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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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bald darauf. Wenn nun auch der Tod von allen Schrecken, die ihm voran-
zugehn pflegen, das erwünschte Ende ist. wie Lessing in der erwähnten Ab¬
handlung sagt, so bleiben doch eben diese unmittelbar vorhergehenden Schrecken,
die Todesursachen, um die niemand herumkommt, bestehn, und wer die Vor¬
stellung von ihnen mildert, der erweist der Menschheit einen Dienst. Oscar
Bloch. Professor der Chirurgie an der Universität Kopenhagen, beabsichtigt
diesen Dienst mit seinen zwei Bänden "Vom Tode" (die von Dr. Peter Misch
besorgte deutsche Ausgabe ist ohne Jahreszahl in Axel Junkers Verlag
-- Berlin, Stuttgart. Leipzig -- erschienen). Leider wird das Werk kaum eine
große Leserzahl finden, denn 900 Seiten Berichte über Operationen. Unglücks-
fMe, Selbstmorde, Hinrichtungen und über den Verlauf tödlicher Krankheiten
lesen, wird den meisten eine Vermehrung statt einer Verminderung der Todes¬
schrecken dünken. Doch wer die für Nervenschwache allerdings wemg geeignete
Lektüre nicht scheut, wird nicht allein die beabsichtigte Wirkung spüren, sondern
auch manches lernen, was ihm für die Regelung seines Verhaltens bei Krank¬
heiten seiner Angehörigen von Nutzen sein kann. Für solche, die keine Lust
dazu haben, will ich einiges von dem Tröstlichen, das dieses Buch enthält,
zusammenstellen. Das Fachwissenschaftliche, das übrigens gemeinverständlich
behandelt ist. lasse ich beiseite.

Man kann den Trost in den kurzen Satz zusammenfassen: der Tod selbst
ist fast immer schmerzlos, und die vorangehenden Leiden sind meist nicht so
groß, wie sie zu sein scheinen. Der Verfasser beginnt mit einer Betrachtung
darüber, daß wir nicht wissen, was der Tod ist. weil wir nicht wissen, was
das Leben ist. (Wir kennen natürlich vieles von dem, was ein lebender Or¬
ganismus verrichtet, tut und leidet, und wissen, wie einem lebenden Wesen
zumute ist. aber wie die unorganischen Stoffe oder die sie verwendenden un¬
bekannten Mächte es anfangen, einen Organismus aufzubauen und ihn am
Leben zu erhalten, das wissen wir nicht.) Er geht dann die nach den Todes¬
ursachen eingekeilten verschiednen Todesarten durch und zeigt zunächst bei den
Krankheiten, wie die Erkrankung eines Organs andre in Mitleidenschaft zieht,
ferner daß häufig nicht die sozusagen dominierende tödliche Krankheit, sondern
eine dazu tretende, ein Zwischenfall, wie man das heute in der Politik nennt,
den Tod herbeiführt, und daß sich sehr oft gar nicht ermitteln läßt, woran
eigentlich der Hingeschiedne gestorben ist. Von dem Herzkranken wird durch
Beschreibung einzelner Fälle' und durch physiologische Erörterungen nachge¬
wiesen, ..daß ihm ein sanftes, mildes Sterben beschieden ist, sogar in Fällen,
wo seine Umgebung glaubt, daß er schwer leide". Der Hirnkranke ist ge¬
wöhnlich bewußtlos. "Die Kopfschmerzen pressen dem hirnkranken Kinde
gellende Schreie aus, und da es oft auch mit den Zähnen knirscht, macht das
natürlich den Eindruck, als ob das Kind viel durchzumachen habe; in Wirk¬
lichkeit aber ist es bewußtlos und empfindet nichts; erwacht es später, so weiß
es nichts von alledem. was mit ihm geschehen ist." Kann man von Kopf-


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bald darauf. Wenn nun auch der Tod von allen Schrecken, die ihm voran-
zugehn pflegen, das erwünschte Ende ist. wie Lessing in der erwähnten Ab¬
handlung sagt, so bleiben doch eben diese unmittelbar vorhergehenden Schrecken,
die Todesursachen, um die niemand herumkommt, bestehn, und wer die Vor¬
stellung von ihnen mildert, der erweist der Menschheit einen Dienst. Oscar
Bloch. Professor der Chirurgie an der Universität Kopenhagen, beabsichtigt
diesen Dienst mit seinen zwei Bänden „Vom Tode" (die von Dr. Peter Misch
besorgte deutsche Ausgabe ist ohne Jahreszahl in Axel Junkers Verlag
— Berlin, Stuttgart. Leipzig — erschienen). Leider wird das Werk kaum eine
große Leserzahl finden, denn 900 Seiten Berichte über Operationen. Unglücks-
fMe, Selbstmorde, Hinrichtungen und über den Verlauf tödlicher Krankheiten
lesen, wird den meisten eine Vermehrung statt einer Verminderung der Todes¬
schrecken dünken. Doch wer die für Nervenschwache allerdings wemg geeignete
Lektüre nicht scheut, wird nicht allein die beabsichtigte Wirkung spüren, sondern
auch manches lernen, was ihm für die Regelung seines Verhaltens bei Krank¬
heiten seiner Angehörigen von Nutzen sein kann. Für solche, die keine Lust
dazu haben, will ich einiges von dem Tröstlichen, das dieses Buch enthält,
zusammenstellen. Das Fachwissenschaftliche, das übrigens gemeinverständlich
behandelt ist. lasse ich beiseite.

