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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hermann Wette als westfälischer vialektdichter

das Herz den vollen Schlag verwehrt." Da ist nichts Angequältes und An-
empfundnes, nichts, das am Schreibtisch mühsam ersonnen und noch mühsamer
in Verse gebracht worden wäre. Bei diesem Dichter hat man immer das be¬
glückende Gefühl: all sein Singen ist Überströmen eines reichen Innern. Und
das Gefühl bleibt auch dann noch lebendig, wenn wir mit freudigem Staunen
sehen, welch ein Meister der Form er ist, daß auch er die feine Künstlerhand
besitzt, die Detlev von Liliencron bei Theodor Storm bewunderte:


Wohl trifft es sich, daß laut und polternd wirft
Ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold
Und kann es nimmer zwingen zum Gerät;
Ihm sehlt die Künstlerhand, dir wurde sie.

Nach wiederholter Lektüre wieder ganz im Banne des Dichters stehend,
fällt es mir ungemein schwer, ruhig die Vorzüge seiner Dialektdichtung dar¬
zulegen. Ich möchte wie ein Kind, das zum Feste überreich beschenkt wurde,
jubeln und jauchzen und mit lachenden Augen auf all die Herrlichkeiten hin¬
weisen, die ich entdeckt habe, damit auch andre zu diesem Born echter, ur¬
sprünglicher Poesie eilen, um einen tiefen, tiefen Trunk zu tun.

Wegen ihrer ganz und gar aus westfälischer, echt plattdeutscher Ursprüng¬
lichkeit hervorgeganguen Eigenart, ihrer tief im westfälischen Volkstum wur¬
zelnden Anschauungs-, Denk- und Sprechweise verdienen diese Dichtungen einer
originellen, Gott und Welt mit den Augen des naiven Humoristen schauenden
Persönlichkeit einen Ehrenplatz in der niederdeutschen Literatur. In spinnen¬
artigen Gedichten verherrlicht der Dichter Mutter Natur und bringt in ihr
heiligstes und tiefstes Wesen ein. Und dann erklingt die wundervollste Früh¬
lingssymphonie in der großen Dichtung "Magister Maitag un sine Vuegel-
schaul", der schönsten der ganzen Sammlung. Otto Ludwig sagt einmal:
"Jeder, der Freude an der Schönheit der Natur empfindet, sollte, wenn es
ihm möglich ist, im Freien und von einem tüchtigen Landschafter geleitet
-- wenn man so sagen darf -- Sehstudien machen. Wie sich der Kreis seines
Wissens um das Schöne, das eine Landschaft entfalten kann, erweitert, er¬
weitert sich der Genuß bei ihrer Beschauung. Das belehrte Auge haftet mit
größerm Vergnügen auf Reizen, die das unbelehrte übersieht." Mit einer
leisen Abänderung gilt dieser Erfahrungssatz auch von Hermann Wette. Er
ist vogelsprachekundig wie der Zauberer Merlin und lehrt uns hören. Wer
bei ihm Hörstudien gemacht hat, der erlauscht im Gesänge der Vögel manches,
was er bis dahin nicht vernahm. Mit wunderbarem Geschick hat der Dichter
dem Gesänge, dem Schreien und Zwitschern der Vögel reizende Texte unter¬
gelegt und die im Volksmunde lebenden mit verwoben. Im fünften Haupt¬
stück der Geschichte des Herkules von Latop ("Jost Knost") hat Hermann
Wette mit Meisterschaft dargestellt, wie Frau Liebden Mutter Natur an einem
allerschönsten Maitage mit all ihren Kindern bei Rosen-, Nelken- und Meder-
duft einen richtigen Schwips hat; jene tolle Liebessymphonie zum Frühlings-


Hermann Wette als westfälischer vialektdichter

das Herz den vollen Schlag verwehrt." Da ist nichts Angequältes und An-
empfundnes, nichts, das am Schreibtisch mühsam ersonnen und noch mühsamer
in Verse gebracht worden wäre. Bei diesem Dichter hat man immer das be¬
glückende Gefühl: all sein Singen ist Überströmen eines reichen Innern. Und
das Gefühl bleibt auch dann noch lebendig, wenn wir mit freudigem Staunen
sehen, welch ein Meister der Form er ist, daß auch er die feine Künstlerhand
besitzt, die Detlev von Liliencron bei Theodor Storm bewunderte:


Wohl trifft es sich, daß laut und polternd wirft
Ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold
Und kann es nimmer zwingen zum Gerät;
Ihm sehlt die Künstlerhand, dir wurde sie.

Nach wiederholter Lektüre wieder ganz im Banne des Dichters stehend,
fällt es mir ungemein schwer, ruhig die Vorzüge seiner Dialektdichtung dar¬
zulegen. Ich möchte wie ein Kind, das zum Feste überreich beschenkt wurde,
jubeln und jauchzen und mit lachenden Augen auf all die Herrlichkeiten hin¬
weisen, die ich entdeckt habe, damit auch andre zu diesem Born echter, ur¬
sprünglicher Poesie eilen, um einen tiefen, tiefen Trunk zu tun.

