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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Von gotischen Profanbauten ist nur einer übrig geblieben, der aber das
fehlende Mittelgut reichlich aufwiegt. Das Äußere des Rathauses mit seinen
Prunkgiebeln, Erkern und Türmchen, seiner Malerei und Steinfiligranarbeit
wirkt märchenhaft, und sein schön restaurierter Fürstensaal mit seinen vier
meergrünen Kreuzgewölben, deren vergoldete Nippen auf einem Mittelpfeiler
ruhen, ist wahrhaft würdig, Königen als Huldigungs- und Festraum zu dienen.
Der Schweidnitzer Keller hatte dem Rate zu Anfang des sechzehnten Jahr¬
hunderts 2400 Dukaten, bei der damaligen Kaufkraft des Geldes nach heutigem
Gelde etwa 100000 Mark gebracht. Die folgenden schlimmen Zeiten, später
dann wohl auch die Konkurrenz moderner Gastwirtschaften minderten den Er¬
trag dermaßen, daß der Brauer Friede seinen Sohn August für verrückt er¬
klärt haben soll, als dieser im Jahre 1835 den Keller auf fünfzig Jahre um
400 Taler jährlich pachtete. Nach wenigen Jahren zahlte ihm die Würstel¬
frau, die sich in einer Nische an der Eingangstreppe niederließ, diese
400 Taler, und bald erlaubten ihm seine Mittel, im Süden der Stadt ein
großartiges Vergnügungsetablissement, den Friebeberg, anzulegen. Er schenkte
neben dem nach bayrischer Art gebrauten noch das einfache Bier, das später
verächtlich Kutscherbier genannt wurde und heute auch schon von den Kutschern
verschmäht wird, obwohl es die gesündeste, auch in der Küche verwendbare
Sorte von Gerstensaft ist und von sparsamen Hausfrauen noch als solche ge¬
schätzt wird. Damals bekam man das Glas um sechs Pfennige (einen halben
Silbergroschen), und wenn es nicht voll geschenkt wurde, um vier -- einen
Vierer mit Schaum bestellte man --, sodaß man um einen Silbergroschen
(soviel kostete eine Käseschnitte) und vier Pfennige zu Abend speisen konnte.
Heute geht es in diesen ebenfalls renovierten und mit Gemälden ge¬
schmückten Kellerräumen so manierlich zu wie in allen öffentlichen Lokalen,
damals herrschte ein 3MS ^sue, das heute nicht einmal öffentlich beschrieben
werden kann.

In einem westsüdöstlich sich hinziehenden Gürtel von sehr ungleicher
Breite umschließen die zwanzig Hektar bedeckenden Promenaden den nördlich
von der Oder begrenzten Teil der Altstadt. Das sogenannte Schweidnitzer
Tor, das heißt das Südende der von Süd nach Nord laufenden Schweidnitzer
Straße, teilt sie in zwei Hälften. Die westliche besteht hauptsächlich aus
Alleen, die östliche hat breite Rasenflächen und prachtvolle Teppichbeete. Den
Platz, auf dem ehemals das Tor gestanden hat, umrahmen monumentale
Bauten. Linkerhand hat der vom Bahnhof kommende das Gouvernement,
das Stadttheater und die Dorotheenkirche mit ihrem riesig hohen Dach.
Dahinter das königliche Palais, vor dem sich ein Exerzierplatz ausbreitet. In
den ersten zwei Dritteln des vorigen Jahrhunderts, wo Schlesien noch ein
Hauptwollproduzent war, wurde hier der Wollmarkt abgehalten, der einen
Goldstrom in die Kassen der Gutsbesitzer ergoß, von dem diese, frei von
Knauserei, der guten Stadt Breslau und deren Geschäftsleuten vom höchsten


Breslau

Von gotischen Profanbauten ist nur einer übrig geblieben, der aber das
fehlende Mittelgut reichlich aufwiegt. Das Äußere des Rathauses mit seinen
Prunkgiebeln, Erkern und Türmchen, seiner Malerei und Steinfiligranarbeit
wirkt märchenhaft, und sein schön restaurierter Fürstensaal mit seinen vier
meergrünen Kreuzgewölben, deren vergoldete Nippen auf einem Mittelpfeiler
ruhen, ist wahrhaft würdig, Königen als Huldigungs- und Festraum zu dienen.
Der Schweidnitzer Keller hatte dem Rate zu Anfang des sechzehnten Jahr¬
hunderts 2400 Dukaten, bei der damaligen Kaufkraft des Geldes nach heutigem
Gelde etwa 100000 Mark gebracht. Die folgenden schlimmen Zeiten, später
dann wohl auch die Konkurrenz moderner Gastwirtschaften minderten den Er¬
trag dermaßen, daß der Brauer Friede seinen Sohn August für verrückt er¬
klärt haben soll, als dieser im Jahre 1835 den Keller auf fünfzig Jahre um
400 Taler jährlich pachtete. Nach wenigen Jahren zahlte ihm die Würstel¬
frau, die sich in einer Nische an der Eingangstreppe niederließ, diese
400 Taler, und bald erlaubten ihm seine Mittel, im Süden der Stadt ein
großartiges Vergnügungsetablissement, den Friebeberg, anzulegen. Er schenkte
neben dem nach bayrischer Art gebrauten noch das einfache Bier, das später
verächtlich Kutscherbier genannt wurde und heute auch schon von den Kutschern
verschmäht wird, obwohl es die gesündeste, auch in der Küche verwendbare
Sorte von Gerstensaft ist und von sparsamen Hausfrauen noch als solche ge¬
schätzt wird. Damals bekam man das Glas um sechs Pfennige (einen halben
Silbergroschen), und wenn es nicht voll geschenkt wurde, um vier — einen
Vierer mit Schaum bestellte man —, sodaß man um einen Silbergroschen
(soviel kostete eine Käseschnitte) und vier Pfennige zu Abend speisen konnte.
Heute geht es in diesen ebenfalls renovierten und mit Gemälden ge¬
schmückten Kellerräumen so manierlich zu wie in allen öffentlichen Lokalen,
damals herrschte ein 3MS ^sue, das heute nicht einmal öffentlich beschrieben
werden kann.

