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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hermann Wette als westfälischer vialektdichter

fest Wird durch die köstliche Dichtung "Magister Maitag An sine Vuegelschaul"
aber noch weit übertroffen. Sie ist eine entzückende Perlenschnur im Schntz-
tastlein plattdeutscher Lyrik.

Noch in vielen andern Gedichten hat sich Wette mit seinen besondern
Lieblingen, den Tieren, beschäftigt. Voll Innigkeit ist die rührende Legende
vom Rotkehlchen, wehmütig stimmend die Nachdichtung von Rückerts Schwalben-
lied und voll Humor das Gedicht "De Lüninge" mit dem köstlichen Schluß.
In "Kruphöhneken" hat Wette das Hennengegacker nach dem Legen eines Eies,
dem der Volksmund freilich einen viel derbern und der Situation vortrefflich
angepaßten Text unterlegt, sowie den tröstenden Ruf des Hahnes ganz originell
verwertet. Von des Dichters feiner Naturbeobachtung zeugen noch viele andre
Gedichte, so das feine "Fliärmus", das in der pessimistischen Grundstimmung
an Wilhelm Busch erinnernde "Tone Beldkes" und das echt volkstümliche
"Kalt un Mus".

Aber uicht nur die Tierwelt gab dem Dichter Stoff für seine ernsten und
heitern Weisen, bei deren anheimelnden Klang man an das treffende Wort
von Rudolf von Gottschall erinnert wird, der von der Mundart urteilt: "Der
Dialekt hat etwas Knospenartiges, Mädchenhaftes; der nur halb erschlossene
Genius der Sprache schlüge in ihm sein träumerisches Auge auf." Wette ist
auch ein scharfer Beobachter des Menschenlebens und ein Kenner der west¬
fälischen Sagenwelt. Es gelingen ihm düstere Balladen, wie die von "Schön
Betty", der die Mutter den giftigen Trank brauen muß, weil sie in Sünde
und Schande versank, und die von dem Rächer seiner Ehre; in "Arm Katrin"
aber läßt er ein verzweifelndes Weib bei Mutter Natur Trost finden. In den
Dichtungen "Hcir Schenkewald", "De Smidt von Bielefeld", "Amtmann
Timphot", "Grinken-Smidt" u. a. behandelte Wette bekannte Sagenstoffe in
durchaus eigenartiger Weise, sie mit seinem Geiste durchdringend und ihnen
sogar neue, originelle Züge verleihend, und sein echt westfälischer Humor macht
selbst vor der Himmelstür nicht Halt. Wahrhaft diabolisch ist das "Triumph-
leed von Klaonenkaspers Lü, wenn se met de armen Seelen in de Höll trente";
aber Wette schrieb auch einige religiöse Gedichte, in denen die plattdeutsche
Sprache ihr altes schönes Ehrengewand trägt, sowie unter dem Titel "En
Pröwken plattdütske Edda" gediegne Sprüche voll Saft und Kraft.

Da Wette in beiden Büchern auf eine streng phonetische Wiedergabe des
münsterlandischen Dialekts verzichtet und für die Sprache seiner Heimat eine
ganz vortreffliche, leicht lesbare Schreibweise gefunden hat, werden auch Nicht¬
Westfalen von der Lektüre der Dichtungen einen Genuß haben, zumal da der ältern
Sammlung ein Wörterverzeichnis angehängt wurde und das neue Buch zahl¬
reiche Übersetzungen schwerverständlicher Wörter unter dem Texte bringt. Den
ganzen Schönheitszauber, der in der Sprache liegt, wird freilich nur der
empfinden, dem die Dichtungen von sprachkundigen Munde zu Gehör gebracht
werden. Das ist ja bei allen Dialektdichtungen so, verdient aber doch erwähnt


Hermann Wette als westfälischer vialektdichter

fest Wird durch die köstliche Dichtung „Magister Maitag An sine Vuegelschaul"
aber noch weit übertroffen. Sie ist eine entzückende Perlenschnur im Schntz-
tastlein plattdeutscher Lyrik.

Noch in vielen andern Gedichten hat sich Wette mit seinen besondern
Lieblingen, den Tieren, beschäftigt. Voll Innigkeit ist die rührende Legende
vom Rotkehlchen, wehmütig stimmend die Nachdichtung von Rückerts Schwalben-
lied und voll Humor das Gedicht „De Lüninge" mit dem köstlichen Schluß.
In „Kruphöhneken" hat Wette das Hennengegacker nach dem Legen eines Eies,
dem der Volksmund freilich einen viel derbern und der Situation vortrefflich
angepaßten Text unterlegt, sowie den tröstenden Ruf des Hahnes ganz originell
verwertet. Von des Dichters feiner Naturbeobachtung zeugen noch viele andre
Gedichte, so das feine „Fliärmus", das in der pessimistischen Grundstimmung
an Wilhelm Busch erinnernde „Tone Beldkes" und das echt volkstümliche
„Kalt un Mus".

