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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Katharina, Konstantinopel zu erobern -- die Stadt, in welcher man nicht
Komödie spiele und die Weiber in Harems einsperre." Ich stelle mir vor, daß
Rudolf Lindau nicht erst nach erworbner Kenntnis der Türkei über dies Urteil
gelächelt hätte; er ist sicherlich hingegangen, ohne g. xriori zu urteilen, und
mit dem Willen, auch dort der Aufnehmende, der sachliche Beobachter zu sein,
der er immer war. So lernte der, der die Taipingrebellen und die japanischen
Lorm geschildert hatte, die vom Großherrn Beherrschten kennen. Die Schönheit
des Marmarameeres, des Goldner Horns hat er immer wieder gepriesen -- sein
Herz hing sich doch gerade an die Menschen, und was er von ihnen sah und
erlauschte, brachte er heim. Der Verkehr in der Türkei ist ein Männerverkehr,
in den die abgeschlossen lebende Türkin nicht eintritt, und dort ist noch die
Kunst daheim, gelassen zu erzählen. Im Orient hat man Zeit, der Russe
braucht sie zu endlosen Disputationen bei der rasch weggeworfnen Papyros, der
Türke zur gemächlich ausgesponnenen Geschichte beim Tschibuk, bei der langsam
den Tabak verzehrenden Nargileh, der bedächtig gerauchten Zigarette. Und der
Deutsche, der von je ein guter Lauscher war, sitzt dabei, ein gern gesehener
Gastfreund im gastlichen Lande und spinnt sich mit ein, wie die Wölkchen
schwellen, und spinnt weiter und gewinnt farbenreiche Gaben, die uns in der
Einkleidung dargeboten werden, die nun einmal des Landes der Brauch ist.
Im Jahre 1896 erschienen die "Erzählungen eines Effendi", die am Schluß
drei "türkische Geschichten" enthalten, 1897 die "Türkischen Geschichten" selbst,
zwölf an der Zahl, und die "Alten Geschichten" (1904) bringen noch eine türkische
Geschichte der Nachlese, wie denn dieser Band überhaupt in extenso einen
vollen Umkreis aller von Lindau erfaßten Lebensstoffe birgt. Die "Türkischen
Geschichten" werden folgendermaßen eingeleitet: "Die nachstehenden Geschichten
sind mir von meinem türkischen Lehrer erzählt worden. Mein geringes Ver¬
dienst bei deren Veröffentlichung ist, seine mündlichen Mitteilungen, etwas
geordnet, ins Deutsche übertragen zu haben.

Mein Erzähler ist ein stiller Muselmann, dessen innige und ruhige Freude
am Poetischen und Wunderbaren deutlich, wenn auch nie laut hervortritt. Er
spricht leise und sehr langsam, ohne lebhaftes Mienenspiel; die Hände ruhen
dabei auf seinen Knien____ Will er etwas hervorheben, so wiederholt er zwei-,
auch dreimal, in eigentümlich nachdenklicher, träumerischer Weise dasselbe Wort
oder denselben Satz, ohne seine Augen, die gewöhnlich zu Boden geschlagen
sind oder an mir vorbei in die Ferne schauen, auf mich zu richten. Ich be¬
wundere an ihm die Kunst, mit der er, bei den geringen Sprachmitteln, die
ihm im Verkehr mit mir zur Verfügung stehn, seine fremdartigen Mitteilungen
anschaulich und verständlich macht.

Was die Entstehung jener Geschichten angeht, so darf sie sicherlich auf
einige Tatsachen aus längst vergangnen Zeiten zurückgeführt werden. Diese
Tatsachen werden von Anfang an bei ihrer mündlichen Wiedergabe mehr oder
weniger ausgeschmückt worden sein und schließlich, während der Überlieferung


Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Katharina, Konstantinopel zu erobern — die Stadt, in welcher man nicht
Komödie spiele und die Weiber in Harems einsperre." Ich stelle mir vor, daß
Rudolf Lindau nicht erst nach erworbner Kenntnis der Türkei über dies Urteil
gelächelt hätte; er ist sicherlich hingegangen, ohne g. xriori zu urteilen, und
mit dem Willen, auch dort der Aufnehmende, der sachliche Beobachter zu sein,
der er immer war. So lernte der, der die Taipingrebellen und die japanischen
Lorm geschildert hatte, die vom Großherrn Beherrschten kennen. Die Schönheit
des Marmarameeres, des Goldner Horns hat er immer wieder gepriesen — sein
Herz hing sich doch gerade an die Menschen, und was er von ihnen sah und
erlauschte, brachte er heim. Der Verkehr in der Türkei ist ein Männerverkehr,
in den die abgeschlossen lebende Türkin nicht eintritt, und dort ist noch die
Kunst daheim, gelassen zu erzählen. Im Orient hat man Zeit, der Russe
braucht sie zu endlosen Disputationen bei der rasch weggeworfnen Papyros, der
Türke zur gemächlich ausgesponnenen Geschichte beim Tschibuk, bei der langsam
den Tabak verzehrenden Nargileh, der bedächtig gerauchten Zigarette. Und der
Deutsche, der von je ein guter Lauscher war, sitzt dabei, ein gern gesehener
Gastfreund im gastlichen Lande und spinnt sich mit ein, wie die Wölkchen
schwellen, und spinnt weiter und gewinnt farbenreiche Gaben, die uns in der
Einkleidung dargeboten werden, die nun einmal des Landes der Brauch ist.
Im Jahre 1896 erschienen die „Erzählungen eines Effendi", die am Schluß
drei „türkische Geschichten" enthalten, 1897 die „Türkischen Geschichten" selbst,
zwölf an der Zahl, und die „Alten Geschichten" (1904) bringen noch eine türkische
Geschichte der Nachlese, wie denn dieser Band überhaupt in extenso einen
vollen Umkreis aller von Lindau erfaßten Lebensstoffe birgt. Die „Türkischen
Geschichten" werden folgendermaßen eingeleitet: „Die nachstehenden Geschichten
sind mir von meinem türkischen Lehrer erzählt worden. Mein geringes Ver¬
dienst bei deren Veröffentlichung ist, seine mündlichen Mitteilungen, etwas
geordnet, ins Deutsche übertragen zu haben.

