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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Kriegskasse
von Ilse Leskien Line Erinnerung

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>I ar ein Augustabend, so zwischen dem ersten und zehnten, wenn
die Sternschnuppen fallen. Damit ich das mit ansehen könnte, hatte
die Großmutter mir erlaubt, länger aufzubleiben, und ich setzte mich
auf die oberste Stufe der Steintreppe vor der Haustür und sah
mit großen Augen den Himmel an und sah auch Sternschnuppen
fallen wie goldne Tropfen, hatte aber keine rechte Freude daran, denn
eigentlich fürchtete ich mich vor den großen dunkeln Bäumen mir gegenüber und
vor der Stille und wartete sehnlichst darauf, daß sie in der Leutestube drinnen
fertig würden und vor die Tür kämen wie an jedem warmen Abend.

Und endlich kamen sie heraus und machten sichs auf der Treppe bequem, deren
Steine noch warm waren von der Tageshitze. Nur Frau Walde, die Köchin, stellte
sich einen Stuhl auf den obersten Absatz, wie es ihrer Würde zukam. Frau Walde
war zwölf Jahre älter als ihr Mann, damals Wohl Mitte der fünfzig. Sie trug
ein Kopftuch wie eine "Bauersche", dazu eine einfache farbige Kattunjacke und
einen weiten, rund angereihten Rock. Diese Tracht stand ihrer kräftigen Gestalt
wohl, und das dunkelrote gestrickte Kopftuch bildete einen eignen Rahmen für das
schöngeschnittne, bräunliche Wendengesicht mit dem noch immer tief schwarzen Haar
und den kluge" Augen.

Die alte Köchin also saß ganz oben neben der Haustür und ich ihr zu Füßen
auf der obersten Stufe; dann kam Lina, das Hausmädchen, etwa in der Treppen¬
mitte und neben ihr Paul, der Gärtnerbursche. Auf der dritten Stufe von unten
saß Walde, und bald fanden sich dort zwei seiner Freunde aus der Nachbarschaft,
der Portier Lindemann und Dieras, der Schuhmacher, zu ihm, und die Unterhaltung
kam in Gang.

Mäuschenstill saß ich auf meiner Höhe. Den Himmel mit seinem Sternen¬
regen hatte ich ganz vergessen, obgleich die auf der dritten Stufe von dem Stern¬
schnuppenfall ausgegangen waren, um dann lebhaft über eine Stelle aus Offen¬
barung Johannis zu streiten, die von den Sternen und vom Weltuntergang handelte.
Tüchtige Bibelleser waren sie, die drei Männer, das heißt Lindemann, den Portier
vom Hohenthalschen Schloß, habe ich jetzt im Verdacht, daß er mehr so tat, denn
nie hörte ich ihn so lange und interessante Bibelstellen beibringen wie die beiden
andern. Er war aber eine so würdige Erscheinung, daß es schwer hielt, von ihm
nicht immer das beste zu glauben. Tagsüber trug er einen langen schwarzen
Gehrock, dazu schwarze Kniehosen und ausgeschnittene Schuhe mit Schnallen. Abends
aber, wenns schummerte, vertauschte er die kurze Hose mit einer dunkeln langen,
"wegen seinem Neusma", wie er sagte, die Schnallenschuhe mit Filzbabuschen und
sah nun mit seinem graumelierten Bart und dem glänzenden friedlichen Gesicht
völlig wie ein Küster aus. Das genügte ihm. Die biblischen Zitate überließ er
seinen Freunden, vor allem dem Schuhmacher.




Die Kriegskasse
von Ilse Leskien Line Erinnerung

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>I ar ein Augustabend, so zwischen dem ersten und zehnten, wenn
die Sternschnuppen fallen. Damit ich das mit ansehen könnte, hatte
die Großmutter mir erlaubt, länger aufzubleiben, und ich setzte mich
auf die oberste Stufe der Steintreppe vor der Haustür und sah
mit großen Augen den Himmel an und sah auch Sternschnuppen
fallen wie goldne Tropfen, hatte aber keine rechte Freude daran, denn
eigentlich fürchtete ich mich vor den großen dunkeln Bäumen mir gegenüber und
vor der Stille und wartete sehnlichst darauf, daß sie in der Leutestube drinnen
fertig würden und vor die Tür kämen wie an jedem warmen Abend.

Und endlich kamen sie heraus und machten sichs auf der Treppe bequem, deren
Steine noch warm waren von der Tageshitze. Nur Frau Walde, die Köchin, stellte
sich einen Stuhl auf den obersten Absatz, wie es ihrer Würde zukam. Frau Walde
war zwölf Jahre älter als ihr Mann, damals Wohl Mitte der fünfzig. Sie trug
ein Kopftuch wie eine „Bauersche", dazu eine einfache farbige Kattunjacke und
einen weiten, rund angereihten Rock. Diese Tracht stand ihrer kräftigen Gestalt
wohl, und das dunkelrote gestrickte Kopftuch bildete einen eignen Rahmen für das
schöngeschnittne, bräunliche Wendengesicht mit dem noch immer tief schwarzen Haar
und den kluge» Augen.