In einem westsüdöstlich sich hinziehenden Gürtel von sehr ungleicher
Breite umschließen die zwanzig Hektar bedeckenden Promenaden den nördlich
von der Oder begrenzten Teil der Altstadt. Das sogenannte Schweidnitzer
Tor, das heißt das Südende der von Süd nach Nord laufenden Schweidnitzer
Straße, teilt sie in zwei Hälften. Die westliche besteht hauptsächlich aus
Alleen, die östliche hat breite Rasenflächen und prachtvolle Teppichbeete. Den
Platz, auf dem ehemals das Tor gestanden hat, umrahmen monumentale
Bauten. Linkerhand hat der vom Bahnhof kommende das Gouvernement,
das Stadttheater und die Dorotheenkirche mit ihrem riesig hohen Dach.
Dahinter das königliche Palais, vor dem sich ein Exerzierplatz ausbreitet. In
den ersten zwei Dritteln des vorigen Jahrhunderts, wo Schlesien noch ein
Hauptwollproduzent war, wurde hier der Wollmarkt abgehalten, der einen
Goldstrom in die Kassen der Gutsbesitzer ergoß, von dem diese, frei von
Knauserei, der guten Stadt Breslau und deren Geschäftsleuten vom höchsten


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[0313] Breslau Von gotischen Profanbauten ist nur einer übrig geblieben, der aber das fehlende Mittelgut reichlich aufwiegt. Das Äußere des Rathauses mit seinen Prunkgiebeln, Erkern und Türmchen, seiner Malerei und Steinfiligranarbeit wirkt märchenhaft, und sein schön restaurierter Fürstensaal mit seinen vier meergrünen Kreuzgewölben, deren vergoldete Nippen auf einem Mittelpfeiler ruhen, ist wahrhaft würdig, Königen als Huldigungs- und Festraum zu dienen. Der Schweidnitzer Keller hatte dem Rate zu Anfang des sechzehnten Jahr¬ hunderts 2400 Dukaten, bei der damaligen Kaufkraft des Geldes nach heutigem Gelde etwa 100000 Mark gebracht. Die folgenden schlimmen Zeiten, später dann wohl auch die Konkurrenz moderner Gastwirtschaften minderten den Er¬ trag dermaßen, daß der Brauer Friede seinen Sohn August für verrückt er¬ klärt haben soll, als dieser im Jahre 1835 den Keller auf fünfzig Jahre um 400 Taler jährlich pachtete. Nach wenigen Jahren zahlte ihm die Würstel¬ frau, die sich in einer Nische an der Eingangstreppe niederließ, diese 400 Taler, und bald erlaubten ihm seine Mittel, im Süden der Stadt ein großartiges Vergnügungsetablissement, den Friebeberg, anzulegen. Er schenkte neben dem nach bayrischer Art gebrauten noch das einfache Bier, das später verächtlich Kutscherbier genannt wurde und heute auch schon von den Kutschern verschmäht wird, obwohl es die gesündeste, auch in der Küche verwendbare Sorte von Gerstensaft ist und von sparsamen Hausfrauen noch als solche ge¬ schätzt wird. Damals bekam man das Glas um sechs Pfennige (einen halben Silbergroschen), und wenn es nicht voll geschenkt wurde, um vier — einen Vierer mit Schaum bestellte man —, sodaß man um einen Silbergroschen (soviel kostete eine Käseschnitte) und vier Pfennige zu Abend speisen konnte. Heute geht es in diesen ebenfalls renovierten und mit Gemälden ge¬ schmückten Kellerräumen so manierlich zu wie in allen öffentlichen Lokalen, damals herrschte ein 3MS ^sue, das heute nicht einmal öffentlich beschrieben werden kann. In einem westsüdöstlich sich hinziehenden Gürtel von sehr ungleicher Breite umschließen die zwanzig Hektar bedeckenden Promenaden den nördlich von der Oder begrenzten Teil der Altstadt. Das sogenannte Schweidnitzer Tor, das heißt das Südende der von Süd nach Nord laufenden Schweidnitzer Straße, teilt sie in zwei Hälften. Die westliche besteht hauptsächlich aus Alleen, die östliche hat breite Rasenflächen und prachtvolle Teppichbeete. Den Platz, auf dem ehemals das Tor gestanden hat, umrahmen monumentale Bauten. Linkerhand hat der vom Bahnhof kommende das Gouvernement, das Stadttheater und die Dorotheenkirche mit ihrem riesig hohen Dach. Dahinter das königliche Palais, vor dem sich ein Exerzierplatz ausbreitet. In den ersten zwei Dritteln des vorigen Jahrhunderts, wo Schlesien noch ein Hauptwollproduzent war, wurde hier der Wollmarkt abgehalten, der einen Goldstrom in die Kassen der Gutsbesitzer ergoß, von dem diese, frei von Knauserei, der guten Stadt Breslau und deren Geschäftsleuten vom höchsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/313>, abgerufen am 24.07.2024.