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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hur Soziologie des Christentums

exakten der sozialpsychologischen Milieugeschichte; nicht um die Lösung der
letzten Fragen der Religion handelt es sich hier, sondern um die Ergründung
der ersten und tiefsten Vorbedingungen für die Ausbreitung der Wurzeln des
Christentums im Boden seiner Zeit. Und im eigentlichsten Sinne unter dem
Boden lagen die Gegenstände zum Studiuni jener Vorbedingungen: es sind
die Trümmer der Aufzeichnungen jener Menschen, auf die das Christentum zuerst
gewirkt hat, Aufzeichnungen privater, schlichter Art in Stein, Papyrus und
Ton, wie sie in Kleinasien und besonders in Ägypten massenhaft zutage kamen
und einen Blick in das Denken und Fühlen des einfachen Volkes gestatten.
Die Archäologie also ist es. die das Material liefert, und die Soziologie
ist es, die dieses Material für die Urgeschichte des Christentums verwertet. Wir
erhalten eine mit archäologischen Mitteln unternommne soziologische Analyse des
Grundbuches der Christenheit, des Neuen Testaments, so etwa läßt sich der
Inhalt des nun schon in zweiter und dritter Auflage vorliegenden Werkes von
Professor Ad. Deißmann in Berlin "Licht vom Osten", Tübingen, Mohr, 1909,
kurz umschreiben; denn obwohl die Worte Archäologie und Soziologie, soviel
ich sehe, in dem ganzen Buche nicht vorkommen, so scheinen sie mir doch zur
Kennzeichnung der vom Verfasser befolgten Methode besser beizutragen als
die im Buche selbst vorgeuommne Dreiteilung der Betrachtung nach sprach-,
literar- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, weil sich diese drei eben unter
den gemeinsamen Begriff des soziologischen subsummieren lassen. Die Hilfe
dieser jungen Wissenschaft aber sollte sich Deißmann schon darum nicht entgehn
lassen, weil seine Darlegungen im Grunde den Nachweis führen wollen, daß
das Urchristentum in den untern und mittlern Schichten wurzelt ^s. S. 209) und
gerade nach dieser Richtung hin von Vertretern der älteren Theologie bekämpft
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Deißmann beginnt mit der sprach geschichtlichen Betrachtung des Neuen
Testaments. Hier konnte er am wenigsten auf Widerspruch stoßen, weil
hierüber die Forschungen am weitesten gediehen und um einmütigsten anerkannt
ist. War es doch Deißmann selbst, der die einseitigen theologischen Ansichten
von einem eignen "Bibelgriechisch" zuerst mutig bekämpft und in zahlreicher,
Untersuchungen, wie seinen "Bibelstudien", unwiderleglich nachgewiesen hat, daß
das neutestamentliche Griechisch weiter nichts ist als die allgemeine Umgangs¬
sprache der hellenistischen Zeit, also etwas sehr Profanes, das man aus Un¬
kenntnis und Mangel an Vergleichungspunkten als etwas "Heiliges" auffaßte,
weil man sichs nicht erklären konnte, Deißmanns großes Verdienst ist es, daß
er Mit der bogen"lischen Betrachtung der neutestamentlichen Sprache > ge¬
brochen und die sprachhistorische -- oder sagen wir lieber biologische - an
ihre Stelle gesetzt hat. Er hat nachgewiesen und weist es jetzt noch einmal nach,
daß die ganze sprachliche Struktur des Neuen Testaments übereinstimmt nicht
sowohl mit den literarischen als mit den nich t literarischen Denkmälern der Zeit,
vor allem mit dem Volksgriechisch der Papyrusurkunden, und zwar wieder nicht.


