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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Lremitagenallee

bisher noch keine Soldaten gelegen hatten. Es waren die glücklichen Tage der
Begeisterung, und im Pfarrhause wußte man gar nicht, was man der Einquartierung
alles zugute tun sollte. Der Pfarrer fand ja freilich, daß der Leutnant ein wenig
schwer aus sich herauszubringen war -- er konnte weder erzählen noch sich mit
fortreißen lassen, fand der Pfarrer --, aber einerlei, er war ja doch ein dänischer
Offizier, einer von denen, auf die man vertraute, und zu denen man in jenen
Zeiten unwillkürlich aufsah.

Die Pfarrersleute hatten eine einzige Tochter, ein blutjunges Mädchen, so wie
dänische Pfarrerstochter damals waren, denke ich mir: mit blondem Haar, blauen
Augen, in weißem Waschkleid und herzensgut und sehr verlegen.

Sie sah den jungen Leutnant wieder und wieder an, und je mehr sie ihn
ansah, um so schöner wurde er in ihren Augen -- nur weil er Offizier war, und
weil Krieg war.'

In jenen Tagen war nun "Der tapfre Landsoldat" ein ganz neues Lied, und
der Pfarrer hatte gerade ein Exemplar davon mit der Post bekommen, aber noch
hatte es niemand im Pfarrhause gespielt oder gesungen, wohl nicht einmal gelesen.

Nach dem Abendbrot tritt das junge Mädchen an den Leutnant heran, das
Lied in der Hand, und fragt mit niedergeschlagnen Augen, ob er nicht so gut sein
wolle, ihnen die neue Melodie vorzuspielen und zu singen, sie wollten sie so gern
hören. Ja, ein wenig klimpern konnte der Leutnant, und ein wenig Stimme hatte
er vielleicht auch, jedenfalls sang er das Lied. Bisher hatte ihn wohl noch nie etwas
begeistern können, aber während er sang und die Augen des jungen Mädchens
unverwandt auf sich gerichtet sah, mit ihrer ganzen jungfräulichen Begeisterung und
Ergriffenheit, da wurde er gleichsam selbst mit fortgerissen; er streifte seine Ver¬
legenheit ab und bekam plötzlich Stimme und Vortrag.

Ach, tausend, tausend Dank! sagte das junge Mädchen zu dem Leutnant und
reichte ihm die Hand, und die Pfarrersleute bedankten sich auch aufs herzlichste,
aber das hörte er gewiß gar nicht. Am nächsten Morgen, in aller Frühe -- sagen
wir einmal, so um fünf herum -- sollte der Leutnant weitermarschieren, und seine
Abteilung stand ans dem Hofe unter Gewehr.

Die Pfarrerstochter war auch aufgestanden, und als ihr der Leutnant Lebewohl
gesagt hatte und sie auf der steinernen Treppe stand und er Richtet euchl kommandiert
hatte, war es, als falle ihr plötzlich ein, daß sie etwas vergessen habe, und ehe sichs
der Leutnant versah, fühlte er ihre Arme um seinen Hals und einen warmen Kuß
auf seinem Mund. Dann stürzte sie wie ein aufgescheuchtes Reh ins Haus hinein,
und er sah sie nicht nichr.

, Aber der Leutnant war von demselben Augenblick an wie verwandelt; er
"häutete sich", und die Leute erzählten später, er sei förmlich einen Zoll größer
geworden. Offenbar meinte er selbst, er sei vor der Front dekoriert, habe Ritter¬
schlag und Weihe empfangen.

Da war ein Appell wie nie zuvor in seiner Stimme, als er Marsch! kommandierte,
und ein paar Tage später fiel er mit Bravour und mit einem glücklichen Lächeln
um den Mund an der Spitze seiner Jäger, als sie eine stark von Insurgenten
besetzte Hecke stürmten.

(Schluß folgt)




Die Lremitagenallee

bisher noch keine Soldaten gelegen hatten. Es waren die glücklichen Tage der
Begeisterung, und im Pfarrhause wußte man gar nicht, was man der Einquartierung
alles zugute tun sollte. Der Pfarrer fand ja freilich, daß der Leutnant ein wenig
schwer aus sich herauszubringen war — er konnte weder erzählen noch sich mit
fortreißen lassen, fand der Pfarrer —, aber einerlei, er war ja doch ein dänischer
Offizier, einer von denen, auf die man vertraute, und zu denen man in jenen
Zeiten unwillkürlich aufsah.

Die Pfarrersleute hatten eine einzige Tochter, ein blutjunges Mädchen, so wie
dänische Pfarrerstochter damals waren, denke ich mir: mit blondem Haar, blauen
Augen, in weißem Waschkleid und herzensgut und sehr verlegen.

Sie sah den jungen Leutnant wieder und wieder an, und je mehr sie ihn
ansah, um so schöner wurde er in ihren Augen — nur weil er Offizier war, und
weil Krieg war.'

In jenen Tagen war nun „Der tapfre Landsoldat" ein ganz neues Lied, und
der Pfarrer hatte gerade ein Exemplar davon mit der Post bekommen, aber noch
hatte es niemand im Pfarrhause gespielt oder gesungen, wohl nicht einmal gelesen.

Nach dem Abendbrot tritt das junge Mädchen an den Leutnant heran, das
Lied in der Hand, und fragt mit niedergeschlagnen Augen, ob er nicht so gut sein
wolle, ihnen die neue Melodie vorzuspielen und zu singen, sie wollten sie so gern
hören. Ja, ein wenig klimpern konnte der Leutnant, und ein wenig Stimme hatte
er vielleicht auch, jedenfalls sang er das Lied. Bisher hatte ihn wohl noch nie etwas
begeistern können, aber während er sang und die Augen des jungen Mädchens
unverwandt auf sich gerichtet sah, mit ihrer ganzen jungfräulichen Begeisterung und
Ergriffenheit, da wurde er gleichsam selbst mit fortgerissen; er streifte seine Ver¬
legenheit ab und bekam plötzlich Stimme und Vortrag.

