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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Eremitagenallee

Da aber brach sie in Tränen aus, hielt die Hände vor die Augen und rief
schluchzend: Dann liebst du sie also mehr als mich!

Ja, und dann hielt der Wagen, und das Mädchen kam heraus, um ihr
Fräulein in Empfang zu nehmen.




Oder ihre Herrin? fragte Lund.

Darüber meldet die Geschichte nichts! -- Aber seht doch nur: der Regen hat
vollständig nachgelassen, wir bekommen doch noch einen Sonnenuntergang!

Ich sah nach der Uhr: es war erst halb acht, und die Sonne ging erst einige
Minuten vor acht unter, folglich hatten wir reichlich Zeit, so reichlich, daß ich, ehe wir
gingen, den Kellner fragen konnte, ob er etwas von dem Fremden gesehen habe,
den ich ihm beschrieb, und ob er nicht wisse, wer er sei. -- Kellner haben ja be¬
kanntlich nie etwas gesehen!

Dann bestellten wir das Abendessen zu halb neun und gingen hinaus.

Ein Sommerabend ist wohl niemals schöner, als wenn es sich nach einem
starken, milden Regen plötzlich aufklärt. Die Luft ist so rein und doch so gesättigt
von würzigem Duft, die Regentropfen hängen noch überall an den Blättern und
den Grashalmen, und alle Farben strahlen doppelt frisch -- vor allem das Grün,
das grüne Moos auf dem Strohdach und die grünen Lindenkronen in der Reit¬
bahn -- nein, wie sie das Weiße Schloß kleiden!

Im Vorübergehn sahen wir in den lustigen kleinen Hof mit dem mächtigen
Buchsbaum hinein -- so groß und feierlich wie eine Zypresse -- und bogen dann
in den Schloßpark ein, in den wundervollen Fredensborger Schloßpark, der in der
ganzen weiten Welt nicht seinesgleichen hat.




Groß wie ein Wald, und in Wirklichkeit ein Wald mit ausgedehnten Ebenen
und mächtigen Buchenkuppeln, groß genug, um sich darin zu verirren. Und wer
hat sich nicht schon verirrt in den vielen vornehmen Alleen, in denen man sich selbst
so klein und so unendlich unbedeutend vorkommt; wo man weiß, daß der Laut der
Stimme sofort zwischen den Stämmen verschwindet, und wo man sie doch unwillkür¬
lich dämpft, als fürchte man, den königlichen Pan des Schloßparkes zu kränken!

Und dort am Ende der Eremitagenallee schimmert der Esromsee, der kein
sanftes Idyll ist wie der Furesee, der bei Sturmwind schaumweiße Kämme auf¬
wirbeln kann, sodaß der Wellenschlag zwischen den Baumkronen widerhallt; der
Esromsee, der quellenkalte Esromsee, in stillem Wetter wie dazu geschaffen, daß
Königstöchter aus Osten und Westen im Schwanengewand der Sehnsucht hierher-
sliegen und ein verjüngendes Bad in den reinen Wellen der Erinnerung nehmen
können.

Als wir vor dem Marmorgarten haltmachten, diesem verschlossenen und gerade
dadurch so wunderbar anziehenden Märchengarten, fanden wir hier schon einige
Dutzend Menschen versammelt; es waren die Fredensborger Veteranen, die aus¬
gegangen waren, um den Sonnenuntergang zu sehen.

Klar und strahlend stand die goldne Scheibe am Ende der Eremitagenallee,
aber noch ein Stück über dem See, jetzt schien sie schneller zu sinken, in ein paar
Minuten mußte sie verschwunden sein.

Wo jetzt wohl der Fremde sein mag? fragte Lund. Gott weiß, ob er nicht
auch hierherkommt!


Die Eremitagenallee

Da aber brach sie in Tränen aus, hielt die Hände vor die Augen und rief
schluchzend: Dann liebst du sie also mehr als mich!

Ja, und dann hielt der Wagen, und das Mädchen kam heraus, um ihr
Fräulein in Empfang zu nehmen.




Oder ihre Herrin? fragte Lund.

Darüber meldet die Geschichte nichts! — Aber seht doch nur: der Regen hat
vollständig nachgelassen, wir bekommen doch noch einen Sonnenuntergang!

Ich sah nach der Uhr: es war erst halb acht, und die Sonne ging erst einige
Minuten vor acht unter, folglich hatten wir reichlich Zeit, so reichlich, daß ich, ehe wir
gingen, den Kellner fragen konnte, ob er etwas von dem Fremden gesehen habe,
den ich ihm beschrieb, und ob er nicht wisse, wer er sei. — Kellner haben ja be¬
kanntlich nie etwas gesehen!

Dann bestellten wir das Abendessen zu halb neun und gingen hinaus.

Ein Sommerabend ist wohl niemals schöner, als wenn es sich nach einem
starken, milden Regen plötzlich aufklärt. Die Luft ist so rein und doch so gesättigt
von würzigem Duft, die Regentropfen hängen noch überall an den Blättern und
den Grashalmen, und alle Farben strahlen doppelt frisch — vor allem das Grün,
das grüne Moos auf dem Strohdach und die grünen Lindenkronen in der Reit¬
bahn — nein, wie sie das Weiße Schloß kleiden!

Im Vorübergehn sahen wir in den lustigen kleinen Hof mit dem mächtigen
Buchsbaum hinein — so groß und feierlich wie eine Zypresse — und bogen dann
in den Schloßpark ein, in den wundervollen Fredensborger Schloßpark, der in der
ganzen weiten Welt nicht seinesgleichen hat.




