung etwas total andres sind als Denken und Fühlen. Und wenn behauptet wird, das Geistige sei nicht die physikalische Bewegung oder chemische Verbindung selbst, sondern ein Neben¬ produkt, so ist eben doch dieses Produkt mit der produzierenden Ursache durchaus unvergleichbar, auf sie nicht zurückführbar. Niemand kann es begreiflich machen, wie aus dem Stoff und den stofflichen Vorgängen plötzlich der geistige Funke hervorblitzt. Die Zurückführung des Geistes auf den Stoff bleibt eine bloße Behauptung, deren Widersinn jedem tiefer dringenden Denken sofort einleuchtet. So versuchte das Denken der großen Philosophen der neuen Zeit denn den andern Weg, nämlich den einheitlichen Grund der Welt als „Geist" nachzuweisen und die Materie in Geist aufzulösen. Die Bemühungen des spiritualistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/552>, abgerufen am 24.07.2024.