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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hofleben und Staatsorganismus in Siam

dacht und auf Drängen der Großen geschaffen, stellte dieses zweite Königtum
einen Zwitterzustand dar mit den äußern Ehren eines Scheinkönigtums, aber
ohne innere Macht, und bildete eine stete Quelle intriganter Eifersüchteleien.
Zwar ernannte der jetzige König bei Antritt seiner Negierung den üblichen
Schattenkönig, aber mit dessen Tode hatte die Herrlichkeit ein Ende für
immerdar. Jetzt ist der König unumschränkter Machthaber, und er hat seine
Herrschaft auf die ihm treu ergebner Mitglieder seiner Familie gestützt und
hat eine Reihe intelligenter Halbbrüder an die Spitzen der Ministerien gestellt.
Neben dem bekannten und vielgewandten Prinzen Devawongse, dem lang¬
jährigen Leiter des Auswärtigen Amtes, möchte ich den hervorragenden
Minister des Innern, Prinz Damrong, besonders erwähnen. Wenn jetzt im
Lande geordnete Zustände herrschen, wenn man sich sogar in den fernsten und
unwirtlichsten Gegenden, unter halbwilden Stämmen sicher wie in Abrahams
Schoße fühlen kann, wenn Polizei und Verwaltung geregelt funktionieren, so
ist es dem unermüdlichen, langjährigen Wirken dieses ebenso einsichtsvollen wie
energischen Mannes zu danken.

Welche Wandlung hat sich unter der zielbewußter stetigen Negierung des
Königs Chulalongkorn vollzogen! Die Rechtspflege lag im argen, die Richter
waren bestechlich und ungebildet, das Volk, noch zum Teil unter der Fessel
entwürdigender Sklaverei seufzend, wurde von den Beamten ausgesogen, in deren
Taschen weitaus der größte Teil der Steuereinnahmen verschwand, und fronte
in staatlich konzessionierten Spielhöllen und Opiumhöhlen, aus denen die
Staatseinnahmen mit herrührten, entnervender Leidenschaft. Jetzt bietet
Siam das Bild eines blühenden, emporstrebenden Staatswesens, nach euro¬
päischem Muster organisiert und wirtschaftlich in stetem Fortschritt begriffen.
Man darf allerdings nicht verkennen, daß dieses große Reformwerk des Königs
nicht ohne die tatkräftige Mitwirkung europäischer Ratgeber möglich gewesen
ist. Vor allem darf der frühere belgische Minister des Innern, Rolin
Jaequemyns, nicht unerwähnt bleiben. Dieser Staatsmann, dem der Ruf eines
ausgezeichneten Kenners des internationalen Rechts vorausging, hat von
Beginn der neunziger Jahre an die hauptsächlichsten Reformen in Angriff
genommen, glücklich durchgeführt und durch gründliche Reorganisation der
Finanzen und der Justiz das Staatswesen auf eine gesunde Grundlage ge¬
stellt. Erst zwei Jahre nach dem Tode dieses von allen Siamesen wie ein
Vater verehrten alten Herrn gelang es im Jahre 1904 einen vollwertigen
Nachfolger in der Person des leider auch schon wieder verstorbnen Amerikaners
Mr. Strobel zu finden, der früher im diplomatischen Dienste der Vereinigten
Staaten gestanden hatte. Das vornehmliche Bemühen dieser beiden Männer
war es nun, neben der Einführung moderner Gesetze einen Stab von tüchtigen
europäischen Beamten ins Land zu ziehen, die in leitenden Stellungen inner¬
halb der Ministerien wie an der Spitze von Behörden Träger des Reform¬
werks wurden.


Grenzboten IV 1909 69
Hofleben und Staatsorganismus in Siam

dacht und auf Drängen der Großen geschaffen, stellte dieses zweite Königtum
einen Zwitterzustand dar mit den äußern Ehren eines Scheinkönigtums, aber
ohne innere Macht, und bildete eine stete Quelle intriganter Eifersüchteleien.
Zwar ernannte der jetzige König bei Antritt seiner Negierung den üblichen
Schattenkönig, aber mit dessen Tode hatte die Herrlichkeit ein Ende für
immerdar. Jetzt ist der König unumschränkter Machthaber, und er hat seine
Herrschaft auf die ihm treu ergebner Mitglieder seiner Familie gestützt und
hat eine Reihe intelligenter Halbbrüder an die Spitzen der Ministerien gestellt.
Neben dem bekannten und vielgewandten Prinzen Devawongse, dem lang¬
jährigen Leiter des Auswärtigen Amtes, möchte ich den hervorragenden
Minister des Innern, Prinz Damrong, besonders erwähnen. Wenn jetzt im
Lande geordnete Zustände herrschen, wenn man sich sogar in den fernsten und
unwirtlichsten Gegenden, unter halbwilden Stämmen sicher wie in Abrahams
Schoße fühlen kann, wenn Polizei und Verwaltung geregelt funktionieren, so
ist es dem unermüdlichen, langjährigen Wirken dieses ebenso einsichtsvollen wie
energischen Mannes zu danken.