Man kann den Trost in den kurzen Satz zusammenfassen: der Tod selbst
ist fast immer schmerzlos, und die vorangehenden Leiden sind meist nicht so
groß, wie sie zu sein scheinen. Der Verfasser beginnt mit einer Betrachtung
darüber, daß wir nicht wissen, was der Tod ist. weil wir nicht wissen, was
das Leben ist. (Wir kennen natürlich vieles von dem, was ein lebender Or¬
ganismus verrichtet, tut und leidet, und wissen, wie einem lebenden Wesen
zumute ist. aber wie die unorganischen Stoffe oder die sie verwendenden un¬
bekannten Mächte es anfangen, einen Organismus aufzubauen und ihn am
Leben zu erhalten, das wissen wir nicht.) Er geht dann die nach den Todes¬
ursachen eingekeilten verschiednen Todesarten durch und zeigt zunächst bei den
Krankheiten, wie die Erkrankung eines Organs andre in Mitleidenschaft zieht,
ferner daß häufig nicht die sozusagen dominierende tödliche Krankheit, sondern
eine dazu tretende, ein Zwischenfall, wie man das heute in der Politik nennt,
den Tod herbeiführt, und daß sich sehr oft gar nicht ermitteln läßt, woran
eigentlich der Hingeschiedne gestorben ist. Von dem Herzkranken wird durch
Beschreibung einzelner Fälle' und durch physiologische Erörterungen nachge¬
wiesen, ..daß ihm ein sanftes, mildes Sterben beschieden ist, sogar in Fällen,
wo seine Umgebung glaubt, daß er schwer leide». Der Hirnkranke ist ge¬
wöhnlich bewußtlos. „Die Kopfschmerzen pressen dem hirnkranken Kinde
gellende Schreie aus, und da es oft auch mit den Zähnen knirscht, macht das
natürlich den Eindruck, als ob das Kind viel durchzumachen habe; in Wirk¬
lichkeit aber ist es bewußtlos und empfindet nichts; erwacht es später, so weiß
es nichts von alledem. was mit ihm geschehen ist." Kann man von Kopf-


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[0503] Line Hilfe zur Luthanaste bald darauf. Wenn nun auch der Tod von allen Schrecken, die ihm voran- zugehn pflegen, das erwünschte Ende ist. wie Lessing in der erwähnten Ab¬ handlung sagt, so bleiben doch eben diese unmittelbar vorhergehenden Schrecken, die Todesursachen, um die niemand herumkommt, bestehn, und wer die Vor¬ stellung von ihnen mildert, der erweist der Menschheit einen Dienst. Oscar Bloch. Professor der Chirurgie an der Universität Kopenhagen, beabsichtigt diesen Dienst mit seinen zwei Bänden „Vom Tode" (die von Dr. Peter Misch besorgte deutsche Ausgabe ist ohne Jahreszahl in Axel Junkers Verlag — Berlin, Stuttgart. Leipzig — erschienen). Leider wird das Werk kaum eine große Leserzahl finden, denn 900 Seiten Berichte über Operationen. Unglücks- fMe, Selbstmorde, Hinrichtungen und über den Verlauf tödlicher Krankheiten lesen, wird den meisten eine Vermehrung statt einer Verminderung der Todes¬ schrecken dünken. Doch wer die für Nervenschwache allerdings wemg geeignete Lektüre nicht scheut, wird nicht allein die beabsichtigte Wirkung spüren, sondern auch manches lernen, was ihm für die Regelung seines Verhaltens bei Krank¬ heiten seiner Angehörigen von Nutzen sein kann. Für solche, die keine Lust dazu haben, will ich einiges von dem Tröstlichen, das dieses Buch enthält, zusammenstellen. Das Fachwissenschaftliche, das übrigens gemeinverständlich behandelt ist. lasse ich beiseite. Man kann den Trost in den kurzen Satz zusammenfassen: der Tod selbst ist fast immer schmerzlos, und die vorangehenden Leiden sind meist nicht so groß, wie sie zu sein scheinen. Der Verfasser beginnt mit einer Betrachtung darüber, daß wir nicht wissen, was der Tod ist. weil wir nicht wissen, was das Leben ist. (Wir kennen natürlich vieles von dem, was ein lebender Or¬ ganismus verrichtet, tut und leidet, und wissen, wie einem lebenden Wesen zumute ist. aber wie die unorganischen Stoffe oder die sie verwendenden un¬ bekannten Mächte es anfangen, einen Organismus aufzubauen und ihn am Leben zu erhalten, das wissen wir nicht.) Er geht dann die nach den Todes¬ ursachen eingekeilten verschiednen Todesarten durch und zeigt zunächst bei den Krankheiten, wie die Erkrankung eines Organs andre in Mitleidenschaft zieht, ferner daß häufig nicht die sozusagen dominierende tödliche Krankheit, sondern eine dazu tretende, ein Zwischenfall, wie man das heute in der Politik nennt, den Tod herbeiführt, und daß sich sehr oft gar nicht ermitteln läßt, woran eigentlich der Hingeschiedne gestorben ist. Von dem Herzkranken wird durch Beschreibung einzelner Fälle' und durch physiologische Erörterungen nachge¬ wiesen, ..daß ihm ein sanftes, mildes Sterben beschieden ist, sogar in Fällen, wo seine Umgebung glaubt, daß er schwer leide». Der Hirnkranke ist ge¬ wöhnlich bewußtlos. „Die Kopfschmerzen pressen dem hirnkranken Kinde gellende Schreie aus, und da es oft auch mit den Zähnen knirscht, macht das natürlich den Eindruck, als ob das Kind viel durchzumachen habe; in Wirk¬ lichkeit aber ist es bewußtlos und empfindet nichts; erwacht es später, so weiß es nichts von alledem. was mit ihm geschehen ist." Kann man von Kopf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/503>, abgerufen am 24.07.2024.