Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Neue Arbeit im Reichstag Umstand dafür gesorgt, daß die Arbeitszeit des Reichstags vor Ostern ganz Wie wird nun aber die Etatsberatung verlaufen? Das muß sich schon Es bedarf wohl kaum einer besondern Auseinandersetzung, daß die jetzt Es ist in den letzten Wochen viel und angelegentlich zum Frieden geredet Neue Arbeit im Reichstag Umstand dafür gesorgt, daß die Arbeitszeit des Reichstags vor Ostern ganz Wie wird nun aber die Etatsberatung verlaufen? Das muß sich schon Es bedarf wohl kaum einer besondern Auseinandersetzung, daß die jetzt Es ist in den letzten Wochen viel und angelegentlich zum Frieden geredet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314745"/> <fw type="header" place="top"> Neue Arbeit im Reichstag</fw><lb/> <p xml:id="ID_1911" prev="#ID_1910"> Umstand dafür gesorgt, daß die Arbeitszeit des Reichstags vor Ostern ganz<lb/> durch den Etat ausgefüllt wird. Daß unter solchen Umständen eine wesentliche<lb/> Arbeit noch nach Ostern geleistet werden könnte, ist nach allen bisherigen Er¬<lb/> fahrungen nicht zu erwarten, und die ganzen Verhältnisse sind auch nicht danach<lb/> angetan. Es wäre nicht gut, dem Reichstag in dieser nächsten Tagung mehr<lb/> zuzumuten, als absolut notwendig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1912"> Wie wird nun aber die Etatsberatung verlaufen? Das muß sich schon<lb/> sehr bald entscheiden, denn die erste Beratung des Etats, die den Charakter<lb/> einer Generaldebatte über die gesamte, mit Finanzfragen zusammenhängende<lb/> Führung der Staatsgeschäfte hat, dient nach altem parlamentarischem Herkommen<lb/> dazu, eine allgemeine Aussprache über alle politischen Fragen herbeizuführen,<lb/> die die Öffentlichkeit zurzeit beschäftigen oder in der stillern, parlamentslosen<lb/> Zeit etwa beschäftigt haben. Handelt es sich nur um die gewöhnlichen Gegen¬<lb/> sätze der Parteianschauungen, die gern im Anschluß an bestimmte, allgemein<lb/> bekannt gewordne Vorfälle erörtert werden, so pflegt die Generaldebatte über<lb/> den Etat nicht gerade aufregend oder von besondrer Neuheit zu sein, und es<lb/> hängt mehr oder weniger von Zufällen ab, ob es hier und da dramatisch bewegte<lb/> Verhandlungen gibt, oder ob sich alles im gewohnten Geleise ruhiger Sachlich¬<lb/> keit bewegt. Jetzt aber stehen sich die Parteien in bitterböser Stimmung gegenüber,<lb/> und deshalb möchte man eher die entgegengesetzte Prognose stellen: die Führer<lb/> der Parteien und die besonnenen Parlamentarier werden Wohl mit der besten<lb/> Absicht kommen, zwecklosen Streit über Geschehenes zu vermeiden und die<lb/> Debatte auf die sachlichen Aufgaben der Gegenwart gerichtet zu halten, aber<lb/> die Parteien insgesamt und die hinter ihnen stehenden Wähler sind geladner<lb/> elektrischen Batterien vergleichbar, sodaß wohl die Funken hinüber und herüber<lb/> springen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1913"> Es bedarf wohl kaum einer besondern Auseinandersetzung, daß die jetzt<lb/> zwischen den Parteien herrschende allgemeine Gereiztheit größere Gefahren für<lb/> eine ersprießliche Parlamentsarbeit in sich birgt als der natürliche Gegensatz<lb/> der Meinungen, der unter gewöhnlichen Umständen in den Debatten zum Aus¬<lb/> druck kommt. Es kommt eben noch die leidenschaftliche Erregung hinzu, die<lb/> aus den gegenseitigen Anklagen entspringt, und diese Anklagen richten sich<lb/> gegen Übelstünde, die alle Parteien gemeinsam empfinden, nicht nur — wie<lb/> sonst gewöhnlich im Parteikampf — die Parteien, die sich mit ihren besondern<lb/> Wünschen in den Hintergrund gedrängt sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1914" next="#ID_1915"> Es ist in den letzten Wochen viel und angelegentlich zum Frieden geredet<lb/> worden, aber wenn man genauer zusieht, ist eine Wirkung aller dieser gut¬<lb/> gemeinten Vorstellungen nirgends zu bemerken. Ja schon zu diesem Urteil<lb/> gehört ein beträchtlicher Optimismus; die Mehrzahl wird eher geneigt sein,<lb/> das Gegenteil festzustellen: steigende gegenseitige Erbitterung, je mehr darauf<lb/> hingewiesen wird, das Unabänderliche ruhen zu lassen und eine neue Grund¬<lb/> lage zu weiterer Arbeit zu schaffen. Man mag diese Tatsache tief beklagen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Neue Arbeit im Reichstag
Umstand dafür gesorgt, daß die Arbeitszeit des Reichstags vor Ostern ganz
durch den Etat ausgefüllt wird. Daß unter solchen Umständen eine wesentliche
Arbeit noch nach Ostern geleistet werden könnte, ist nach allen bisherigen Er¬
fahrungen nicht zu erwarten, und die ganzen Verhältnisse sind auch nicht danach
angetan. Es wäre nicht gut, dem Reichstag in dieser nächsten Tagung mehr
zuzumuten, als absolut notwendig ist.
