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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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In Acht und Aberacht

es doch an mir selber gemerkt, wie es geht. Früher, wann ging ich da in den
Krug? Alle Monat einmal. Und jetzt fehlt mir was, wenn ich nicht jede
Woche zweimal da war. Und von dem Bauer lernt es der Knecht, und nachher
perdue so'n Junge sein sauer verdientes Geld, hört zu viel von der Stadt
reden, und wir sitzen hinterher da und können unser Land zu Wiesen machen,
weil wir keine Leute haben. So ist es, Herr Pastor, und nicht anders. Jeder
ist sich selbst der nächste, und wir sind uns zu gut dazu, der Mist zu sein, mit
dem Leute seinen Acker düngt."

"Das stimmt, fiel der Müller ein und schnitt dem Pastor das Wort ab,
das stimmt ganz gemein. Lohmann hat recht. Und dann noch eins, Herr
Pastor: wohin das fuhrt, das haben wir ja in Hülsingen erlebt. Ist das noch
ein Dorf? ein Dorf nach alter Art? Das ist es nicht! Eine Sommerfrische
für die Stadtjapper ist es geworden. Ob der Bauer will oder nicht, er muß
sich auf das Abvermieten legen und hat dann allerlei fremde Völker im Hause,
die ihm im Wege herumstehn. Und ohne Liebschaften geht es nicht ab.
Natürlich, wenn da solche feine Herren aus der Stadt kommen und machen
die Mädchen verrückt, dann ist der Unfrieden im Dorfe da. Warum sind in
Hülsingen keine Knechte mehr zu kriegen? Weil keine Mädchen da sind. Und
warum sind keine Mädchen da? Die eine ist so einem jungen Kerl in die
Stadt nachgelaufen, und die andern haben die städtischen Herrschaften wegge¬
mietet. Und so wäre es bei uus auch gekommen. Erst das Dorf, und dann
der Wirt, aber nicht umgekehrt. Und nun seien Sie auch vielmals bedankt,
Herr Pastor, und ich und meine Frau würden uns sehr freuen, wenn Sie uns
mit Ihrer lieben Frau bald besuchen würden. Und nun ist es wohl Zeit, daß
wir gehn."

Sie standen alle auf, die Bauern von Ohldorf, drückten dem Geistlichen
die Hand und schoben aus der Tür hinaus. Der Pastor machte ein ernstes
Gesicht; und als seine Frau, mit der Frau Leute den Fall besprochen hatte,
ihn fragte, wie die Sache läge, sagte er: "Der Mann ist für Ohldorf tot.
Ich hätte nicht geglaubt, daß es noch eine Feine gäbe, und ich bin doch selber
Bauernsohn, wenn auch aus dem Stifte Hildesheim. Es ist hart für Lemkes;
es sind ordentliche Leute. Aber die Ohldorfer Bauern haben recht: erst kommt
das Dorf und dann der Wirt. Er muß sehen, daß er die Wirtschaft los wird.
Hier kommt er doch nicht mehr weiter."

Leute mußte verkaufen. Aber einen Wirt, der ihm Haus und Laden
preiswert abkaufte, fand er nicht. Jeder Kauflustige fragte im Dorfe umher,
wie die Sache stünde, und jeder zog ab, wenn der Vorsteher ihm sagte: "Eine
zweite Wirtschaft brauchen wir hier nicht. Und wenn der Wirt auch die Kon¬
zession bekommt, wir gehn doch nicht hin." So kam es schließlich zum Zwangs¬
verkauf. Mit dem Nest seiner Habe zog Leute uach Hannover und übernahm
nach langem Suchen eine elende Wirtschaft, starb aber schon nach zwei Jahren,
wie die Lüsterzungen sagen, am Schnaps, nach andern Leute" an gebrochnem
Herzen. Was aus seiner Frau und den Kindern geworden ist, weiß man in
Ohldorf nicht.




