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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Detlev von Liliencron

ja freilich durch die Sprache, durch Worte und Laute ausgedrückt, vermittelt
und suggeriert werden, worin beruht die Suggestivität dieser Kunst im besondern?
Durch welche künstlerischen Mittel erreicht Liliencron diese Wirkungen?
Das Problem des künstlerischen Schaffens überhaupt wird hierdurch berührt.
Man hat Liliencron einen Sprachschöpfer genannt, man hat von der An¬
schaulichkeit, Bildlichkeit, Prägnanz seiner Sprache, von dem Konkreter seiner
Kunst gesprochen. Ich möchte es so ausdrücken: Liliencron fühlt und tastet
einer Vorstellung, einem Naturbilde, einer Stimmung mit so ungeheuer feinem
Instinkt, mit so unbegreiflich feinen Sinnen nach, er erfaßt den Eindruck so
in seinem Wesen durch den entsprechenden sprachlichen Begriff -- der ja
lautlich und symbolisch nichts andres ist als die Ausdruck gewordne Er¬
scheinung -- nur so ist die Entstehung der Sprache zu erklären --, daß Bild
oder Stimmung oder Empfindung genau so veranschaulicht werden, wie sie der
Dichter sah und empfand. Er fühlt so lange an dem Eindruck herum, bis er
das rechte Wort gefunden hat.


Drüben, Horizont durchlasscnd,
Friert am Strand ein schmales Wäldchen > ..
Vom Tage bröckelt weg das erste Stück.
Langsam auf Moor und Brachfeld welkt der Tag.

Dieses künstlerische nachfühlen ist künstlerisches Schaffen im höchsten Sinne.
Es ist eines bewußten Willens bewußtes intellektuelles Handeln so lange, bis
plöhlich das rechte Wort gefunden ist, das übrigens auch sofort ohne diesen
Zustand des Suchens -- durch Einfall -- gefunden werden kann: in jedem
Falle wird also das Ergebnis selbst durch Intuition, durch einen unbewußte"
Akt gewonnen.

Und nun eine Einschränkung: ich nannte Liliencron vorhin ein Phänomen,
seine Poesie immer wieder: eine unbewußte.

Nun weiß jeder, der Liliencron kannte, daß er fortwährend an seinen
Gedichten herumfeilte und -bastelte, daß er fast mechanisch anmutende Kunst-
rcgcln gern aussprach und auch anwandte. Ein Lebenswerk, eine Persönlich¬
keit darf nicht nur von einem Standpunkte beurteilt werden. Auch Regeln
gehören zum Kunstwerk. Doch hier ist alles Mechanische gewiß nur Beiwerk,
uur Feile und Werkzeug. Und wiederum möchte ich auch dieses Finden des
rechten Wortes zurückführen auf ein unbewußtes, auf ein geniales Wirken
und Wesen, ebenso wie dieses ganze einheitliche charaktervolle künstlerische
Lebenswerk -- mag es im einzelnen in Not und Mühe entstanden sein, oder
besser gerade weil es oft in Not und Mühe entstand -- die großen Züge einer
genialen Persönlichkeit an sich trägt.

Und ich will dies durch einen kurzen Hinweis auf Liliencrons weniger
bekannte Phantasiedichtungen belegen. Liliencron war gewiß keine Faustnatur,
es kam ihm -- ich sage jetzt einmal: bewußt (ich bitte aber mich recht, dem


Detlev von Liliencron

ja freilich durch die Sprache, durch Worte und Laute ausgedrückt, vermittelt
und suggeriert werden, worin beruht die Suggestivität dieser Kunst im besondern?
Durch welche künstlerischen Mittel erreicht Liliencron diese Wirkungen?
Das Problem des künstlerischen Schaffens überhaupt wird hierdurch berührt.
Man hat Liliencron einen Sprachschöpfer genannt, man hat von der An¬
schaulichkeit, Bildlichkeit, Prägnanz seiner Sprache, von dem Konkreter seiner
Kunst gesprochen. Ich möchte es so ausdrücken: Liliencron fühlt und tastet
einer Vorstellung, einem Naturbilde, einer Stimmung mit so ungeheuer feinem
Instinkt, mit so unbegreiflich feinen Sinnen nach, er erfaßt den Eindruck so
in seinem Wesen durch den entsprechenden sprachlichen Begriff — der ja
lautlich und symbolisch nichts andres ist als die Ausdruck gewordne Er¬
scheinung — nur so ist die Entstehung der Sprache zu erklären —, daß Bild
oder Stimmung oder Empfindung genau so veranschaulicht werden, wie sie der
Dichter sah und empfand. Er fühlt so lange an dem Eindruck herum, bis er
das rechte Wort gefunden hat.


Drüben, Horizont durchlasscnd,
Friert am Strand ein schmales Wäldchen > ..
Vom Tage bröckelt weg das erste Stück.
Langsam auf Moor und Brachfeld welkt der Tag.

Dieses künstlerische nachfühlen ist künstlerisches Schaffen im höchsten Sinne.
Es ist eines bewußten Willens bewußtes intellektuelles Handeln so lange, bis
plöhlich das rechte Wort gefunden ist, das übrigens auch sofort ohne diesen
Zustand des Suchens — durch Einfall — gefunden werden kann: in jedem
Falle wird also das Ergebnis selbst durch Intuition, durch einen unbewußte»
Akt gewonnen.

Und nun eine Einschränkung: ich nannte Liliencron vorhin ein Phänomen,
seine Poesie immer wieder: eine unbewußte.

Nun weiß jeder, der Liliencron kannte, daß er fortwährend an seinen
Gedichten herumfeilte und -bastelte, daß er fast mechanisch anmutende Kunst-
rcgcln gern aussprach und auch anwandte. Ein Lebenswerk, eine Persönlich¬
keit darf nicht nur von einem Standpunkte beurteilt werden. Auch Regeln
gehören zum Kunstwerk. Doch hier ist alles Mechanische gewiß nur Beiwerk,
uur Feile und Werkzeug. Und wiederum möchte ich auch dieses Finden des
rechten Wortes zurückführen auf ein unbewußtes, auf ein geniales Wirken
und Wesen, ebenso wie dieses ganze einheitliche charaktervolle künstlerische
Lebenswerk — mag es im einzelnen in Not und Mühe entstanden sein, oder
besser gerade weil es oft in Not und Mühe entstand — die großen Züge einer
genialen Persönlichkeit an sich trägt.

Und ich will dies durch einen kurzen Hinweis auf Liliencrons weniger
bekannte Phantasiedichtungen belegen. Liliencron war gewiß keine Faustnatur,
es kam ihm — ich sage jetzt einmal: bewußt (ich bitte aber mich recht, dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/30>, abgerufen am 24.07.2024.