Wie wird nun aber die Etatsberatung verlaufen? Das muß sich schon
sehr bald entscheiden, denn die erste Beratung des Etats, die den Charakter
einer Generaldebatte über die gesamte, mit Finanzfragen zusammenhängende
Führung der Staatsgeschäfte hat, dient nach altem parlamentarischem Herkommen
dazu, eine allgemeine Aussprache über alle politischen Fragen herbeizuführen,
die die Öffentlichkeit zurzeit beschäftigen oder in der stillern, parlamentslosen
Zeit etwa beschäftigt haben. Handelt es sich nur um die gewöhnlichen Gegen¬
sätze der Parteianschauungen, die gern im Anschluß an bestimmte, allgemein
bekannt gewordne Vorfälle erörtert werden, so pflegt die Generaldebatte über
den Etat nicht gerade aufregend oder von besondrer Neuheit zu sein, und es
hängt mehr oder weniger von Zufällen ab, ob es hier und da dramatisch bewegte
Verhandlungen gibt, oder ob sich alles im gewohnten Geleise ruhiger Sachlich¬
keit bewegt. Jetzt aber stehen sich die Parteien in bitterböser Stimmung gegenüber,
und deshalb möchte man eher die entgegengesetzte Prognose stellen: die Führer
der Parteien und die besonnenen Parlamentarier werden Wohl mit der besten
Absicht kommen, zwecklosen Streit über Geschehenes zu vermeiden und die
Debatte auf die sachlichen Aufgaben der Gegenwart gerichtet zu halten, aber
die Parteien insgesamt und die hinter ihnen stehenden Wähler sind geladner
elektrischen Batterien vergleichbar, sodaß wohl die Funken hinüber und herüber
springen werden.
Es bedarf wohl kaum einer besondern Auseinandersetzung, daß die jetzt
zwischen den Parteien herrschende allgemeine Gereiztheit größere Gefahren für
eine ersprießliche Parlamentsarbeit in sich birgt als der natürliche Gegensatz
der Meinungen, der unter gewöhnlichen Umständen in den Debatten zum Aus¬
druck kommt. Es kommt eben noch die leidenschaftliche Erregung hinzu, die
aus den gegenseitigen Anklagen entspringt, und diese Anklagen richten sich
gegen Übelstünde, die alle Parteien gemeinsam empfinden, nicht nur — wie
sonst gewöhnlich im Parteikampf — die Parteien, die sich mit ihren besondern
Wünschen in den Hintergrund gedrängt sehen.
Es ist in den letzten Wochen viel und angelegentlich zum Frieden geredet
worden, aber wenn man genauer zusieht, ist eine Wirkung aller dieser gut¬
gemeinten Vorstellungen nirgends zu bemerken. Ja schon zu diesem Urteil
gehört ein beträchtlicher Optimismus; die Mehrzahl wird eher geneigt sein,
das Gegenteil festzustellen: steigende gegenseitige Erbitterung, je mehr darauf
hingewiesen wird, das Unabänderliche ruhen zu lassen und eine neue Grund¬
lage zu weiterer Arbeit zu schaffen. Man mag diese Tatsache tief beklagen
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