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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Szenische Ausstattung

weiter denn je entfernt ist, weiter vielleicht noch als vor hundert Jahren,
da ihre Geburtsstunde schlug. Sie hat dem, auch so gut wie keine nennens¬
werten Resultate aufzuweisen, an den höchsten Problemen nun gar mußte
und muß sie in alle Zukunft bei ihren Mitteln verzweifeln. Willkür und
Zufall, aber keine Gesetzmäßigkeit sind bei ihr zu Hause. Und warum das
alles? Weil sie nicht mehr wie in den Tagen ihres Altmeisters Franz
Bopp die einfachen Wege der Natur gewandelt ist, der Fluch des Dogmas
und starrer Tradition, der Todfeinde aller Wissenschaft, hat sich an ihre
Fersen geheftet und ihren freien Lauf gehemmt. Ein völliger Umschwung
der wissenschaftlichen Anschauung, wie ihn die neuen Erkenntnisse gebieterisch
fordern, tut in dem neuen Jahrhundert, das sie nun angetreten hat, not; vor
allem ist er von der jungen nachdrängenden Generation mit noch geschmeidigeren
Geiste zu erwarten, der beide Seiten, das Alte und das Neue, mit Unpartei¬
lichkeit zu beurteilen imstande ist. Ihr wird, das hoffe ich zuversichtlich,
immer mehr die Erkenntnis in vollem Bewußtsein aufgehn, daß die Wahr¬
heit, die Darwin für das große Tier- und Pflanzenreich verkündet und zum
allgemeinen Besitz der Menschheit gemacht hat, hier zum erstenmal für das
weite Reich der Sprache erwiesen wird, daß auch die Sprache, die ihrem
innersten Wesen nach Natur ist, ihre vielgestaltige Formenwelt aus einer ur¬
sprünglichen einfachen Einheit auf gesetzmäßigem Wege hervorgebracht hat; ihr
wird, kurz gesagt, auch für die Sprache die beglückende und erhebende Er¬
kenntnis der Wahrheit aufgehn, die Darwin am Schluß seiner "Entstehung
der Arten" in die Worte zusammenfaßt: "Es ist wahrhaftig eine großartige
Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur
wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während
unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise
geschwungen, ans so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der
schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer
entwickelt."




Szenische Ausstattung
von Georg Stell" n"s
3. Rostüm und Requisiten (Schluß)

he wir zu den Requisiten übergehen, noch ein Wort darüber, wie
es denn eigentlich zu halten ist, wenn der Dichter für das
Kostüm etwas andres vorschreibt, als was er hätte vorschreiben
müssen, wenn er dem hätte folgen wollen, was die Geschichte
ausführlich berichtet. Der Todesgang der Königin Maria von
Schottland ist hier ein recht bezeichnendes Beispiel. Wir wissen genau, wie die
unglückliche Königin dabei gekleidet war: rot in verschiednen Farbenabstufungen


Szenische Ausstattung

weiter denn je entfernt ist, weiter vielleicht noch als vor hundert Jahren,
da ihre Geburtsstunde schlug. Sie hat dem, auch so gut wie keine nennens¬
werten Resultate aufzuweisen, an den höchsten Problemen nun gar mußte
und muß sie in alle Zukunft bei ihren Mitteln verzweifeln. Willkür und
Zufall, aber keine Gesetzmäßigkeit sind bei ihr zu Hause. Und warum das
alles? Weil sie nicht mehr wie in den Tagen ihres Altmeisters Franz
Bopp die einfachen Wege der Natur gewandelt ist, der Fluch des Dogmas
und starrer Tradition, der Todfeinde aller Wissenschaft, hat sich an ihre
Fersen geheftet und ihren freien Lauf gehemmt. Ein völliger Umschwung
der wissenschaftlichen Anschauung, wie ihn die neuen Erkenntnisse gebieterisch
fordern, tut in dem neuen Jahrhundert, das sie nun angetreten hat, not; vor
allem ist er von der jungen nachdrängenden Generation mit noch geschmeidigeren
Geiste zu erwarten, der beide Seiten, das Alte und das Neue, mit Unpartei¬
lichkeit zu beurteilen imstande ist. Ihr wird, das hoffe ich zuversichtlich,
immer mehr die Erkenntnis in vollem Bewußtsein aufgehn, daß die Wahr¬
heit, die Darwin für das große Tier- und Pflanzenreich verkündet und zum
allgemeinen Besitz der Menschheit gemacht hat, hier zum erstenmal für das
weite Reich der Sprache erwiesen wird, daß auch die Sprache, die ihrem
innersten Wesen nach Natur ist, ihre vielgestaltige Formenwelt aus einer ur¬
sprünglichen einfachen Einheit auf gesetzmäßigem Wege hervorgebracht hat; ihr
wird, kurz gesagt, auch für die Sprache die beglückende und erhebende Er¬
kenntnis der Wahrheit aufgehn, die Darwin am Schluß seiner „Entstehung
der Arten" in die Worte zusammenfaßt: „Es ist wahrhaftig eine großartige
Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur
wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während
unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise
geschwungen, ans so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der
schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer
entwickelt."




