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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Eremitagenallee

sie sich ein wenig zu mir herüberbeugte, aber trotzdem hatte ich knapp den Mut,
die Prinzessin anzusehen.

Na ja, ich ruderte sie nach der Tiefe hinaus, und zurück kamen wir, aber
als wir an der Brücke anlegten und ich ihr an Land half-- nie hab ich eine
Dame so galant, ich möchte sagen, so gebildet ein Kleid aufnehmen sehen wie
sie --, da sagte sie: Hier sind drei Mark, Seemann, aber du bist ein Schafs¬
kopf! Und damit ging sie.

-- Herr du meines Lebens, wie sie doch recht hatte! Ja, man war ein
Schafskopf -- damals!

Und dann seufzte Hansen über seine Jugendtorheit und über die Küsse, die
er nicht bekommen hatte. ^ ^




Es ist ja schön, daß deines Freundes Hansen Erzählung nicht ohne Einfluß
auf deine spätere Entwicklung gewesen ist, sagte Lund. Du hast dir sicher keine
Vorwürfe darüber zu machen, daß dn die Küsse, die dir angeboten wurden, nicht
angenommen hast!

vin 1o W! entgegnete Eller. -- Aber es kann nun auch bei gewissen Gelegen¬
heiten verkehrt sein, einen Kuß zu geben.

Ja, das fehlte auch noch, daß es das nicht sein sollte!

Nein, du mußt mich recht perstehn! Ich meine, daß selbst wenn die, die ihn
bekommt, ihn im Augenblick als eine, sagen wir: selbstverständliche Huldigung hin¬
nimmt, so kann sie es im nächsten Augenblick als das Gegenteil empfinden.

Was willst du damit sagen?

Ja, da war zum Beispiel einer von meinen Freunden, der --

Einer von deinen Freunden -- das ist wohl ein leicht durchschaubares
Pseudonym?

Du kannst meinetwegen glauben, was du willst. Du kannst meinetwegen die
ganze Geschichte -- die übrigens gar keine Geschichte ist -- in die Gegenwart
verlegen, nach Kopenhagen oder nach Paris, und du kannst sie ebensogut nach
Florenz, in die Zeit des Decamerone, verlegen.

Ach so!

Nein, gerade nicht so, wenn ich bitten darf!




Es war einmal ein junger Mann, der zu gleicher Zeit zwei, ich will nicht
gerade sagen: Leidenschaften, denn die hat man nie gleichzeitig, sondern zwei
Neigungen hatte, die eine freilich etwas leichterer Art als die andre; und die beiden
Schönheiten, die Gegenstand seiner Gefühle waren, konnten sich der Eifersucht auf¬
einander nicht ganz erwehren.

Dann fuhr er eines Abends mit der einen aus einer Gesellschaft nach Hause
die andre war nicht dagewesen --, und während der Fahrt sitzt er erst mit ihrer
einen Hand in der seinen, und als sie sich seinem Hause nähern und er zu fühlen
weint, daß ihre Hand die seine ein wenig fester umschließt, als es gerade not¬
wendig ist, beugt er sich über sie und küßt sie. Und sie schlingt -- natürlich --
beide Arme um seinen Hals, und wie es im Liede heißt: "Gleich hatt' er sieben
Küsse wieder!"

Aber dann auf einmal läßt sie die Arme sinken und fragt, zu ihm gewandt:
Antworte mir einmal ganz ehrlich: hast du Julie auch so geküßt?

Julie, das war die andre, und in genauer Übereinstimmung mit der Wahr¬
heit antwortete er: Niemals!


Die Eremitagenallee

sie sich ein wenig zu mir herüberbeugte, aber trotzdem hatte ich knapp den Mut,
die Prinzessin anzusehen.

Na ja, ich ruderte sie nach der Tiefe hinaus, und zurück kamen wir, aber
als wir an der Brücke anlegten und ich ihr an Land half— nie hab ich eine
Dame so galant, ich möchte sagen, so gebildet ein Kleid aufnehmen sehen wie
sie —, da sagte sie: Hier sind drei Mark, Seemann, aber du bist ein Schafs¬
kopf! Und damit ging sie.

— Herr du meines Lebens, wie sie doch recht hatte! Ja, man war ein
Schafskopf — damals!

Und dann seufzte Hansen über seine Jugendtorheit und über die Küsse, die
er nicht bekommen hatte. ^ ^




Es ist ja schön, daß deines Freundes Hansen Erzählung nicht ohne Einfluß
auf deine spätere Entwicklung gewesen ist, sagte Lund. Du hast dir sicher keine
Vorwürfe darüber zu machen, daß dn die Küsse, die dir angeboten wurden, nicht
angenommen hast!

vin 1o W! entgegnete Eller. — Aber es kann nun auch bei gewissen Gelegen¬
heiten verkehrt sein, einen Kuß zu geben.

Ja, das fehlte auch noch, daß es das nicht sein sollte!

Nein, du mußt mich recht perstehn! Ich meine, daß selbst wenn die, die ihn
bekommt, ihn im Augenblick als eine, sagen wir: selbstverständliche Huldigung hin¬
nimmt, so kann sie es im nächsten Augenblick als das Gegenteil empfinden.

Was willst du damit sagen?

Ja, da war zum Beispiel einer von meinen Freunden, der —

Einer von deinen Freunden — das ist wohl ein leicht durchschaubares
Pseudonym?

Du kannst meinetwegen glauben, was du willst. Du kannst meinetwegen die
ganze Geschichte — die übrigens gar keine Geschichte ist — in die Gegenwart
verlegen, nach Kopenhagen oder nach Paris, und du kannst sie ebensogut nach
Florenz, in die Zeit des Decamerone, verlegen.

Ach so!

Nein, gerade nicht so, wenn ich bitten darf!




Es war einmal ein junger Mann, der zu gleicher Zeit zwei, ich will nicht
gerade sagen: Leidenschaften, denn die hat man nie gleichzeitig, sondern zwei
Neigungen hatte, die eine freilich etwas leichterer Art als die andre; und die beiden
Schönheiten, die Gegenstand seiner Gefühle waren, konnten sich der Eifersucht auf¬
einander nicht ganz erwehren.

Dann fuhr er eines Abends mit der einen aus einer Gesellschaft nach Hause
die andre war nicht dagewesen —, und während der Fahrt sitzt er erst mit ihrer
einen Hand in der seinen, und als sie sich seinem Hause nähern und er zu fühlen
weint, daß ihre Hand die seine ein wenig fester umschließt, als es gerade not¬
wendig ist, beugt er sich über sie und küßt sie. Und sie schlingt — natürlich —
beide Arme um seinen Hals, und wie es im Liede heißt: „Gleich hatt' er sieben
Küsse wieder!"

Aber dann auf einmal läßt sie die Arme sinken und fragt, zu ihm gewandt:
Antworte mir einmal ganz ehrlich: hast du Julie auch so geküßt?

Julie, das war die andre, und in genauer Übereinstimmung mit der Wahr¬
heit antwortete er: Niemals!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/385>, abgerufen am 24.07.2024.