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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der radikalen Presse
von or. M', Adolf Grabowsky

d
iI uard Bernstein läßt nicht ab, die Zusammenarbeit seiner Partei
mit dem Freisinn zu empfehlen. Von den Nationalliberalen
sei nichts zu hoffen, Sozialdemokratie und Freisinn aber fänden
sich doch heute bei den Parlamentsabstimmungen am häufigsten
zusammen, und hieraus seien die Konsequenzen zu ziehen. Bei
der Reform des preußischen Wahlrechts müßten Freisinn und Sozialdemokratie
zusammen kämpfen. So zu lesen in einem Aufsatze, den Bernstein vor einiger
Zeit in dem demokratischen "Blaubuch" veröffentlicht hat.

In demselben Atem spricht der Verfasser davon, daß die Freisinnigen in
ihrer Mehrheit außerordentlich kühle Freunde des allgemeinen, gleichen und
direkten Wahlrechts seien. Seine Erwartungen stünden in dieser Hinsicht
sehr dicht beim Nullpunkt. Aber an der Abänderung der Wahlkreise seien
die freisinnigen Parteien doch unmittelbar interessiert.

Bernstein sieht richtig: in der Tat ist der Freisinn enthusiasmiert nur
für eine größere Berücksichtigung der Städte bei der Wahlkreisbildung. Wird
auf diese Weise das Recht der Fläche zugunsten des Rechts der Zahl ver¬
kürzt, so kann der Freisinn mit Sicherheit auf einen Zuwachs an Mandaten
rechnen. Das Reichstagswahlrecht für Preußen aber ist ihm innerlich so ver¬
haßt wie nur möglich, trägt er doch schon schwer genug an dem gleichen Wahl¬
recht im Reiche.

Wie aber ist dann die Haltung der freisinnigen Presse zu verstehn,
die immer und immer wieder das Reichstagswahlrecht für Preußen als
Politische Hauptforderung verlangt? Die Beantwortung dieser Frage führt
uns auf die außerordentlich interessante Psychologie der Presse des bürger¬
lichen Radikalismus.

Wenn wir behaupten, daß die sogenannten Freisinnigen mit ihrer Presse
innerlich absolut nicht harmonieren, und zweitens, daß die Leser dieser Presse


Grenzboten IV 1909 82


Zur Psychologie der radikalen Presse
von or. M', Adolf Grabowsky

d
iI uard Bernstein läßt nicht ab, die Zusammenarbeit seiner Partei
mit dem Freisinn zu empfehlen. Von den Nationalliberalen
sei nichts zu hoffen, Sozialdemokratie und Freisinn aber fänden
sich doch heute bei den Parlamentsabstimmungen am häufigsten
zusammen, und hieraus seien die Konsequenzen zu ziehen. Bei
der Reform des preußischen Wahlrechts müßten Freisinn und Sozialdemokratie
zusammen kämpfen. So zu lesen in einem Aufsatze, den Bernstein vor einiger
Zeit in dem demokratischen „Blaubuch" veröffentlicht hat.

In demselben Atem spricht der Verfasser davon, daß die Freisinnigen in
ihrer Mehrheit außerordentlich kühle Freunde des allgemeinen, gleichen und
direkten Wahlrechts seien. Seine Erwartungen stünden in dieser Hinsicht
sehr dicht beim Nullpunkt. Aber an der Abänderung der Wahlkreise seien
die freisinnigen Parteien doch unmittelbar interessiert.

Bernstein sieht richtig: in der Tat ist der Freisinn enthusiasmiert nur
für eine größere Berücksichtigung der Städte bei der Wahlkreisbildung. Wird
auf diese Weise das Recht der Fläche zugunsten des Rechts der Zahl ver¬
kürzt, so kann der Freisinn mit Sicherheit auf einen Zuwachs an Mandaten
rechnen. Das Reichstagswahlrecht für Preußen aber ist ihm innerlich so ver¬
haßt wie nur möglich, trägt er doch schon schwer genug an dem gleichen Wahl¬
recht im Reiche.

Wie aber ist dann die Haltung der freisinnigen Presse zu verstehn,
die immer und immer wieder das Reichstagswahlrecht für Preußen als
Politische Hauptforderung verlangt? Die Beantwortung dieser Frage führt
uns auf die außerordentlich interessante Psychologie der Presse des bürger¬
lichen Radikalismus.

Wenn wir behaupten, daß die sogenannten Freisinnigen mit ihrer Presse
innerlich absolut nicht harmonieren, und zweitens, daß die Leser dieser Presse


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[0257] [Abbildung] Zur Psychologie der radikalen Presse von or. M', Adolf Grabowsky d iI uard Bernstein läßt nicht ab, die Zusammenarbeit seiner Partei mit dem Freisinn zu empfehlen. Von den Nationalliberalen sei nichts zu hoffen, Sozialdemokratie und Freisinn aber fänden sich doch heute bei den Parlamentsabstimmungen am häufigsten zusammen, und hieraus seien die Konsequenzen zu ziehen. Bei der Reform des preußischen Wahlrechts müßten Freisinn und Sozialdemokratie zusammen kämpfen. So zu lesen in einem Aufsatze, den Bernstein vor einiger Zeit in dem demokratischen „Blaubuch" veröffentlicht hat. In demselben Atem spricht der Verfasser davon, daß die Freisinnigen in ihrer Mehrheit außerordentlich kühle Freunde des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts seien. Seine Erwartungen stünden in dieser Hinsicht sehr dicht beim Nullpunkt. Aber an der Abänderung der Wahlkreise seien die freisinnigen Parteien doch unmittelbar interessiert. Bernstein sieht richtig: in der Tat ist der Freisinn enthusiasmiert nur für eine größere Berücksichtigung der Städte bei der Wahlkreisbildung. Wird auf diese Weise das Recht der Fläche zugunsten des Rechts der Zahl ver¬ kürzt, so kann der Freisinn mit Sicherheit auf einen Zuwachs an Mandaten rechnen. Das Reichstagswahlrecht für Preußen aber ist ihm innerlich so ver¬ haßt wie nur möglich, trägt er doch schon schwer genug an dem gleichen Wahl¬ recht im Reiche. Wie aber ist dann die Haltung der freisinnigen Presse zu verstehn, die immer und immer wieder das Reichstagswahlrecht für Preußen als Politische Hauptforderung verlangt? Die Beantwortung dieser Frage führt uns auf die außerordentlich interessante Psychologie der Presse des bürger¬ lichen Radikalismus. Wenn wir behaupten, daß die sogenannten Freisinnigen mit ihrer Presse innerlich absolut nicht harmonieren, und zweitens, daß die Leser dieser Presse Grenzboten IV 1909 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/257>, abgerufen am 24.07.2024.