Szenische Ausstattung
von Georg Stell« n»s
3. Rostüm und Requisiten (Schluß)

he wir zu den Requisiten übergehen, noch ein Wort darüber, wie
es denn eigentlich zu halten ist, wenn der Dichter für das
Kostüm etwas andres vorschreibt, als was er hätte vorschreiben
müssen, wenn er dem hätte folgen wollen, was die Geschichte
ausführlich berichtet. Der Todesgang der Königin Maria von
Schottland ist hier ein recht bezeichnendes Beispiel. Wir wissen genau, wie die
unglückliche Königin dabei gekleidet war: rot in verschiednen Farbenabstufungen


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[0327] Szenische Ausstattung weiter denn je entfernt ist, weiter vielleicht noch als vor hundert Jahren, da ihre Geburtsstunde schlug. Sie hat dem, auch so gut wie keine nennens¬ werten Resultate aufzuweisen, an den höchsten Problemen nun gar mußte und muß sie in alle Zukunft bei ihren Mitteln verzweifeln. Willkür und Zufall, aber keine Gesetzmäßigkeit sind bei ihr zu Hause. Und warum das alles? Weil sie nicht mehr wie in den Tagen ihres Altmeisters Franz Bopp die einfachen Wege der Natur gewandelt ist, der Fluch des Dogmas und starrer Tradition, der Todfeinde aller Wissenschaft, hat sich an ihre Fersen geheftet und ihren freien Lauf gehemmt. Ein völliger Umschwung der wissenschaftlichen Anschauung, wie ihn die neuen Erkenntnisse gebieterisch fordern, tut in dem neuen Jahrhundert, das sie nun angetreten hat, not; vor allem ist er von der jungen nachdrängenden Generation mit noch geschmeidigeren Geiste zu erwarten, der beide Seiten, das Alte und das Neue, mit Unpartei¬ lichkeit zu beurteilen imstande ist. Ihr wird, das hoffe ich zuversichtlich, immer mehr die Erkenntnis in vollem Bewußtsein aufgehn, daß die Wahr¬ heit, die Darwin für das große Tier- und Pflanzenreich verkündet und zum allgemeinen Besitz der Menschheit gemacht hat, hier zum erstenmal für das weite Reich der Sprache erwiesen wird, daß auch die Sprache, die ihrem innersten Wesen nach Natur ist, ihre vielgestaltige Formenwelt aus einer ur¬ sprünglichen einfachen Einheit auf gesetzmäßigem Wege hervorgebracht hat; ihr wird, kurz gesagt, auch für die Sprache die beglückende und erhebende Er¬ kenntnis der Wahrheit aufgehn, die Darwin am Schluß seiner „Entstehung der Arten" in die Worte zusammenfaßt: „Es ist wahrhaftig eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise geschwungen, ans so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt." Szenische Ausstattung von Georg Stell« n»s 3. Rostüm und Requisiten (Schluß) he wir zu den Requisiten übergehen, noch ein Wort darüber, wie es denn eigentlich zu halten ist, wenn der Dichter für das Kostüm etwas andres vorschreibt, als was er hätte vorschreiben müssen, wenn er dem hätte folgen wollen, was die Geschichte ausführlich berichtet. Der Todesgang der Königin Maria von Schottland ist hier ein recht bezeichnendes Beispiel. Wir wissen genau, wie die unglückliche Königin dabei gekleidet war: rot in verschiednen Farbenabstufungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/327>, abgerufen am 24.07.2024.