Wegen ihrer ganz und gar aus westfälischer, echt plattdeutscher Ursprüng¬
lichkeit hervorgeganguen Eigenart, ihrer tief im westfälischen Volkstum wur¬
zelnden Anschauungs-, Denk- und Sprechweise verdienen diese Dichtungen einer
originellen, Gott und Welt mit den Augen des naiven Humoristen schauenden
Persönlichkeit einen Ehrenplatz in der niederdeutschen Literatur. In spinnen¬
artigen Gedichten verherrlicht der Dichter Mutter Natur und bringt in ihr
heiligstes und tiefstes Wesen ein. Und dann erklingt die wundervollste Früh¬
lingssymphonie in der großen Dichtung „Magister Maitag un sine Vuegel-
schaul", der schönsten der ganzen Sammlung. Otto Ludwig sagt einmal:
„Jeder, der Freude an der Schönheit der Natur empfindet, sollte, wenn es
ihm möglich ist, im Freien und von einem tüchtigen Landschafter geleitet
— wenn man so sagen darf — Sehstudien machen. Wie sich der Kreis seines
Wissens um das Schöne, das eine Landschaft entfalten kann, erweitert, er¬
weitert sich der Genuß bei ihrer Beschauung. Das belehrte Auge haftet mit
größerm Vergnügen auf Reizen, die das unbelehrte übersieht." Mit einer
leisen Abänderung gilt dieser Erfahrungssatz auch von Hermann Wette. Er
ist vogelsprachekundig wie der Zauberer Merlin und lehrt uns hören. Wer
bei ihm Hörstudien gemacht hat, der erlauscht im Gesänge der Vögel manches,
was er bis dahin nicht vernahm. Mit wunderbarem Geschick hat der Dichter
dem Gesänge, dem Schreien und Zwitschern der Vögel reizende Texte unter¬
gelegt und die im Volksmunde lebenden mit verwoben. Im fünften Haupt¬
stück der Geschichte des Herkules von Latop („Jost Knost") hat Hermann
Wette mit Meisterschaft dargestellt, wie Frau Liebden Mutter Natur an einem
allerschönsten Maitage mit all ihren Kindern bei Rosen-, Nelken- und Meder-
duft einen richtigen Schwips hat; jene tolle Liebessymphonie zum Frühlings-


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[0465] Hermann Wette als westfälischer vialektdichter das Herz den vollen Schlag verwehrt." Da ist nichts Angequältes und An- empfundnes, nichts, das am Schreibtisch mühsam ersonnen und noch mühsamer in Verse gebracht worden wäre. Bei diesem Dichter hat man immer das be¬ glückende Gefühl: all sein Singen ist Überströmen eines reichen Innern. Und das Gefühl bleibt auch dann noch lebendig, wenn wir mit freudigem Staunen sehen, welch ein Meister der Form er ist, daß auch er die feine Künstlerhand besitzt, die Detlev von Liliencron bei Theodor Storm bewunderte: Wohl trifft es sich, daß laut und polternd wirft Ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold Und kann es nimmer zwingen zum Gerät; Ihm sehlt die Künstlerhand, dir wurde sie. Nach wiederholter Lektüre wieder ganz im Banne des Dichters stehend, fällt es mir ungemein schwer, ruhig die Vorzüge seiner Dialektdichtung dar¬ zulegen. Ich möchte wie ein Kind, das zum Feste überreich beschenkt wurde, jubeln und jauchzen und mit lachenden Augen auf all die Herrlichkeiten hin¬ weisen, die ich entdeckt habe, damit auch andre zu diesem Born echter, ur¬ sprünglicher Poesie eilen, um einen tiefen, tiefen Trunk zu tun. Wegen ihrer ganz und gar aus westfälischer, echt plattdeutscher Ursprüng¬ lichkeit hervorgeganguen Eigenart, ihrer tief im westfälischen Volkstum wur¬ zelnden Anschauungs-, Denk- und Sprechweise verdienen diese Dichtungen einer originellen, Gott und Welt mit den Augen des naiven Humoristen schauenden Persönlichkeit einen Ehrenplatz in der niederdeutschen Literatur. In spinnen¬ artigen Gedichten verherrlicht der Dichter Mutter Natur und bringt in ihr heiligstes und tiefstes Wesen ein. Und dann erklingt die wundervollste Früh¬ lingssymphonie in der großen Dichtung „Magister Maitag un sine Vuegel- schaul", der schönsten der ganzen Sammlung. Otto Ludwig sagt einmal: „Jeder, der Freude an der Schönheit der Natur empfindet, sollte, wenn es ihm möglich ist, im Freien und von einem tüchtigen Landschafter geleitet — wenn man so sagen darf — Sehstudien machen. Wie sich der Kreis seines Wissens um das Schöne, das eine Landschaft entfalten kann, erweitert, er¬ weitert sich der Genuß bei ihrer Beschauung. Das belehrte Auge haftet mit größerm Vergnügen auf Reizen, die das unbelehrte übersieht." Mit einer leisen Abänderung gilt dieser Erfahrungssatz auch von Hermann Wette. Er ist vogelsprachekundig wie der Zauberer Merlin und lehrt uns hören. Wer bei ihm Hörstudien gemacht hat, der erlauscht im Gesänge der Vögel manches, was er bis dahin nicht vernahm. Mit wunderbarem Geschick hat der Dichter dem Gesänge, dem Schreien und Zwitschern der Vögel reizende Texte unter¬ gelegt und die im Volksmunde lebenden mit verwoben. Im fünften Haupt¬ stück der Geschichte des Herkules von Latop („Jost Knost") hat Hermann Wette mit Meisterschaft dargestellt, wie Frau Liebden Mutter Natur an einem allerschönsten Maitage mit all ihren Kindern bei Rosen-, Nelken- und Meder- duft einen richtigen Schwips hat; jene tolle Liebessymphonie zum Frühlings-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/465>, abgerufen am 24.07.2024.