Mein Erzähler ist ein stiller Muselmann, dessen innige und ruhige Freude
am Poetischen und Wunderbaren deutlich, wenn auch nie laut hervortritt. Er
spricht leise und sehr langsam, ohne lebhaftes Mienenspiel; die Hände ruhen
dabei auf seinen Knien____ Will er etwas hervorheben, so wiederholt er zwei-,
auch dreimal, in eigentümlich nachdenklicher, träumerischer Weise dasselbe Wort
oder denselben Satz, ohne seine Augen, die gewöhnlich zu Boden geschlagen
sind oder an mir vorbei in die Ferne schauen, auf mich zu richten. Ich be¬
wundere an ihm die Kunst, mit der er, bei den geringen Sprachmitteln, die
ihm im Verkehr mit mir zur Verfügung stehn, seine fremdartigen Mitteilungen
anschaulich und verständlich macht.

Was die Entstehung jener Geschichten angeht, so darf sie sicherlich auf
einige Tatsachen aus längst vergangnen Zeiten zurückgeführt werden. Diese
Tatsachen werden von Anfang an bei ihrer mündlichen Wiedergabe mehr oder
weniger ausgeschmückt worden sein und schließlich, während der Überlieferung


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[0235] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei Katharina, Konstantinopel zu erobern — die Stadt, in welcher man nicht Komödie spiele und die Weiber in Harems einsperre." Ich stelle mir vor, daß Rudolf Lindau nicht erst nach erworbner Kenntnis der Türkei über dies Urteil gelächelt hätte; er ist sicherlich hingegangen, ohne g. xriori zu urteilen, und mit dem Willen, auch dort der Aufnehmende, der sachliche Beobachter zu sein, der er immer war. So lernte der, der die Taipingrebellen und die japanischen Lorm geschildert hatte, die vom Großherrn Beherrschten kennen. Die Schönheit des Marmarameeres, des Goldner Horns hat er immer wieder gepriesen — sein Herz hing sich doch gerade an die Menschen, und was er von ihnen sah und erlauschte, brachte er heim. Der Verkehr in der Türkei ist ein Männerverkehr, in den die abgeschlossen lebende Türkin nicht eintritt, und dort ist noch die Kunst daheim, gelassen zu erzählen. Im Orient hat man Zeit, der Russe braucht sie zu endlosen Disputationen bei der rasch weggeworfnen Papyros, der Türke zur gemächlich ausgesponnenen Geschichte beim Tschibuk, bei der langsam den Tabak verzehrenden Nargileh, der bedächtig gerauchten Zigarette. Und der Deutsche, der von je ein guter Lauscher war, sitzt dabei, ein gern gesehener Gastfreund im gastlichen Lande und spinnt sich mit ein, wie die Wölkchen schwellen, und spinnt weiter und gewinnt farbenreiche Gaben, die uns in der Einkleidung dargeboten werden, die nun einmal des Landes der Brauch ist. Im Jahre 1896 erschienen die „Erzählungen eines Effendi", die am Schluß drei „türkische Geschichten" enthalten, 1897 die „Türkischen Geschichten" selbst, zwölf an der Zahl, und die „Alten Geschichten" (1904) bringen noch eine türkische Geschichte der Nachlese, wie denn dieser Band überhaupt in extenso einen vollen Umkreis aller von Lindau erfaßten Lebensstoffe birgt. Die „Türkischen Geschichten" werden folgendermaßen eingeleitet: „Die nachstehenden Geschichten sind mir von meinem türkischen Lehrer erzählt worden. Mein geringes Ver¬ dienst bei deren Veröffentlichung ist, seine mündlichen Mitteilungen, etwas geordnet, ins Deutsche übertragen zu haben. Mein Erzähler ist ein stiller Muselmann, dessen innige und ruhige Freude am Poetischen und Wunderbaren deutlich, wenn auch nie laut hervortritt. Er spricht leise und sehr langsam, ohne lebhaftes Mienenspiel; die Hände ruhen dabei auf seinen Knien____ Will er etwas hervorheben, so wiederholt er zwei-, auch dreimal, in eigentümlich nachdenklicher, träumerischer Weise dasselbe Wort oder denselben Satz, ohne seine Augen, die gewöhnlich zu Boden geschlagen sind oder an mir vorbei in die Ferne schauen, auf mich zu richten. Ich be¬ wundere an ihm die Kunst, mit der er, bei den geringen Sprachmitteln, die ihm im Verkehr mit mir zur Verfügung stehn, seine fremdartigen Mitteilungen anschaulich und verständlich macht. Was die Entstehung jener Geschichten angeht, so darf sie sicherlich auf einige Tatsachen aus längst vergangnen Zeiten zurückgeführt werden. Diese Tatsachen werden von Anfang an bei ihrer mündlichen Wiedergabe mehr oder weniger ausgeschmückt worden sein und schließlich, während der Überlieferung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/235>, abgerufen am 24.07.2024.