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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

mit der Verfasserin, die nicht auf dem Standpunkte des Ostmarkenvereins steht,
über ihren Standpunkt nicht auseinanderzusetzen -- denn die nationale Frage
schlägt nicht so scharf durch, und die Hauptsache bleibt ihr die Darstellung
des großen "Pans", des Rittergutsbesitzers Berndt Swcmtewitt auf Trutz¬
berg. Es gibt ein feines Charakteristikum mehr, daß Swcmtewitt offenbar
selbst nicht rein germanischer Abkunft ist und nun die innere Nötigung
empfindet, mit doppelter Zähigkeit, selbst hier und da gegen seine tiefste Über¬
zeugung, auf der deutschen Kampfseite zu arbeiten. Im Grunde aber geht
das, wie gesagt, nebenher, und die Hauptsache ist, ihm wie seiner Darstellerin,
die Durchsetzung seiner Persönlichkeit, die Emporhebung seiner Familie zu
Macht und Ansehen, seine Liebe zur Scholle, die er bis ins kleinste hegt
und pflegt, seine kluge, freilich nicht immer vom Erfolge belohnte Empor¬
ziehung der Kinder in eine herrscherhafte Sphäre. Vielleicht hätte die
Charakteristik noch gewonnen, wenn das Ganze etwas schmaler geraten wäre,
aber auch so zwingt uns bis zu einem gewissen Grade dieser vielfach Rück¬
sichtslose, der sich für egoistische Wünsche so häufig ideale, theoretische Gründe
zurechtmacht, Interesse ab in seiner Kraft und Eigenhcrrlichkeit, um so mehr,
wenn wir sehen, wie die ganz materialistisch gewordnen Kinder das in Mühen
und Sorgen zusammengebrachte und deutsch erhaltne. riesige Besitztum nur zu
rasch verschleudern, um außerhalb der Provinz ein bequemeres und angenehmeres
Leben zu führen.

In kleinere und engere Verhältnisse führt "Der Parnassus in Neusiedel"
von Fritz Anders (Leipzig, Fr. Will). Grunow). Anders Art ist ja, vor allem
bei den Lesern dieser Blätter, bekannt. Seine hinter gesuchter Trockenheit
verborgne Ironie, die doch voller Liebe ist, zieht immer wieder an, die leisen
Übertreibungen, die er für seine Art der Darstellung braucht, wirken so wenig
outriert, daß wir sie mit Vergnügen in Kauf nehmen. Wir empfinden sehr
Wohl, daß Anders im Grunde immer hinter der scheinbar leichten Aussprache
volkserzieherische Ideale vorschweben, wir sehen ihn ordentlich den Kopf
schütteln über viele Dummheiten der Zeit, aber selbst an den Gestalten, die
auf der Schattenseite stehn, ist noch so viel behagliche Kleinmalerei, so viel
brummiges Vergnügen, daß wir diesen sehr absonderlichen und eine Kategorie
für sich bildenden Schriftsteller immer wieder lächelnd gelten lassen. Er be¬
kommt uns langsam in seine Darstellung hinein, und wie wir in "Doktor
Duttmüller und sein Freund" die ganze Breite einer besinnlichen Erzählung
mit immer steigendem Vergnügen durchlaufen, so amüsiert sie uns auch in dem
kleinern Nahmen dieses neuen Buches.

Ganz anders, auch nicht ohne Humor, aber doch mit viel mehr natu¬
ralistischem Bemühen gibt Alfred Bock die Bauern seiner hessischen Heimat in
dem Roman "Die Pariser" (Berlin, Egon Fleischel K Co.). Die Pariser sind
Dorfleute, die einst von dem wohlhabenden Bürgermeister ganz nach dem
Gesetz, aber mit unbarmherzigen Wucher aus ihrem kleinen Eigentum gebracht


Literarische Rundschau

mit der Verfasserin, die nicht auf dem Standpunkte des Ostmarkenvereins steht,
über ihren Standpunkt nicht auseinanderzusetzen — denn die nationale Frage
schlägt nicht so scharf durch, und die Hauptsache bleibt ihr die Darstellung
des großen „Pans", des Rittergutsbesitzers Berndt Swcmtewitt auf Trutz¬
berg. Es gibt ein feines Charakteristikum mehr, daß Swcmtewitt offenbar
selbst nicht rein germanischer Abkunft ist und nun die innere Nötigung
empfindet, mit doppelter Zähigkeit, selbst hier und da gegen seine tiefste Über¬
zeugung, auf der deutschen Kampfseite zu arbeiten. Im Grunde aber geht
das, wie gesagt, nebenher, und die Hauptsache ist, ihm wie seiner Darstellerin,
die Durchsetzung seiner Persönlichkeit, die Emporhebung seiner Familie zu
Macht und Ansehen, seine Liebe zur Scholle, die er bis ins kleinste hegt
und pflegt, seine kluge, freilich nicht immer vom Erfolge belohnte Empor¬
ziehung der Kinder in eine herrscherhafte Sphäre. Vielleicht hätte die
Charakteristik noch gewonnen, wenn das Ganze etwas schmaler geraten wäre,
aber auch so zwingt uns bis zu einem gewissen Grade dieser vielfach Rück¬
sichtslose, der sich für egoistische Wünsche so häufig ideale, theoretische Gründe
zurechtmacht, Interesse ab in seiner Kraft und Eigenhcrrlichkeit, um so mehr,
wenn wir sehen, wie die ganz materialistisch gewordnen Kinder das in Mühen
und Sorgen zusammengebrachte und deutsch erhaltne. riesige Besitztum nur zu
rasch verschleudern, um außerhalb der Provinz ein bequemeres und angenehmeres
Leben zu führen.

