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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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literarische Rundschau

Phantasie bis zu Stücken, die noch in den letzten Jahren hier und da in
Zeitungen erschienen sind. Auch da ein voller Nachklang aus diesem Leben,
im "Blanken Hans" die Gewalt der Deiche durchbrechenden Nordsee, in dem
ersten Stück und sonst die heiße Liebe zum immer noch im Herzen fcstge-
haltnen Soldatenberuf, die sich im "Alten Wachtmeister vom Dragonerregiment
Anspach - Bayreuth" wie schon früher manchmal gern an historische Ver¬
gangenheit anrankt. Die beiden Bücher geben keine neuen Züge mehr zu dem
Bilde Liliencrons, das sich ja ganz vollendet hatte, aber ihr Farbenton ge¬
hört mit dazu, und wie sie uns das Bild des Kämpfers mit dem Leben und
des Siegers in diesem Kampf immer wieder vorführen, so wird es noch auf
nicht absehbare Zeit aus seinem ganzen überreichen Lebenswerk, immer noch
wachsend mit dem Abstände, weiterleben.

In die Gegend und an die Stätten, wo Liliencron erwuchs und lebte
und bis in die dänische Heimat vieler seiner Vorfahren führt der neue Roman
von Charlotte Niese "Minette von Söhlenthal" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow).
Er spielt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts zwischen Altona
und Kopenhagen, und das Geschick des Fräuleins Minette von Söhlenthal
erscheint hier eng verbunden mit dem des dänischen Königshauses und des
Ministers Struensee, dessen Sturz und Ende Minette in Diensten der alten
Königin Juliane Marie miterlebt. Sehr echt, wie immer bei Charlotte Niese,
ist der Ton der Vergangenheit aus der eignen Heimat getroffen und fein
alles geschrieben wie aus dem Herzen dieses wenig handelnden, aber alles
bewahrenden und mitempfindenden Fräuleins von Söhlenthal. Ohne mißliche
und künstliche Verschnörkelung wird bis auf Tracht und Auftreten das Wesen
der Vergangenheit gegeben, nicht ohne liebevolle Kleinmalerei, die aber nie
aus dem Nahmen des ganzen Bildes herauswächst. Besondre Freude macht
es mir immer, zu sehen, was Charlotte Niese, die von der Insel Fehmarn
stammt, aus ihrer neuen Vaterstadt Altona herauszuholen weiß -- wir Habens
ja auch hier in den Grenzboten einmal gelesen. Es gibt wohl beim ersten
Blick, den man vom Elbufer in die Stadt wirft, kaum ein nüchterneres Gemein¬
wesen, und wie lebt doch das alles unter der feinen Hand dieser Schriftstellerin
eigenartig und farbig auf.

Aus den Kämpfen der Vergangenheit bis in die der Gegenwart und
darüber hinaus zu einem Ausblick in die Zukunft führt der Roman von
Marianne Mewis "Der große Pein" (Dresden, Karl Reißner). Dieser Schrift¬
stellerin fehlt noch manches zur Abrundung ihrer Gestalten, sie ringt noch mit
ihrem Stoff, aber oft genug kommt sie durch und in die Höhe und gibt im
ganzen ein fesselndes, interessantes Werk. Im Stoff und in der Problem¬
stellung erscheint es verwandt dem "Schlafenden Heer" von Klara Viebig,
über das ich hier nach seinen? Erscheinen ausführlich gesprochen habe. Auch
hier handelt es sich um einen großen deutschen Besitzer in der Provinz Posen,
auch hier spielt der nationale Kampf seine Rolle. Freilich braucht man sich


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Phantasie bis zu Stücken, die noch in den letzten Jahren hier und da in
Zeitungen erschienen sind. Auch da ein voller Nachklang aus diesem Leben,
im „Blanken Hans" die Gewalt der Deiche durchbrechenden Nordsee, in dem
ersten Stück und sonst die heiße Liebe zum immer noch im Herzen fcstge-
haltnen Soldatenberuf, die sich im „Alten Wachtmeister vom Dragonerregiment
Anspach - Bayreuth" wie schon früher manchmal gern an historische Ver¬
gangenheit anrankt. Die beiden Bücher geben keine neuen Züge mehr zu dem
Bilde Liliencrons, das sich ja ganz vollendet hatte, aber ihr Farbenton ge¬
hört mit dazu, und wie sie uns das Bild des Kämpfers mit dem Leben und
des Siegers in diesem Kampf immer wieder vorführen, so wird es noch auf
nicht absehbare Zeit aus seinem ganzen überreichen Lebenswerk, immer noch
wachsend mit dem Abstände, weiterleben.

