Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Detlev von Liliencron Regungen unsers Herzens, alle unsre Freuden und Schmerzen, unsre in¬ Detlev von Liliencron Regungen unsers Herzens, alle unsre Freuden und Schmerzen, unsre in¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314375"/> <fw type="header" place="top"> Detlev von Liliencron</fw><lb/> <p xml:id="ID_59" prev="#ID_58" next="#ID_60"> Regungen unsers Herzens, alle unsre Freuden und Schmerzen, unsre in¬<lb/> timsten Menschlichkeiten erkennen und immer wieder auch ihn selbst, den einen:<lb/> Detlev von Liliencron! ^- mit tiefer Rührung und Dankbarkeit werden wir<lb/> dies immer wieder bekennen, daß Liliencron unsers Herzens Poesie, die Poesie<lb/> des menschlichen Lebens verwirklicht und zu lebendigstem Ausdruck gebracht<lb/> hat. Und in der Tat: welch ein Phänomen! Die Jahre der Kindheit hat<lb/> der scheue, einsame Knabe in Wald, Feld und Heide verträumt, und doch<lb/> reizte ihn das Soldatenleben, und er wurde Soldat, und alle Quellen seines<lb/> Wesens sprudelten über, und er genoß das Leben wie nur einer ... er zog<lb/> in Kampf und Sieg lind gab sich spielend und ahnungslos, welcher Zukunft<lb/> er entgegenblühte und -reifte, allen Abenteuern und Vergnügungen der Jugend<lb/> hin — als sei sein Leben nur ein heiß durchlebter Augenblick! Und so ging<lb/> es jahrelang, bis es einfach nicht mehr ging, bis „Wunden und Schulden"<lb/> den leichtsinnigen Offizier in die Enge und dann in die Weite trieben! ...<lb/> Und Schmach und Not begann . . . Und immer wieder wurde das Leben frisch<lb/> begonnen, das zehnmal entwurzelt, zehnmal verdorrt zu sein schien und nichts<lb/> besonders Tragisches erlebt hatte, sondern immer nur Menschlichkeiten und<lb/> Widerwärtigkeiten: Welch ein Phänomen — daß dann aus diesem scheinbar<lb/> sterilen Boden ein schäumender, Heller, unerschöpflicher Quell des Lebens und<lb/> der Poesie sprang! . . . War dieser gottbegnadete Mensch nicht von Natur ein<lb/> Optimist — er konnte nichts andres sein seinen Werken, seinen Schöpfungen<lb/> nach, die seiner Hand scheinbar mühelos, die seinem Geiste scheinbar unbe¬<lb/> wußt entsprangen. So war Liliencron in der Tat. So erscheint er dem<lb/> Jüngling, der sich mit unbefangnen Herzen seinen Dichtungen hingibt, dem<lb/> mit Liebe lesenden, der deshalb doch noch nicht die dunkeln Sphären dieses<lb/> Lebens und die erhabensten Gebiete dieser Phantasie zu empfinden und zu<lb/> erkennen braucht: Liliencron der Dichter des Lebens, der Lebensfreude, der<lb/> Liebe, der Männlichkeit, des Mutes, des Soldatenlebens, der Schlachten und<lb/> Balladen; Liliencron der Dichter der Wirklichkeit, der Natur — wie sie frisch<lb/> und farbig, sommerhell, in ihrer unbegrenzten Weite, in allen ihren landschaft¬<lb/> lichen Reizen und Intimitäten in unser Auge fällt, — der tausend Lebens¬<lb/> erscheinungen, -Möglichkeiten, der Selbstbeobachtung und jeder Herzensregung,<lb/> jeder Stimmung, jedes Erlebnisses — Liliencron, der als „Gelegenheits¬<lb/> dichter" gleich hinter Goethe steht! So erscheint Liliencron wohl jedem von<lb/> uns. Ja, das ist der ungeheure Unterschied zwischen ihm und allen seinen<lb/> Vorgängern, den Dichtern vor seinem lyrischen Zeitalter, das ist seine, von<lb/> ihm nicht beabsichtigte doch verursachte Bedeutung, das ist der neue Geist,<lb/> der von ihm erst ausging: die Poesie wurde durch ihn wieder Poesie kraft<lb/> seiner genialen Veranlagung, die Natur und das Leben zu veranschaulichen<lb/> und zugleich zu verinnerlichen und zu beseelen, kraft des elementaren Wesens<lb/> seiner Persönlichkeit ... Und dieses Wesentliche, dieses allgemein Erkennbare,<lb/> Hauptsächliche und Bedeutsame der Lyrik Liliencrons möchte ich nun durch die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Detlev von Liliencron