Groß wie ein Wald, und in Wirklichkeit ein Wald mit ausgedehnten Ebenen
und mächtigen Buchenkuppeln, groß genug, um sich darin zu verirren. Und wer
hat sich nicht schon verirrt in den vielen vornehmen Alleen, in denen man sich selbst
so klein und so unendlich unbedeutend vorkommt; wo man weiß, daß der Laut der
Stimme sofort zwischen den Stämmen verschwindet, und wo man sie doch unwillkür¬
lich dämpft, als fürchte man, den königlichen Pan des Schloßparkes zu kränken!

Und dort am Ende der Eremitagenallee schimmert der Esromsee, der kein
sanftes Idyll ist wie der Furesee, der bei Sturmwind schaumweiße Kämme auf¬
wirbeln kann, sodaß der Wellenschlag zwischen den Baumkronen widerhallt; der
Esromsee, der quellenkalte Esromsee, in stillem Wetter wie dazu geschaffen, daß
Königstöchter aus Osten und Westen im Schwanengewand der Sehnsucht hierher-
sliegen und ein verjüngendes Bad in den reinen Wellen der Erinnerung nehmen
können.

Als wir vor dem Marmorgarten haltmachten, diesem verschlossenen und gerade
dadurch so wunderbar anziehenden Märchengarten, fanden wir hier schon einige
Dutzend Menschen versammelt; es waren die Fredensborger Veteranen, die aus¬
gegangen waren, um den Sonnenuntergang zu sehen.

Klar und strahlend stand die goldne Scheibe am Ende der Eremitagenallee,
aber noch ein Stück über dem See, jetzt schien sie schneller zu sinken, in ein paar
Minuten mußte sie verschwunden sein.

Wo jetzt wohl der Fremde sein mag? fragte Lund. Gott weiß, ob er nicht
auch hierherkommt!


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[0386] Die Eremitagenallee Da aber brach sie in Tränen aus, hielt die Hände vor die Augen und rief schluchzend: Dann liebst du sie also mehr als mich! Ja, und dann hielt der Wagen, und das Mädchen kam heraus, um ihr Fräulein in Empfang zu nehmen. Oder ihre Herrin? fragte Lund. Darüber meldet die Geschichte nichts! — Aber seht doch nur: der Regen hat vollständig nachgelassen, wir bekommen doch noch einen Sonnenuntergang! Ich sah nach der Uhr: es war erst halb acht, und die Sonne ging erst einige Minuten vor acht unter, folglich hatten wir reichlich Zeit, so reichlich, daß ich, ehe wir gingen, den Kellner fragen konnte, ob er etwas von dem Fremden gesehen habe, den ich ihm beschrieb, und ob er nicht wisse, wer er sei. — Kellner haben ja be¬ kanntlich nie etwas gesehen! Dann bestellten wir das Abendessen zu halb neun und gingen hinaus. Ein Sommerabend ist wohl niemals schöner, als wenn es sich nach einem starken, milden Regen plötzlich aufklärt. Die Luft ist so rein und doch so gesättigt von würzigem Duft, die Regentropfen hängen noch überall an den Blättern und den Grashalmen, und alle Farben strahlen doppelt frisch — vor allem das Grün, das grüne Moos auf dem Strohdach und die grünen Lindenkronen in der Reit¬ bahn — nein, wie sie das Weiße Schloß kleiden! Im Vorübergehn sahen wir in den lustigen kleinen Hof mit dem mächtigen Buchsbaum hinein — so groß und feierlich wie eine Zypresse — und bogen dann in den Schloßpark ein, in den wundervollen Fredensborger Schloßpark, der in der ganzen weiten Welt nicht seinesgleichen hat. Groß wie ein Wald, und in Wirklichkeit ein Wald mit ausgedehnten Ebenen und mächtigen Buchenkuppeln, groß genug, um sich darin zu verirren. Und wer hat sich nicht schon verirrt in den vielen vornehmen Alleen, in denen man sich selbst so klein und so unendlich unbedeutend vorkommt; wo man weiß, daß der Laut der Stimme sofort zwischen den Stämmen verschwindet, und wo man sie doch unwillkür¬ lich dämpft, als fürchte man, den königlichen Pan des Schloßparkes zu kränken! Und dort am Ende der Eremitagenallee schimmert der Esromsee, der kein sanftes Idyll ist wie der Furesee, der bei Sturmwind schaumweiße Kämme auf¬ wirbeln kann, sodaß der Wellenschlag zwischen den Baumkronen widerhallt; der Esromsee, der quellenkalte Esromsee, in stillem Wetter wie dazu geschaffen, daß Königstöchter aus Osten und Westen im Schwanengewand der Sehnsucht hierher- sliegen und ein verjüngendes Bad in den reinen Wellen der Erinnerung nehmen können. Als wir vor dem Marmorgarten haltmachten, diesem verschlossenen und gerade dadurch so wunderbar anziehenden Märchengarten, fanden wir hier schon einige Dutzend Menschen versammelt; es waren die Fredensborger Veteranen, die aus¬ gegangen waren, um den Sonnenuntergang zu sehen. Klar und strahlend stand die goldne Scheibe am Ende der Eremitagenallee, aber noch ein Stück über dem See, jetzt schien sie schneller zu sinken, in ein paar Minuten mußte sie verschwunden sein. Wo jetzt wohl der Fremde sein mag? fragte Lund. Gott weiß, ob er nicht auch hierherkommt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/386>, abgerufen am 24.07.2024.