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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters

Staatsexamen nach den Studienjahren zu machen, wie in vielen andern Klöstern,
ist ihm verboten gewesen. Scheu und ängstlich steht er den Forderungen der Welt
gegenüber. --

Man befürchtet, daß das Staatsexamen Gelegenheit bietet, leichter den Beruf
zu wechseln, vergißt aber, daß gerade dieses Verbot den innern Ruin des Klosters
bewirkt. Deshalb wandeln viele zwischen den Klostermauern wie betrogne Menschen,
in Gram vergehend, umher. Sie können nicht mehr rückwärts. Eine neue Existenz
zu gründe", dünkt ihnen unmöglich. Sie bleiben, was sie sind -- unglückliche
Menschen, die ihren Lebenszweck verfehlt haben.

Armer Frater Antonius!

Mit ihm war der Fall noch komplizierter.

Sein ganzes Leben, Studium und Betrachten dienten zu nichts anderm, als
sich eine große Verachtung der Welt anzueignen -- der Welt, in der er jetzt
leben muß.

Gleich von Anfang zeigte er eine ausgeprägte Neigung zum klösterlichen Beruf.
Tiefe Frömmigkeit und Hingabe zeichneten ihn vor den andern aus. Man machte
sich große Erwartungen.

So kam die Feuerprobe des Noviziats, die für Körper und Seele am meisten
anstrengende Zeit.

Dort ging er unter.

Der religiöse Eifer riß ihn fort und artete in Überspanntheit und Fanatis¬
mus aus. --

Pater Novizenmeister erklärte mir mit kalter Gleichgiltigkeit, daß Frater
Antonius krank wäre. --

Harte Worte lagen auf meinen Lippen.

Alles, was ich und viele mit mir während seiner strengen und übertriebnen
Behandlung gelitten hatten, stand jetzt deutlicher als je in meinem Gedächtnis. --
Mit großer Mühe konnte ich meine Zunge beherrschen.

Ich glaube aber, er verstand, was in meinem Innern vorging. Ich wußte,
daß in diesem Augenblick ein gegenseitiger Haß geboren wurde.

22. Juni 1906

Wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo ich als junger Novize unter dem strengen
Pater Anastasius stand, staune ich, daß mein Schicksal nicht dasselbe wie jenes
Fraters Antonius wurde.

Auch ich hatte meine überspannte Periode.

Einem Schlafgänger gleich wandelte ich auf den Straßen, ohne zu achten, was
um mich vorging. Würde man in meiner Nähe einen Mord vollzogen haben, ich
hätte nichts gemerkt. Ehe ich aber in der Selbstdisziplin so weit gekommen war,
mußten unendliche Schwierigkeiten überwunden werden.

Gleich am ersten Tage erlebte ich eine Demütigung.

Ich und einige Kameraden stürzten lärmend auf der schmalen Holztreppe zum
Noviziat hinauf. Hals über Kopf gerieten wir in das Zimmer Pater Anastasius.

Mit ernster Miene schickte er uns sofort wieder hinunter, um denselben Weg
nochmals zu machen. Diesmal aber ganz leise. Angelangt an seiner Tür, mußten
wir kniend die Schwelle küssen.

Eines Tages wanderten wir wie gewöhnlich zwei und zwei in Prozession auf
den Monte Janikulus. Den Schluß bildete Pater Novizenmeister.

^ Am Wege entstand zwischen zwei Hunden eine Rauferei. Ohne zu wissen, wie
es geschah, lief ich zwischen die beiden Unruhestifter und trennte sie mit einem Hiebe


Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters

Staatsexamen nach den Studienjahren zu machen, wie in vielen andern Klöstern,
ist ihm verboten gewesen. Scheu und ängstlich steht er den Forderungen der Welt
gegenüber. —

Man befürchtet, daß das Staatsexamen Gelegenheit bietet, leichter den Beruf
zu wechseln, vergißt aber, daß gerade dieses Verbot den innern Ruin des Klosters
bewirkt. Deshalb wandeln viele zwischen den Klostermauern wie betrogne Menschen,
in Gram vergehend, umher. Sie können nicht mehr rückwärts. Eine neue Existenz
zu gründe», dünkt ihnen unmöglich. Sie bleiben, was sie sind — unglückliche
Menschen, die ihren Lebenszweck verfehlt haben.

Armer Frater Antonius!

Mit ihm war der Fall noch komplizierter.

Sein ganzes Leben, Studium und Betrachten dienten zu nichts anderm, als
sich eine große Verachtung der Welt anzueignen — der Welt, in der er jetzt
leben muß.

Gleich von Anfang zeigte er eine ausgeprägte Neigung zum klösterlichen Beruf.
Tiefe Frömmigkeit und Hingabe zeichneten ihn vor den andern aus. Man machte
sich große Erwartungen.

So kam die Feuerprobe des Noviziats, die für Körper und Seele am meisten
anstrengende Zeit.

Dort ging er unter.

Der religiöse Eifer riß ihn fort und artete in Überspanntheit und Fanatis¬
mus aus. —

Pater Novizenmeister erklärte mir mit kalter Gleichgiltigkeit, daß Frater
Antonius krank wäre. —

Harte Worte lagen auf meinen Lippen.