Ach, tausend, tausend Dank! sagte das junge Mädchen zu dem Leutnant und
reichte ihm die Hand, und die Pfarrersleute bedankten sich auch aufs herzlichste,
aber das hörte er gewiß gar nicht. Am nächsten Morgen, in aller Frühe — sagen
wir einmal, so um fünf herum — sollte der Leutnant weitermarschieren, und seine
Abteilung stand ans dem Hofe unter Gewehr.

Die Pfarrerstochter war auch aufgestanden, und als ihr der Leutnant Lebewohl
gesagt hatte und sie auf der steinernen Treppe stand und er Richtet euchl kommandiert
hatte, war es, als falle ihr plötzlich ein, daß sie etwas vergessen habe, und ehe sichs
der Leutnant versah, fühlte er ihre Arme um seinen Hals und einen warmen Kuß
auf seinem Mund. Dann stürzte sie wie ein aufgescheuchtes Reh ins Haus hinein,
und er sah sie nicht nichr.

, Aber der Leutnant war von demselben Augenblick an wie verwandelt; er
„häutete sich", und die Leute erzählten später, er sei förmlich einen Zoll größer
geworden. Offenbar meinte er selbst, er sei vor der Front dekoriert, habe Ritter¬
schlag und Weihe empfangen.

Da war ein Appell wie nie zuvor in seiner Stimme, als er Marsch! kommandierte,
und ein paar Tage später fiel er mit Bravour und mit einem glücklichen Lächeln
um den Mund an der Spitze seiner Jäger, als sie eine stark von Insurgenten
besetzte Hecke stürmten.

(Schluß folgt)




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[0340] Die Lremitagenallee bisher noch keine Soldaten gelegen hatten. Es waren die glücklichen Tage der Begeisterung, und im Pfarrhause wußte man gar nicht, was man der Einquartierung alles zugute tun sollte. Der Pfarrer fand ja freilich, daß der Leutnant ein wenig schwer aus sich herauszubringen war — er konnte weder erzählen noch sich mit fortreißen lassen, fand der Pfarrer —, aber einerlei, er war ja doch ein dänischer Offizier, einer von denen, auf die man vertraute, und zu denen man in jenen Zeiten unwillkürlich aufsah. Die Pfarrersleute hatten eine einzige Tochter, ein blutjunges Mädchen, so wie dänische Pfarrerstochter damals waren, denke ich mir: mit blondem Haar, blauen Augen, in weißem Waschkleid und herzensgut und sehr verlegen. Sie sah den jungen Leutnant wieder und wieder an, und je mehr sie ihn ansah, um so schöner wurde er in ihren Augen — nur weil er Offizier war, und weil Krieg war.' In jenen Tagen war nun „Der tapfre Landsoldat" ein ganz neues Lied, und der Pfarrer hatte gerade ein Exemplar davon mit der Post bekommen, aber noch hatte es niemand im Pfarrhause gespielt oder gesungen, wohl nicht einmal gelesen. Nach dem Abendbrot tritt das junge Mädchen an den Leutnant heran, das Lied in der Hand, und fragt mit niedergeschlagnen Augen, ob er nicht so gut sein wolle, ihnen die neue Melodie vorzuspielen und zu singen, sie wollten sie so gern hören. Ja, ein wenig klimpern konnte der Leutnant, und ein wenig Stimme hatte er vielleicht auch, jedenfalls sang er das Lied. Bisher hatte ihn wohl noch nie etwas begeistern können, aber während er sang und die Augen des jungen Mädchens unverwandt auf sich gerichtet sah, mit ihrer ganzen jungfräulichen Begeisterung und Ergriffenheit, da wurde er gleichsam selbst mit fortgerissen; er streifte seine Ver¬ legenheit ab und bekam plötzlich Stimme und Vortrag. Ach, tausend, tausend Dank! sagte das junge Mädchen zu dem Leutnant und reichte ihm die Hand, und die Pfarrersleute bedankten sich auch aufs herzlichste, aber das hörte er gewiß gar nicht. Am nächsten Morgen, in aller Frühe — sagen wir einmal, so um fünf herum — sollte der Leutnant weitermarschieren, und seine Abteilung stand ans dem Hofe unter Gewehr. Die Pfarrerstochter war auch aufgestanden, und als ihr der Leutnant Lebewohl gesagt hatte und sie auf der steinernen Treppe stand und er Richtet euchl kommandiert hatte, war es, als falle ihr plötzlich ein, daß sie etwas vergessen habe, und ehe sichs der Leutnant versah, fühlte er ihre Arme um seinen Hals und einen warmen Kuß auf seinem Mund. Dann stürzte sie wie ein aufgescheuchtes Reh ins Haus hinein, und er sah sie nicht nichr. , Aber der Leutnant war von demselben Augenblick an wie verwandelt; er „häutete sich", und die Leute erzählten später, er sei förmlich einen Zoll größer geworden. Offenbar meinte er selbst, er sei vor der Front dekoriert, habe Ritter¬ schlag und Weihe empfangen. Da war ein Appell wie nie zuvor in seiner Stimme, als er Marsch! kommandierte, und ein paar Tage später fiel er mit Bravour und mit einem glücklichen Lächeln um den Mund an der Spitze seiner Jäger, als sie eine stark von Insurgenten besetzte Hecke stürmten. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/340>, abgerufen am 24.07.2024.