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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Äetlev von Liliencron

Zusammenhange gemäß, zu versteh") niemals darauf an, die Worte mit einem
höhern Sinn zu füllen, sodaß jener epigrammatisch gesättigte, bezichungsvolle
Stil des Faust, des Goethescher Faust, der als das selten erreichte Ideal
doch für eine Seite des deutschen Volksgeistes charakteristisch und mustergiltig
ist und immer bleiben wird, zustande kam. Weltanschauungen hat Liliencron
nicht gewälzt; metaphysische, kosmische, soziale oder ethische Probleme zu
schürzen und zu lösen, war nicht seine Art; das konnte er nicht. Aber der
Elan seines Menschentums und seiner Phantasie, die Intensität seines Em-
pfindungs- und Vorstellungslebens, seine ganz unberechenbare Kraft rissen ihn
doch zu dantesken Visionen empor -- ich denke an sehr viele Stellen in seinem
Poggfredgedicht. an Dichtungen wie "Die heilige Flamme", "Die Sündcn-
burg". "Pickel", "Der schwermütige König". "Die Pest". .,Krischan Schmeer".
Diese Freskogemälde, in denen nicht Weltanschauungen ihren Niederschlag
erfahren, wohl aber große und starke Empfindungen, haben in der Tat kaum
ihresgleichen in der deutschen Poesie. Jedenfalls haben Temperament und
fortreißender Schwung, Bildkraft und elementare Phantasie hier Dichtungen
ganz eigner Art geschaffen. "Jede Einzelheit trügt die Maske des Genies:
die visionäre Lebendigkeit des überirdischen Daseins. Nur als Ganzes bewegt
es nicht genug den Geist, der einen neuen Ausgleich zwischen Diesseits und
Jenseits anstrebt. Der "Rapport" tritt mehr dem äußern Bilde nach als dem
innern Sinne nach ein: nur auf Augenblicke ist das Sinnbild vollkommen:
man fühlt, er hat es nicht bewußt genug durchdacht, er hat sich allzusehr von.
Unbewußten bewältigen lassen." Ganz gewiß. Aber aus dem bunten Tanze
scheinen sich doch bisweilen die ernsten Masken des tiefern Lebens und die
Allegorien ewiger Ideen zu lösen. Auch hier steht, bevor wir uns dessen ganz
bewußt werden, auf einmal eine übermenschliche Offenbarung vor uns, und
man kann die Poggfredgesänge wohl ein Panorama des großen und kleinen,
des allgemeinen wie des besondern persönlichen Lebens nennen.

So war Liliencron. Und nun noch ein Letztes. Er war auch ein gar
sehr bewußter Mensch. Was ich meine, dem hat Richard Dehmel in seiner
Abschiedsrede am Grabe des Dichters tief rührenden Ausdruck verliehen:
"Wie der Freiherr aus Poggfred steht er vor uns, hoch über allem Standes¬
zwang, aber treu jeder selbstgewählten Pflicht. Helm und Degen liegen ans
seinem Sarge, so hat ers verdient, der alte Soldat, der gekämpft hat für uns
Deutsche und für uns Menschen. Helm und Degen wird er nun nimmer
tragen, wenn er jetzt von uns scheidet, nicht mehr als der alte Soldat,
sondern als der ewig junge Held, der uns von Kampfplatz zu Kampfplatz
führte wie zu einem Tanze. Denn so ist er in Wahrheit durchs Leben ge¬
gangen, noch bis zu seiner letzten Reise, die er mit Weib und Kind unter¬
nahm, um den liebsten Menschen, die er hatte, seine geliebten Schlachtfelder
zu zeigen. Dort hat ihn der feindliche Lufthauch getroffen, der die Ent¬
zündung anfachte. (Liliencron starb an einer Lungenentzündung.) Nun ist.


Äetlev von Liliencron

Zusammenhange gemäß, zu versteh«) niemals darauf an, die Worte mit einem
höhern Sinn zu füllen, sodaß jener epigrammatisch gesättigte, bezichungsvolle
Stil des Faust, des Goethescher Faust, der als das selten erreichte Ideal
doch für eine Seite des deutschen Volksgeistes charakteristisch und mustergiltig
ist und immer bleiben wird, zustande kam. Weltanschauungen hat Liliencron
nicht gewälzt; metaphysische, kosmische, soziale oder ethische Probleme zu
schürzen und zu lösen, war nicht seine Art; das konnte er nicht. Aber der
Elan seines Menschentums und seiner Phantasie, die Intensität seines Em-
pfindungs- und Vorstellungslebens, seine ganz unberechenbare Kraft rissen ihn
doch zu dantesken Visionen empor — ich denke an sehr viele Stellen in seinem
Poggfredgedicht. an Dichtungen wie „Die heilige Flamme", „Die Sündcn-
burg". „Pickel", „Der schwermütige König". „Die Pest". .,Krischan Schmeer".
Diese Freskogemälde, in denen nicht Weltanschauungen ihren Niederschlag
erfahren, wohl aber große und starke Empfindungen, haben in der Tat kaum
ihresgleichen in der deutschen Poesie. Jedenfalls haben Temperament und
fortreißender Schwung, Bildkraft und elementare Phantasie hier Dichtungen
ganz eigner Art geschaffen. „Jede Einzelheit trügt die Maske des Genies:
die visionäre Lebendigkeit des überirdischen Daseins. Nur als Ganzes bewegt
es nicht genug den Geist, der einen neuen Ausgleich zwischen Diesseits und
Jenseits anstrebt. Der »Rapport« tritt mehr dem äußern Bilde nach als dem
innern Sinne nach ein: nur auf Augenblicke ist das Sinnbild vollkommen:
man fühlt, er hat es nicht bewußt genug durchdacht, er hat sich allzusehr von.
Unbewußten bewältigen lassen." Ganz gewiß. Aber aus dem bunten Tanze
scheinen sich doch bisweilen die ernsten Masken des tiefern Lebens und die
Allegorien ewiger Ideen zu lösen. Auch hier steht, bevor wir uns dessen ganz
bewußt werden, auf einmal eine übermenschliche Offenbarung vor uns, und
man kann die Poggfredgesänge wohl ein Panorama des großen und kleinen,
des allgemeinen wie des besondern persönlichen Lebens nennen.

So war Liliencron. Und nun noch ein Letztes. Er war auch ein gar
sehr bewußter Mensch. Was ich meine, dem hat Richard Dehmel in seiner
Abschiedsrede am Grabe des Dichters tief rührenden Ausdruck verliehen:
„Wie der Freiherr aus Poggfred steht er vor uns, hoch über allem Standes¬
zwang, aber treu jeder selbstgewählten Pflicht. Helm und Degen liegen ans
seinem Sarge, so hat ers verdient, der alte Soldat, der gekämpft hat für uns
Deutsche und für uns Menschen. Helm und Degen wird er nun nimmer
tragen, wenn er jetzt von uns scheidet, nicht mehr als der alte Soldat,
sondern als der ewig junge Held, der uns von Kampfplatz zu Kampfplatz
führte wie zu einem Tanze. Denn so ist er in Wahrheit durchs Leben ge¬
gangen, noch bis zu seiner letzten Reise, die er mit Weib und Kind unter¬
nahm, um den liebsten Menschen, die er hatte, seine geliebten Schlachtfelder
zu zeigen. Dort hat ihn der feindliche Lufthauch getroffen, der die Ent¬
zündung anfachte. (Liliencron starb an einer Lungenentzündung.) Nun ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/31>, abgerufen am 24.07.2024.