Alles, was ich und viele mit mir während seiner strengen und übertriebnen
Behandlung gelitten hatten, stand jetzt deutlicher als je in meinem Gedächtnis. —
Mit großer Mühe konnte ich meine Zunge beherrschen.

Ich glaube aber, er verstand, was in meinem Innern vorging. Ich wußte,
daß in diesem Augenblick ein gegenseitiger Haß geboren wurde.

22. Juni 1906

Wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo ich als junger Novize unter dem strengen
Pater Anastasius stand, staune ich, daß mein Schicksal nicht dasselbe wie jenes
Fraters Antonius wurde.

Auch ich hatte meine überspannte Periode.

Einem Schlafgänger gleich wandelte ich auf den Straßen, ohne zu achten, was
um mich vorging. Würde man in meiner Nähe einen Mord vollzogen haben, ich
hätte nichts gemerkt. Ehe ich aber in der Selbstdisziplin so weit gekommen war,
mußten unendliche Schwierigkeiten überwunden werden.

Gleich am ersten Tage erlebte ich eine Demütigung.

Ich und einige Kameraden stürzten lärmend auf der schmalen Holztreppe zum
Noviziat hinauf. Hals über Kopf gerieten wir in das Zimmer Pater Anastasius.

Mit ernster Miene schickte er uns sofort wieder hinunter, um denselben Weg
nochmals zu machen. Diesmal aber ganz leise. Angelangt an seiner Tür, mußten
wir kniend die Schwelle küssen.

Eines Tages wanderten wir wie gewöhnlich zwei und zwei in Prozession auf
den Monte Janikulus. Den Schluß bildete Pater Novizenmeister.

^ Am Wege entstand zwischen zwei Hunden eine Rauferei. Ohne zu wissen, wie
es geschah, lief ich zwischen die beiden Unruhestifter und trennte sie mit einem Hiebe


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[0430] Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters Staatsexamen nach den Studienjahren zu machen, wie in vielen andern Klöstern, ist ihm verboten gewesen. Scheu und ängstlich steht er den Forderungen der Welt gegenüber. — Man befürchtet, daß das Staatsexamen Gelegenheit bietet, leichter den Beruf zu wechseln, vergißt aber, daß gerade dieses Verbot den innern Ruin des Klosters bewirkt. Deshalb wandeln viele zwischen den Klostermauern wie betrogne Menschen, in Gram vergehend, umher. Sie können nicht mehr rückwärts. Eine neue Existenz zu gründe», dünkt ihnen unmöglich. Sie bleiben, was sie sind — unglückliche Menschen, die ihren Lebenszweck verfehlt haben. Armer Frater Antonius! Mit ihm war der Fall noch komplizierter. Sein ganzes Leben, Studium und Betrachten dienten zu nichts anderm, als sich eine große Verachtung der Welt anzueignen — der Welt, in der er jetzt leben muß. Gleich von Anfang zeigte er eine ausgeprägte Neigung zum klösterlichen Beruf. Tiefe Frömmigkeit und Hingabe zeichneten ihn vor den andern aus. Man machte sich große Erwartungen. So kam die Feuerprobe des Noviziats, die für Körper und Seele am meisten anstrengende Zeit. Dort ging er unter. Der religiöse Eifer riß ihn fort und artete in Überspanntheit und Fanatis¬ mus aus. — Pater Novizenmeister erklärte mir mit kalter Gleichgiltigkeit, daß Frater Antonius krank wäre. — Harte Worte lagen auf meinen Lippen. Alles, was ich und viele mit mir während seiner strengen und übertriebnen Behandlung gelitten hatten, stand jetzt deutlicher als je in meinem Gedächtnis. — Mit großer Mühe konnte ich meine Zunge beherrschen. Ich glaube aber, er verstand, was in meinem Innern vorging. Ich wußte, daß in diesem Augenblick ein gegenseitiger Haß geboren wurde. 22. Juni 1906 Wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo ich als junger Novize unter dem strengen Pater Anastasius stand, staune ich, daß mein Schicksal nicht dasselbe wie jenes Fraters Antonius wurde. Auch ich hatte meine überspannte Periode. Einem Schlafgänger gleich wandelte ich auf den Straßen, ohne zu achten, was um mich vorging. Würde man in meiner Nähe einen Mord vollzogen haben, ich hätte nichts gemerkt. Ehe ich aber in der Selbstdisziplin so weit gekommen war, mußten unendliche Schwierigkeiten überwunden werden. Gleich am ersten Tage erlebte ich eine Demütigung. Ich und einige Kameraden stürzten lärmend auf der schmalen Holztreppe zum Noviziat hinauf. Hals über Kopf gerieten wir in das Zimmer Pater Anastasius. Mit ernster Miene schickte er uns sofort wieder hinunter, um denselben Weg nochmals zu machen. Diesmal aber ganz leise. Angelangt an seiner Tür, mußten wir kniend die Schwelle küssen. Eines Tages wanderten wir wie gewöhnlich zwei und zwei in Prozession auf den Monte Janikulus. Den Schluß bildete Pater Novizenmeister. ^ Am Wege entstand zwischen zwei Hunden eine Rauferei. Ohne zu wissen, wie es geschah, lief ich zwischen die beiden Unruhestifter und trennte sie mit einem Hiebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/430>, abgerufen am 24.07.2024.