In kleinere und engere Verhältnisse führt „Der Parnassus in Neusiedel"
von Fritz Anders (Leipzig, Fr. Will). Grunow). Anders Art ist ja, vor allem
bei den Lesern dieser Blätter, bekannt. Seine hinter gesuchter Trockenheit
verborgne Ironie, die doch voller Liebe ist, zieht immer wieder an, die leisen
Übertreibungen, die er für seine Art der Darstellung braucht, wirken so wenig
outriert, daß wir sie mit Vergnügen in Kauf nehmen. Wir empfinden sehr
Wohl, daß Anders im Grunde immer hinter der scheinbar leichten Aussprache
volkserzieherische Ideale vorschweben, wir sehen ihn ordentlich den Kopf
schütteln über viele Dummheiten der Zeit, aber selbst an den Gestalten, die
auf der Schattenseite stehn, ist noch so viel behagliche Kleinmalerei, so viel
brummiges Vergnügen, daß wir diesen sehr absonderlichen und eine Kategorie
für sich bildenden Schriftsteller immer wieder lächelnd gelten lassen. Er be¬
kommt uns langsam in seine Darstellung hinein, und wie wir in „Doktor
Duttmüller und sein Freund" die ganze Breite einer besinnlichen Erzählung
mit immer steigendem Vergnügen durchlaufen, so amüsiert sie uns auch in dem
kleinern Nahmen dieses neuen Buches.

Ganz anders, auch nicht ohne Humor, aber doch mit viel mehr natu¬
ralistischem Bemühen gibt Alfred Bock die Bauern seiner hessischen Heimat in
dem Roman „Die Pariser" (Berlin, Egon Fleischel K Co.). Die Pariser sind
Dorfleute, die einst von dem wohlhabenden Bürgermeister ganz nach dem
Gesetz, aber mit unbarmherzigen Wucher aus ihrem kleinen Eigentum gebracht


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[0271] Literarische Rundschau mit der Verfasserin, die nicht auf dem Standpunkte des Ostmarkenvereins steht, über ihren Standpunkt nicht auseinanderzusetzen — denn die nationale Frage schlägt nicht so scharf durch, und die Hauptsache bleibt ihr die Darstellung des großen „Pans", des Rittergutsbesitzers Berndt Swcmtewitt auf Trutz¬ berg. Es gibt ein feines Charakteristikum mehr, daß Swcmtewitt offenbar selbst nicht rein germanischer Abkunft ist und nun die innere Nötigung empfindet, mit doppelter Zähigkeit, selbst hier und da gegen seine tiefste Über¬ zeugung, auf der deutschen Kampfseite zu arbeiten. Im Grunde aber geht das, wie gesagt, nebenher, und die Hauptsache ist, ihm wie seiner Darstellerin, die Durchsetzung seiner Persönlichkeit, die Emporhebung seiner Familie zu Macht und Ansehen, seine Liebe zur Scholle, die er bis ins kleinste hegt und pflegt, seine kluge, freilich nicht immer vom Erfolge belohnte Empor¬ ziehung der Kinder in eine herrscherhafte Sphäre. Vielleicht hätte die Charakteristik noch gewonnen, wenn das Ganze etwas schmaler geraten wäre, aber auch so zwingt uns bis zu einem gewissen Grade dieser vielfach Rück¬ sichtslose, der sich für egoistische Wünsche so häufig ideale, theoretische Gründe zurechtmacht, Interesse ab in seiner Kraft und Eigenhcrrlichkeit, um so mehr, wenn wir sehen, wie die ganz materialistisch gewordnen Kinder das in Mühen und Sorgen zusammengebrachte und deutsch erhaltne. riesige Besitztum nur zu rasch verschleudern, um außerhalb der Provinz ein bequemeres und angenehmeres Leben zu führen. In kleinere und engere Verhältnisse führt „Der Parnassus in Neusiedel" von Fritz Anders (Leipzig, Fr. Will). Grunow). Anders Art ist ja, vor allem bei den Lesern dieser Blätter, bekannt. Seine hinter gesuchter Trockenheit verborgne Ironie, die doch voller Liebe ist, zieht immer wieder an, die leisen Übertreibungen, die er für seine Art der Darstellung braucht, wirken so wenig outriert, daß wir sie mit Vergnügen in Kauf nehmen. Wir empfinden sehr Wohl, daß Anders im Grunde immer hinter der scheinbar leichten Aussprache volkserzieherische Ideale vorschweben, wir sehen ihn ordentlich den Kopf schütteln über viele Dummheiten der Zeit, aber selbst an den Gestalten, die auf der Schattenseite stehn, ist noch so viel behagliche Kleinmalerei, so viel brummiges Vergnügen, daß wir diesen sehr absonderlichen und eine Kategorie für sich bildenden Schriftsteller immer wieder lächelnd gelten lassen. Er be¬ kommt uns langsam in seine Darstellung hinein, und wie wir in „Doktor Duttmüller und sein Freund" die ganze Breite einer besinnlichen Erzählung mit immer steigendem Vergnügen durchlaufen, so amüsiert sie uns auch in dem kleinern Nahmen dieses neuen Buches. Ganz anders, auch nicht ohne Humor, aber doch mit viel mehr natu¬ ralistischem Bemühen gibt Alfred Bock die Bauern seiner hessischen Heimat in dem Roman „Die Pariser" (Berlin, Egon Fleischel K Co.). Die Pariser sind Dorfleute, die einst von dem wohlhabenden Bürgermeister ganz nach dem Gesetz, aber mit unbarmherzigen Wucher aus ihrem kleinen Eigentum gebracht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/271>, abgerufen am 24.07.2024.