Die alte Köchin also saß ganz oben neben der Haustür und ich ihr zu Füßen
auf der obersten Stufe; dann kam Lina, das Hausmädchen, etwa in der Treppen¬
mitte und neben ihr Paul, der Gärtnerbursche. Auf der dritten Stufe von unten
saß Walde, und bald fanden sich dort zwei seiner Freunde aus der Nachbarschaft,
der Portier Lindemann und Dieras, der Schuhmacher, zu ihm, und die Unterhaltung
kam in Gang.

Mäuschenstill saß ich auf meiner Höhe. Den Himmel mit seinem Sternen¬
regen hatte ich ganz vergessen, obgleich die auf der dritten Stufe von dem Stern¬
schnuppenfall ausgegangen waren, um dann lebhaft über eine Stelle aus Offen¬
barung Johannis zu streiten, die von den Sternen und vom Weltuntergang handelte.
Tüchtige Bibelleser waren sie, die drei Männer, das heißt Lindemann, den Portier
vom Hohenthalschen Schloß, habe ich jetzt im Verdacht, daß er mehr so tat, denn
nie hörte ich ihn so lange und interessante Bibelstellen beibringen wie die beiden
andern. Er war aber eine so würdige Erscheinung, daß es schwer hielt, von ihm
nicht immer das beste zu glauben. Tagsüber trug er einen langen schwarzen
Gehrock, dazu schwarze Kniehosen und ausgeschnittene Schuhe mit Schnallen. Abends
aber, wenns schummerte, vertauschte er die kurze Hose mit einer dunkeln langen,
„wegen seinem Neusma", wie er sagte, die Schnallenschuhe mit Filzbabuschen und
sah nun mit seinem graumelierten Bart und dem glänzenden friedlichen Gesicht
völlig wie ein Küster aus. Das genügte ihm. Die biblischen Zitate überließ er
seinen Freunden, vor allem dem Schuhmacher.


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[0476] [Abbildung] Die Kriegskasse von Ilse Leskien Line Erinnerung s w >I ar ein Augustabend, so zwischen dem ersten und zehnten, wenn die Sternschnuppen fallen. Damit ich das mit ansehen könnte, hatte die Großmutter mir erlaubt, länger aufzubleiben, und ich setzte mich auf die oberste Stufe der Steintreppe vor der Haustür und sah mit großen Augen den Himmel an und sah auch Sternschnuppen fallen wie goldne Tropfen, hatte aber keine rechte Freude daran, denn eigentlich fürchtete ich mich vor den großen dunkeln Bäumen mir gegenüber und vor der Stille und wartete sehnlichst darauf, daß sie in der Leutestube drinnen fertig würden und vor die Tür kämen wie an jedem warmen Abend. Und endlich kamen sie heraus und machten sichs auf der Treppe bequem, deren Steine noch warm waren von der Tageshitze. Nur Frau Walde, die Köchin, stellte sich einen Stuhl auf den obersten Absatz, wie es ihrer Würde zukam. Frau Walde war zwölf Jahre älter als ihr Mann, damals Wohl Mitte der fünfzig. Sie trug ein Kopftuch wie eine „Bauersche", dazu eine einfache farbige Kattunjacke und einen weiten, rund angereihten Rock. Diese Tracht stand ihrer kräftigen Gestalt wohl, und das dunkelrote gestrickte Kopftuch bildete einen eignen Rahmen für das schöngeschnittne, bräunliche Wendengesicht mit dem noch immer tief schwarzen Haar und den kluge» Augen. Die alte Köchin also saß ganz oben neben der Haustür und ich ihr zu Füßen auf der obersten Stufe; dann kam Lina, das Hausmädchen, etwa in der Treppen¬ mitte und neben ihr Paul, der Gärtnerbursche. Auf der dritten Stufe von unten saß Walde, und bald fanden sich dort zwei seiner Freunde aus der Nachbarschaft, der Portier Lindemann und Dieras, der Schuhmacher, zu ihm, und die Unterhaltung kam in Gang. Mäuschenstill saß ich auf meiner Höhe. Den Himmel mit seinem Sternen¬ regen hatte ich ganz vergessen, obgleich die auf der dritten Stufe von dem Stern¬ schnuppenfall ausgegangen waren, um dann lebhaft über eine Stelle aus Offen¬ barung Johannis zu streiten, die von den Sternen und vom Weltuntergang handelte. Tüchtige Bibelleser waren sie, die drei Männer, das heißt Lindemann, den Portier vom Hohenthalschen Schloß, habe ich jetzt im Verdacht, daß er mehr so tat, denn nie hörte ich ihn so lange und interessante Bibelstellen beibringen wie die beiden andern. Er war aber eine so würdige Erscheinung, daß es schwer hielt, von ihm nicht immer das beste zu glauben. Tagsüber trug er einen langen schwarzen Gehrock, dazu schwarze Kniehosen und ausgeschnittene Schuhe mit Schnallen. Abends aber, wenns schummerte, vertauschte er die kurze Hose mit einer dunkeln langen, „wegen seinem Neusma", wie er sagte, die Schnallenschuhe mit Filzbabuschen und sah nun mit seinem graumelierten Bart und dem glänzenden friedlichen Gesicht völlig wie ein Küster aus. Das genügte ihm. Die biblischen Zitate überließ er seinen Freunden, vor allem dem Schuhmacher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/476>, abgerufen am 04.07.2024.