Regungen unsers Herzens, alle unsre Freuden und Schmerzen, unsre in¬
timsten Menschlichkeiten erkennen und immer wieder auch ihn selbst, den einen:
Detlev von Liliencron! ^- mit tiefer Rührung und Dankbarkeit werden wir
dies immer wieder bekennen, daß Liliencron unsers Herzens Poesie, die Poesie
des menschlichen Lebens verwirklicht und zu lebendigstem Ausdruck gebracht
hat. Und in der Tat: welch ein Phänomen! Die Jahre der Kindheit hat
der scheue, einsame Knabe in Wald, Feld und Heide verträumt, und doch
reizte ihn das Soldatenleben, und er wurde Soldat, und alle Quellen seines
Wesens sprudelten über, und er genoß das Leben wie nur einer ... er zog
in Kampf und Sieg lind gab sich spielend und ahnungslos, welcher Zukunft
er entgegenblühte und -reifte, allen Abenteuern und Vergnügungen der Jugend
hin — als sei sein Leben nur ein heiß durchlebter Augenblick! Und so ging
es jahrelang, bis es einfach nicht mehr ging, bis „Wunden und Schulden"
den leichtsinnigen Offizier in die Enge und dann in die Weite trieben! ...
Und Schmach und Not begann . . . Und immer wieder wurde das Leben frisch
begonnen, das zehnmal entwurzelt, zehnmal verdorrt zu sein schien und nichts
besonders Tragisches erlebt hatte, sondern immer nur Menschlichkeiten und
Widerwärtigkeiten: Welch ein Phänomen — daß dann aus diesem scheinbar
sterilen Boden ein schäumender, Heller, unerschöpflicher Quell des Lebens und
der Poesie sprang! . . . War dieser gottbegnadete Mensch nicht von Natur ein
Optimist — er konnte nichts andres sein seinen Werken, seinen Schöpfungen
nach, die seiner Hand scheinbar mühelos, die seinem Geiste scheinbar unbe¬
wußt entsprangen. So war Liliencron in der Tat. So erscheint er dem
Jüngling, der sich mit unbefangnen Herzen seinen Dichtungen hingibt, dem
mit Liebe lesenden, der deshalb doch noch nicht die dunkeln Sphären dieses
Lebens und die erhabensten Gebiete dieser Phantasie zu empfinden und zu
erkennen braucht: Liliencron der Dichter des Lebens, der Lebensfreude, der
Liebe, der Männlichkeit, des Mutes, des Soldatenlebens, der Schlachten und
Balladen; Liliencron der Dichter der Wirklichkeit, der Natur — wie sie frisch
und farbig, sommerhell, in ihrer unbegrenzten Weite, in allen ihren landschaft¬
lichen Reizen und Intimitäten in unser Auge fällt, — der tausend Lebens¬
erscheinungen, -Möglichkeiten, der Selbstbeobachtung und jeder Herzensregung,
jeder Stimmung, jedes Erlebnisses — Liliencron, der als „Gelegenheits¬
dichter" gleich hinter Goethe steht! So erscheint Liliencron wohl jedem von
uns. Ja, das ist der ungeheure Unterschied zwischen ihm und allen seinen
Vorgängern, den Dichtern vor seinem lyrischen Zeitalter, das ist seine, von
ihm nicht beabsichtigte doch verursachte Bedeutung, das ist der neue Geist,
der von ihm erst ausging: die Poesie wurde durch ihn wieder Poesie kraft
seiner genialen Veranlagung, die Natur und das Leben zu veranschaulichen
und zugleich zu verinnerlichen und zu beseelen, kraft des elementaren Wesens
seiner Persönlichkeit ... Und dieses Wesentliche, dieses allgemein Erkennbare,
Hauptsächliche und Bedeutsame der Lyrik Liliencrons möchte ich nun durch die
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