Hur Soziologie des Christentums

exakten der sozialpsychologischen Milieugeschichte; nicht um die Lösung der
letzten Fragen der Religion handelt es sich hier, sondern um die Ergründung
der ersten und tiefsten Vorbedingungen für die Ausbreitung der Wurzeln des
Christentums im Boden seiner Zeit. Und im eigentlichsten Sinne unter dem
Boden lagen die Gegenstände zum Studiuni jener Vorbedingungen: es sind
die Trümmer der Aufzeichnungen jener Menschen, auf die das Christentum zuerst
gewirkt hat, Aufzeichnungen privater, schlichter Art in Stein, Papyrus und
Ton, wie sie in Kleinasien und besonders in Ägypten massenhaft zutage kamen
und einen Blick in das Denken und Fühlen des einfachen Volkes gestatten.
Die Archäologie also ist es. die das Material liefert, und die Soziologie
ist es, die dieses Material für die Urgeschichte des Christentums verwertet. Wir
erhalten eine mit archäologischen Mitteln unternommne soziologische Analyse des
Grundbuches der Christenheit, des Neuen Testaments, so etwa läßt sich der
Inhalt des nun schon in zweiter und dritter Auflage vorliegenden Werkes von
Professor Ad. Deißmann in Berlin „Licht vom Osten", Tübingen, Mohr, 1909,
kurz umschreiben; denn obwohl die Worte Archäologie und Soziologie, soviel
ich sehe, in dem ganzen Buche nicht vorkommen, so scheinen sie mir doch zur
Kennzeichnung der vom Verfasser befolgten Methode besser beizutragen als
die im Buche selbst vorgeuommne Dreiteilung der Betrachtung nach sprach-,
literar- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, weil sich diese drei eben unter
den gemeinsamen Begriff des soziologischen subsummieren lassen. Die Hilfe
dieser jungen Wissenschaft aber sollte sich Deißmann schon darum nicht entgehn
lassen, weil seine Darlegungen im Grunde den Nachweis führen wollen, daß
das Urchristentum in den untern und mittlern Schichten wurzelt ^s. S. 209) und
gerade nach dieser Richtung hin von Vertretern der älteren Theologie bekämpft
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Deißmann beginnt mit der sprach geschichtlichen Betrachtung des Neuen
Testaments. Hier konnte er am wenigsten auf Widerspruch stoßen, weil
hierüber die Forschungen am weitesten gediehen und um einmütigsten anerkannt
ist. War es doch Deißmann selbst, der die einseitigen theologischen Ansichten
von einem eignen „Bibelgriechisch" zuerst mutig bekämpft und in zahlreicher,
Untersuchungen, wie seinen „Bibelstudien", unwiderleglich nachgewiesen hat, daß
das neutestamentliche Griechisch weiter nichts ist als die allgemeine Umgangs¬
sprache der hellenistischen Zeit, also etwas sehr Profanes, das man aus Un¬
kenntnis und Mangel an Vergleichungspunkten als etwas „Heiliges" auffaßte,
weil man sichs nicht erklären konnte, Deißmanns großes Verdienst ist es, daß
er Mit der bogen«lischen Betrachtung der neutestamentlichen Sprache > ge¬
brochen und die sprachhistorische — oder sagen wir lieber biologische - an
ihre Stelle gesetzt hat. Er hat nachgewiesen und weist es jetzt noch einmal nach,
daß die ganze sprachliche Struktur des Neuen Testaments übereinstimmt nicht
sowohl mit den literarischen als mit den nich t literarischen Denkmälern der Zeit,
vor allem mit dem Volksgriechisch der Papyrusurkunden, und zwar wieder nicht.


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[0498] Hur Soziologie des Christentums exakten der sozialpsychologischen Milieugeschichte; nicht um die Lösung der letzten Fragen der Religion handelt es sich hier, sondern um die Ergründung der ersten und tiefsten Vorbedingungen für die Ausbreitung der Wurzeln des Christentums im Boden seiner Zeit. Und im eigentlichsten Sinne unter dem Boden lagen die Gegenstände zum Studiuni jener Vorbedingungen: es sind die Trümmer der Aufzeichnungen jener Menschen, auf die das Christentum zuerst gewirkt hat, Aufzeichnungen privater, schlichter Art in Stein, Papyrus und Ton, wie sie in Kleinasien und besonders in Ägypten massenhaft zutage kamen und einen Blick in das Denken und Fühlen des einfachen Volkes gestatten. Die Archäologie also ist es. die das Material liefert, und die Soziologie ist es, die dieses Material für die Urgeschichte des Christentums verwertet. Wir erhalten eine mit archäologischen Mitteln unternommne soziologische Analyse des Grundbuches der Christenheit, des Neuen Testaments, so etwa läßt sich der Inhalt des nun schon in zweiter und dritter Auflage vorliegenden Werkes von Professor Ad. Deißmann in Berlin „Licht vom Osten", Tübingen, Mohr, 1909, kurz umschreiben; denn obwohl die Worte Archäologie und Soziologie, soviel ich sehe, in dem ganzen Buche nicht vorkommen, so scheinen sie mir doch zur Kennzeichnung der vom Verfasser befolgten Methode besser beizutragen als die im Buche selbst vorgeuommne Dreiteilung der Betrachtung nach sprach-, literar- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, weil sich diese drei eben unter den gemeinsamen Begriff des soziologischen subsummieren lassen. Die Hilfe dieser jungen Wissenschaft aber sollte sich Deißmann schon darum nicht entgehn lassen, weil seine Darlegungen im Grunde den Nachweis führen wollen, daß das Urchristentum in den untern und mittlern Schichten wurzelt ^s. S. 209) und gerade nach dieser Richtung hin von Vertretern der älteren Theologie bekämpft W»chÄt5p?W?SA ^u^- -/.i^ !^ ^ .-Ä^ Deißmann beginnt mit der sprach geschichtlichen Betrachtung des Neuen Testaments. Hier konnte er am wenigsten auf Widerspruch stoßen, weil hierüber die Forschungen am weitesten gediehen und um einmütigsten anerkannt ist. War es doch Deißmann selbst, der die einseitigen theologischen Ansichten von einem eignen „Bibelgriechisch" zuerst mutig bekämpft und in zahlreicher, Untersuchungen, wie seinen „Bibelstudien", unwiderleglich nachgewiesen hat, daß das neutestamentliche Griechisch weiter nichts ist als die allgemeine Umgangs¬ sprache der hellenistischen Zeit, also etwas sehr Profanes, das man aus Un¬ kenntnis und Mangel an Vergleichungspunkten als etwas „Heiliges" auffaßte, weil man sichs nicht erklären konnte, Deißmanns großes Verdienst ist es, daß er Mit der bogen«lischen Betrachtung der neutestamentlichen Sprache > ge¬ brochen und die sprachhistorische — oder sagen wir lieber biologische - an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat nachgewiesen und weist es jetzt noch einmal nach, daß die ganze sprachliche Struktur des Neuen Testaments übereinstimmt nicht sowohl mit den literarischen als mit den nich t literarischen Denkmälern der Zeit, vor allem mit dem Volksgriechisch der Papyrusurkunden, und zwar wieder nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/498>, abgerufen am 05.07.2024.