Aber uicht nur die Tierwelt gab dem Dichter Stoff für seine ernsten und
heitern Weisen, bei deren anheimelnden Klang man an das treffende Wort
von Rudolf von Gottschall erinnert wird, der von der Mundart urteilt: „Der
Dialekt hat etwas Knospenartiges, Mädchenhaftes; der nur halb erschlossene
Genius der Sprache schlüge in ihm sein träumerisches Auge auf." Wette ist
auch ein scharfer Beobachter des Menschenlebens und ein Kenner der west¬
fälischen Sagenwelt. Es gelingen ihm düstere Balladen, wie die von „Schön
Betty", der die Mutter den giftigen Trank brauen muß, weil sie in Sünde
und Schande versank, und die von dem Rächer seiner Ehre; in „Arm Katrin"
aber läßt er ein verzweifelndes Weib bei Mutter Natur Trost finden. In den
Dichtungen „Hcir Schenkewald", „De Smidt von Bielefeld", „Amtmann
Timphot", „Grinken-Smidt" u. a. behandelte Wette bekannte Sagenstoffe in
durchaus eigenartiger Weise, sie mit seinem Geiste durchdringend und ihnen
sogar neue, originelle Züge verleihend, und sein echt westfälischer Humor macht
selbst vor der Himmelstür nicht Halt. Wahrhaft diabolisch ist das „Triumph-
leed von Klaonenkaspers Lü, wenn se met de armen Seelen in de Höll trente";
aber Wette schrieb auch einige religiöse Gedichte, in denen die plattdeutsche
Sprache ihr altes schönes Ehrengewand trägt, sowie unter dem Titel „En
Pröwken plattdütske Edda" gediegne Sprüche voll Saft und Kraft.

Da Wette in beiden Büchern auf eine streng phonetische Wiedergabe des
münsterlandischen Dialekts verzichtet und für die Sprache seiner Heimat eine
ganz vortreffliche, leicht lesbare Schreibweise gefunden hat, werden auch Nicht¬
Westfalen von der Lektüre der Dichtungen einen Genuß haben, zumal da der ältern
Sammlung ein Wörterverzeichnis angehängt wurde und das neue Buch zahl¬
reiche Übersetzungen schwerverständlicher Wörter unter dem Texte bringt. Den
ganzen Schönheitszauber, der in der Sprache liegt, wird freilich nur der
empfinden, dem die Dichtungen von sprachkundigen Munde zu Gehör gebracht
werden. Das ist ja bei allen Dialektdichtungen so, verdient aber doch erwähnt


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[0466] Hermann Wette als westfälischer vialektdichter fest Wird durch die köstliche Dichtung „Magister Maitag An sine Vuegelschaul" aber noch weit übertroffen. Sie ist eine entzückende Perlenschnur im Schntz- tastlein plattdeutscher Lyrik. Noch in vielen andern Gedichten hat sich Wette mit seinen besondern Lieblingen, den Tieren, beschäftigt. Voll Innigkeit ist die rührende Legende vom Rotkehlchen, wehmütig stimmend die Nachdichtung von Rückerts Schwalben- lied und voll Humor das Gedicht „De Lüninge" mit dem köstlichen Schluß. In „Kruphöhneken" hat Wette das Hennengegacker nach dem Legen eines Eies, dem der Volksmund freilich einen viel derbern und der Situation vortrefflich angepaßten Text unterlegt, sowie den tröstenden Ruf des Hahnes ganz originell verwertet. Von des Dichters feiner Naturbeobachtung zeugen noch viele andre Gedichte, so das feine „Fliärmus", das in der pessimistischen Grundstimmung an Wilhelm Busch erinnernde „Tone Beldkes" und das echt volkstümliche „Kalt un Mus". Aber uicht nur die Tierwelt gab dem Dichter Stoff für seine ernsten und heitern Weisen, bei deren anheimelnden Klang man an das treffende Wort von Rudolf von Gottschall erinnert wird, der von der Mundart urteilt: „Der Dialekt hat etwas Knospenartiges, Mädchenhaftes; der nur halb erschlossene Genius der Sprache schlüge in ihm sein träumerisches Auge auf." Wette ist auch ein scharfer Beobachter des Menschenlebens und ein Kenner der west¬ fälischen Sagenwelt. Es gelingen ihm düstere Balladen, wie die von „Schön Betty", der die Mutter den giftigen Trank brauen muß, weil sie in Sünde und Schande versank, und die von dem Rächer seiner Ehre; in „Arm Katrin" aber läßt er ein verzweifelndes Weib bei Mutter Natur Trost finden. In den Dichtungen „Hcir Schenkewald", „De Smidt von Bielefeld", „Amtmann Timphot", „Grinken-Smidt" u. a. behandelte Wette bekannte Sagenstoffe in durchaus eigenartiger Weise, sie mit seinem Geiste durchdringend und ihnen sogar neue, originelle Züge verleihend, und sein echt westfälischer Humor macht selbst vor der Himmelstür nicht Halt. Wahrhaft diabolisch ist das „Triumph- leed von Klaonenkaspers Lü, wenn se met de armen Seelen in de Höll trente"; aber Wette schrieb auch einige religiöse Gedichte, in denen die plattdeutsche Sprache ihr altes schönes Ehrengewand trägt, sowie unter dem Titel „En Pröwken plattdütske Edda" gediegne Sprüche voll Saft und Kraft. Da Wette in beiden Büchern auf eine streng phonetische Wiedergabe des münsterlandischen Dialekts verzichtet und für die Sprache seiner Heimat eine ganz vortreffliche, leicht lesbare Schreibweise gefunden hat, werden auch Nicht¬ Westfalen von der Lektüre der Dichtungen einen Genuß haben, zumal da der ältern Sammlung ein Wörterverzeichnis angehängt wurde und das neue Buch zahl¬ reiche Übersetzungen schwerverständlicher Wörter unter dem Texte bringt. Den ganzen Schönheitszauber, der in der Sprache liegt, wird freilich nur der empfinden, dem die Dichtungen von sprachkundigen Munde zu Gehör gebracht werden. Das ist ja bei allen Dialektdichtungen so, verdient aber doch erwähnt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/466>, abgerufen am 24.07.2024.