In die Gegend und an die Stätten, wo Liliencron erwuchs und lebte
und bis in die dänische Heimat vieler seiner Vorfahren führt der neue Roman
von Charlotte Niese „Minette von Söhlenthal" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow).
Er spielt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts zwischen Altona
und Kopenhagen, und das Geschick des Fräuleins Minette von Söhlenthal
erscheint hier eng verbunden mit dem des dänischen Königshauses und des
Ministers Struensee, dessen Sturz und Ende Minette in Diensten der alten
Königin Juliane Marie miterlebt. Sehr echt, wie immer bei Charlotte Niese,
ist der Ton der Vergangenheit aus der eignen Heimat getroffen und fein
alles geschrieben wie aus dem Herzen dieses wenig handelnden, aber alles
bewahrenden und mitempfindenden Fräuleins von Söhlenthal. Ohne mißliche
und künstliche Verschnörkelung wird bis auf Tracht und Auftreten das Wesen
der Vergangenheit gegeben, nicht ohne liebevolle Kleinmalerei, die aber nie
aus dem Nahmen des ganzen Bildes herauswächst. Besondre Freude macht
es mir immer, zu sehen, was Charlotte Niese, die von der Insel Fehmarn
stammt, aus ihrer neuen Vaterstadt Altona herauszuholen weiß — wir Habens
ja auch hier in den Grenzboten einmal gelesen. Es gibt wohl beim ersten
Blick, den man vom Elbufer in die Stadt wirft, kaum ein nüchterneres Gemein¬
wesen, und wie lebt doch das alles unter der feinen Hand dieser Schriftstellerin
eigenartig und farbig auf.

Aus den Kämpfen der Vergangenheit bis in die der Gegenwart und
darüber hinaus zu einem Ausblick in die Zukunft führt der Roman von
Marianne Mewis „Der große Pein" (Dresden, Karl Reißner). Dieser Schrift¬
stellerin fehlt noch manches zur Abrundung ihrer Gestalten, sie ringt noch mit
ihrem Stoff, aber oft genug kommt sie durch und in die Höhe und gibt im
ganzen ein fesselndes, interessantes Werk. Im Stoff und in der Problem¬
stellung erscheint es verwandt dem „Schlafenden Heer" von Klara Viebig,
über das ich hier nach seinen? Erscheinen ausführlich gesprochen habe. Auch
hier handelt es sich um einen großen deutschen Besitzer in der Provinz Posen,
auch hier spielt der nationale Kampf seine Rolle. Freilich braucht man sich


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[0270] literarische Rundschau Phantasie bis zu Stücken, die noch in den letzten Jahren hier und da in Zeitungen erschienen sind. Auch da ein voller Nachklang aus diesem Leben, im „Blanken Hans" die Gewalt der Deiche durchbrechenden Nordsee, in dem ersten Stück und sonst die heiße Liebe zum immer noch im Herzen fcstge- haltnen Soldatenberuf, die sich im „Alten Wachtmeister vom Dragonerregiment Anspach - Bayreuth" wie schon früher manchmal gern an historische Ver¬ gangenheit anrankt. Die beiden Bücher geben keine neuen Züge mehr zu dem Bilde Liliencrons, das sich ja ganz vollendet hatte, aber ihr Farbenton ge¬ hört mit dazu, und wie sie uns das Bild des Kämpfers mit dem Leben und des Siegers in diesem Kampf immer wieder vorführen, so wird es noch auf nicht absehbare Zeit aus seinem ganzen überreichen Lebenswerk, immer noch wachsend mit dem Abstände, weiterleben. In die Gegend und an die Stätten, wo Liliencron erwuchs und lebte und bis in die dänische Heimat vieler seiner Vorfahren führt der neue Roman von Charlotte Niese „Minette von Söhlenthal" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow). Er spielt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts zwischen Altona und Kopenhagen, und das Geschick des Fräuleins Minette von Söhlenthal erscheint hier eng verbunden mit dem des dänischen Königshauses und des Ministers Struensee, dessen Sturz und Ende Minette in Diensten der alten Königin Juliane Marie miterlebt. Sehr echt, wie immer bei Charlotte Niese, ist der Ton der Vergangenheit aus der eignen Heimat getroffen und fein alles geschrieben wie aus dem Herzen dieses wenig handelnden, aber alles bewahrenden und mitempfindenden Fräuleins von Söhlenthal. Ohne mißliche und künstliche Verschnörkelung wird bis auf Tracht und Auftreten das Wesen der Vergangenheit gegeben, nicht ohne liebevolle Kleinmalerei, die aber nie aus dem Nahmen des ganzen Bildes herauswächst. Besondre Freude macht es mir immer, zu sehen, was Charlotte Niese, die von der Insel Fehmarn stammt, aus ihrer neuen Vaterstadt Altona herauszuholen weiß — wir Habens ja auch hier in den Grenzboten einmal gelesen. Es gibt wohl beim ersten Blick, den man vom Elbufer in die Stadt wirft, kaum ein nüchterneres Gemein¬ wesen, und wie lebt doch das alles unter der feinen Hand dieser Schriftstellerin eigenartig und farbig auf. Aus den Kämpfen der Vergangenheit bis in die der Gegenwart und darüber hinaus zu einem Ausblick in die Zukunft führt der Roman von Marianne Mewis „Der große Pein" (Dresden, Karl Reißner). Dieser Schrift¬ stellerin fehlt noch manches zur Abrundung ihrer Gestalten, sie ringt noch mit ihrem Stoff, aber oft genug kommt sie durch und in die Höhe und gibt im ganzen ein fesselndes, interessantes Werk. Im Stoff und in der Problem¬ stellung erscheint es verwandt dem „Schlafenden Heer" von Klara Viebig, über das ich hier nach seinen? Erscheinen ausführlich gesprochen habe. Auch hier handelt es sich um einen großen deutschen Besitzer in der Provinz Posen, auch hier spielt der nationale Kampf seine Rolle. Freilich braucht man sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/270>, abgerufen am 24.07.2024.