Welche Wandlung hat sich unter der zielbewußter stetigen Negierung des
Königs Chulalongkorn vollzogen! Die Rechtspflege lag im argen, die Richter
waren bestechlich und ungebildet, das Volk, noch zum Teil unter der Fessel
entwürdigender Sklaverei seufzend, wurde von den Beamten ausgesogen, in deren
Taschen weitaus der größte Teil der Steuereinnahmen verschwand, und fronte
in staatlich konzessionierten Spielhöllen und Opiumhöhlen, aus denen die
Staatseinnahmen mit herrührten, entnervender Leidenschaft. Jetzt bietet
Siam das Bild eines blühenden, emporstrebenden Staatswesens, nach euro¬
päischem Muster organisiert und wirtschaftlich in stetem Fortschritt begriffen.
Man darf allerdings nicht verkennen, daß dieses große Reformwerk des Königs
nicht ohne die tatkräftige Mitwirkung europäischer Ratgeber möglich gewesen
ist. Vor allem darf der frühere belgische Minister des Innern, Rolin
Jaequemyns, nicht unerwähnt bleiben. Dieser Staatsmann, dem der Ruf eines
ausgezeichneten Kenners des internationalen Rechts vorausging, hat von
Beginn der neunziger Jahre an die hauptsächlichsten Reformen in Angriff
genommen, glücklich durchgeführt und durch gründliche Reorganisation der
Finanzen und der Justiz das Staatswesen auf eine gesunde Grundlage ge¬
stellt. Erst zwei Jahre nach dem Tode dieses von allen Siamesen wie ein
Vater verehrten alten Herrn gelang es im Jahre 1904 einen vollwertigen
Nachfolger in der Person des leider auch schon wieder verstorbnen Amerikaners
Mr. Strobel zu finden, der früher im diplomatischen Dienste der Vereinigten
Staaten gestanden hatte. Das vornehmliche Bemühen dieser beiden Männer
war es nun, neben der Einführung moderner Gesetze einen Stab von tüchtigen
europäischen Beamten ins Land zu ziehen, die in leitenden Stellungen inner¬
halb der Ministerien wie an der Spitze von Behörden Träger des Reform¬
werks wurden.


Grenzboten IV 1909 69
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[0549] Hofleben und Staatsorganismus in Siam dacht und auf Drängen der Großen geschaffen, stellte dieses zweite Königtum einen Zwitterzustand dar mit den äußern Ehren eines Scheinkönigtums, aber ohne innere Macht, und bildete eine stete Quelle intriganter Eifersüchteleien. Zwar ernannte der jetzige König bei Antritt seiner Negierung den üblichen Schattenkönig, aber mit dessen Tode hatte die Herrlichkeit ein Ende für immerdar. Jetzt ist der König unumschränkter Machthaber, und er hat seine Herrschaft auf die ihm treu ergebner Mitglieder seiner Familie gestützt und hat eine Reihe intelligenter Halbbrüder an die Spitzen der Ministerien gestellt. Neben dem bekannten und vielgewandten Prinzen Devawongse, dem lang¬ jährigen Leiter des Auswärtigen Amtes, möchte ich den hervorragenden Minister des Innern, Prinz Damrong, besonders erwähnen. Wenn jetzt im Lande geordnete Zustände herrschen, wenn man sich sogar in den fernsten und unwirtlichsten Gegenden, unter halbwilden Stämmen sicher wie in Abrahams Schoße fühlen kann, wenn Polizei und Verwaltung geregelt funktionieren, so ist es dem unermüdlichen, langjährigen Wirken dieses ebenso einsichtsvollen wie energischen Mannes zu danken. Welche Wandlung hat sich unter der zielbewußter stetigen Negierung des Königs Chulalongkorn vollzogen! Die Rechtspflege lag im argen, die Richter waren bestechlich und ungebildet, das Volk, noch zum Teil unter der Fessel entwürdigender Sklaverei seufzend, wurde von den Beamten ausgesogen, in deren Taschen weitaus der größte Teil der Steuereinnahmen verschwand, und fronte in staatlich konzessionierten Spielhöllen und Opiumhöhlen, aus denen die Staatseinnahmen mit herrührten, entnervender Leidenschaft. Jetzt bietet Siam das Bild eines blühenden, emporstrebenden Staatswesens, nach euro¬ päischem Muster organisiert und wirtschaftlich in stetem Fortschritt begriffen. Man darf allerdings nicht verkennen, daß dieses große Reformwerk des Königs nicht ohne die tatkräftige Mitwirkung europäischer Ratgeber möglich gewesen ist. Vor allem darf der frühere belgische Minister des Innern, Rolin Jaequemyns, nicht unerwähnt bleiben. Dieser Staatsmann, dem der Ruf eines ausgezeichneten Kenners des internationalen Rechts vorausging, hat von Beginn der neunziger Jahre an die hauptsächlichsten Reformen in Angriff genommen, glücklich durchgeführt und durch gründliche Reorganisation der Finanzen und der Justiz das Staatswesen auf eine gesunde Grundlage ge¬ stellt. Erst zwei Jahre nach dem Tode dieses von allen Siamesen wie ein Vater verehrten alten Herrn gelang es im Jahre 1904 einen vollwertigen Nachfolger in der Person des leider auch schon wieder verstorbnen Amerikaners Mr. Strobel zu finden, der früher im diplomatischen Dienste der Vereinigten Staaten gestanden hatte. Das vornehmliche Bemühen dieser beiden Männer war es nun, neben der Einführung moderner Gesetze einen Stab von tüchtigen europäischen Beamten ins Land zu ziehen, die in leitenden Stellungen inner¬ halb der Ministerien wie an der Spitze von Behörden Träger des Reform¬ werks wurden. Grenzboten IV 1909 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/549>, abgerufen am 24.07.2024.