In Acht und Aberacht

es doch an mir selber gemerkt, wie es geht. Früher, wann ging ich da in den
Krug? Alle Monat einmal. Und jetzt fehlt mir was, wenn ich nicht jede
Woche zweimal da war. Und von dem Bauer lernt es der Knecht, und nachher
perdue so'n Junge sein sauer verdientes Geld, hört zu viel von der Stadt
reden, und wir sitzen hinterher da und können unser Land zu Wiesen machen,
weil wir keine Leute haben. So ist es, Herr Pastor, und nicht anders. Jeder
ist sich selbst der nächste, und wir sind uns zu gut dazu, der Mist zu sein, mit
dem Leute seinen Acker düngt."

„Das stimmt, fiel der Müller ein und schnitt dem Pastor das Wort ab,
das stimmt ganz gemein. Lohmann hat recht. Und dann noch eins, Herr
Pastor: wohin das fuhrt, das haben wir ja in Hülsingen erlebt. Ist das noch
ein Dorf? ein Dorf nach alter Art? Das ist es nicht! Eine Sommerfrische
für die Stadtjapper ist es geworden. Ob der Bauer will oder nicht, er muß
sich auf das Abvermieten legen und hat dann allerlei fremde Völker im Hause,
die ihm im Wege herumstehn. Und ohne Liebschaften geht es nicht ab.
Natürlich, wenn da solche feine Herren aus der Stadt kommen und machen
die Mädchen verrückt, dann ist der Unfrieden im Dorfe da. Warum sind in
Hülsingen keine Knechte mehr zu kriegen? Weil keine Mädchen da sind. Und
warum sind keine Mädchen da? Die eine ist so einem jungen Kerl in die
Stadt nachgelaufen, und die andern haben die städtischen Herrschaften wegge¬
mietet. Und so wäre es bei uus auch gekommen. Erst das Dorf, und dann
der Wirt, aber nicht umgekehrt. Und nun seien Sie auch vielmals bedankt,
Herr Pastor, und ich und meine Frau würden uns sehr freuen, wenn Sie uns
mit Ihrer lieben Frau bald besuchen würden. Und nun ist es wohl Zeit, daß
wir gehn."

Sie standen alle auf, die Bauern von Ohldorf, drückten dem Geistlichen
die Hand und schoben aus der Tür hinaus. Der Pastor machte ein ernstes
Gesicht; und als seine Frau, mit der Frau Leute den Fall besprochen hatte,
ihn fragte, wie die Sache läge, sagte er: „Der Mann ist für Ohldorf tot.
Ich hätte nicht geglaubt, daß es noch eine Feine gäbe, und ich bin doch selber
Bauernsohn, wenn auch aus dem Stifte Hildesheim. Es ist hart für Lemkes;
es sind ordentliche Leute. Aber die Ohldorfer Bauern haben recht: erst kommt
das Dorf und dann der Wirt. Er muß sehen, daß er die Wirtschaft los wird.
Hier kommt er doch nicht mehr weiter."

Leute mußte verkaufen. Aber einen Wirt, der ihm Haus und Laden
preiswert abkaufte, fand er nicht. Jeder Kauflustige fragte im Dorfe umher,
wie die Sache stünde, und jeder zog ab, wenn der Vorsteher ihm sagte: „Eine
zweite Wirtschaft brauchen wir hier nicht. Und wenn der Wirt auch die Kon¬
zession bekommt, wir gehn doch nicht hin." So kam es schließlich zum Zwangs¬
verkauf. Mit dem Nest seiner Habe zog Leute uach Hannover und übernahm
nach langem Suchen eine elende Wirtschaft, starb aber schon nach zwei Jahren,
wie die Lüsterzungen sagen, am Schnaps, nach andern Leute» an gebrochnem
Herzen. Was aus seiner Frau und den Kindern geworden ist, weiß man in
Ohldorf nicht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/288>, abgerufen am 24.07.2024.