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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

reformfreundliche Söhne der allgemeinen Kirche. Bischof Thurzo förderte den
jungen Johann Heß, einen der Reformatoren Breslaus, und nach seinem
Tode (1520) schrieb Luther an Spalatin: "In Johann Thurzo ist der beste
aller Bischöfe des Jahrhunderts gestorben, und zwar im seligmachenden Glauben
an Christus." Und sein Nachfolger, Jakob von Salza, suchte zwar den Fort¬
schritt der Neuerung, die immer deutlicher als solche erkennbar wurde, mit
Abmahnungen zu bremsen, empfahl aber dem Rat den Johannes Heß, dessen
lutherische Gesinnung bekannt war, für den Predigtstuhl an der Magdalenen-
kirche. In aller Ruhe konnte der Rat Seelsorge, Armen- und Schulwesen
nach dem Wittenbergischen Muster organisieren. Als sich dann doch endlich
die vollzogne Spaltung nicht mehr übersehen und wegdisputieren ließ, und
sich die Domgeistlichkeit für die alte Kirche entschieden hatte, da tat sich
zwischen Stadt und Dom eine Kluft auf: die Stadt war evangelisch, der
Dombezirk katholisch, der Glaubenshaß verwandelte die auf beiden Seiten der
Oder gelegnen Stadtteile vollends in zwei feindliche Lager. Gewerbliche
Interessen und Streitigkeiten um die Rechtspflege hatten sie freilich vorher
schon so verfeindet, daß der Rat im Jahre 1503 einmal ans Sandtor und
die Brücke eine Wache stellen mußte, "damit nicht Herr Omnis hinüberliefe
und alles erwürgte".

Es folgte die Zeit der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges,
wo die "Seligmacher", die Liechtensteinschen Dragoner des Grafen Dohna,
und polnische Kosaken die unglücklichen Schlesier zu Tausenden in den Schaf¬
stall der alleinseligmachenden Kirche hineintrieben. Zu Bischöfen machte der
Wiener Hof in dieser Zeit Erzherzöge, zum Teil unmündige Knaben, die
meist auf ihren außerschlesischen Besitzungen weilten (auch einmal einen
polnischen Prinzen), und in deren Namen die Breslauer Werkzeuge der
Wiener Regierung in ihrer Art "reformierten". Und in den Jahren 1653
und 1654 führte in den an Österreich gefallnen schlesischen Herzogtümern eine
bewaffnete Kommission die "allgemeine Kirchenreduktion" durch, das heißt, sie
übergab den nur noch spärlich übers Land verstreuten Katholiken 656 evan¬
gelische Kirchen, verjagte 500 Prediger und setzte an deren Stelle katho¬
lische Geistliche ein, denen die evangelischen Bewohner für kirchliche Amts¬
handlungen, für Taufen, Trauungen und Begräbnisse tributpflichtig blieben.
Was Wunder, daß sich der evangelischen Schlesier grimmiger Haß gegen die
Unterdrücker bemächtigte, ein Haß, der bis heute noch nicht ganz erloschen ist,
und daß sie den Schweden im Dreißigjährigen Kriege und im Beginn des
achtzehnten Jahrhunderts als Befreier zujubelten, wie sie nicht lange darauf
Friedrich den Großen als solchen begrüßt haben. Eine Regierung, die einen
Teil ihrer Untertanen schlecht behandelt, hat auf deren Loyalität keinen An¬
spruch. Das Erscheinen Karls des Zwölften in Schlesien, der durch den
Vertrag von Altranstädt den Evangelischen ihr Joch erleichterte, hatte eine
eigentümliche Erscheinung zur Folge: das Kinderbeten. Ein Anonymus, der
darüber geschrieben hat, stellt diese Massenpsychose, wie man das heute nennt,


Breslau

reformfreundliche Söhne der allgemeinen Kirche. Bischof Thurzo förderte den
jungen Johann Heß, einen der Reformatoren Breslaus, und nach seinem
Tode (1520) schrieb Luther an Spalatin: „In Johann Thurzo ist der beste
aller Bischöfe des Jahrhunderts gestorben, und zwar im seligmachenden Glauben
an Christus." Und sein Nachfolger, Jakob von Salza, suchte zwar den Fort¬
schritt der Neuerung, die immer deutlicher als solche erkennbar wurde, mit
Abmahnungen zu bremsen, empfahl aber dem Rat den Johannes Heß, dessen
lutherische Gesinnung bekannt war, für den Predigtstuhl an der Magdalenen-
kirche. In aller Ruhe konnte der Rat Seelsorge, Armen- und Schulwesen
nach dem Wittenbergischen Muster organisieren. Als sich dann doch endlich
die vollzogne Spaltung nicht mehr übersehen und wegdisputieren ließ, und
sich die Domgeistlichkeit für die alte Kirche entschieden hatte, da tat sich
zwischen Stadt und Dom eine Kluft auf: die Stadt war evangelisch, der
Dombezirk katholisch, der Glaubenshaß verwandelte die auf beiden Seiten der
Oder gelegnen Stadtteile vollends in zwei feindliche Lager. Gewerbliche
Interessen und Streitigkeiten um die Rechtspflege hatten sie freilich vorher
schon so verfeindet, daß der Rat im Jahre 1503 einmal ans Sandtor und
die Brücke eine Wache stellen mußte, „damit nicht Herr Omnis hinüberliefe
und alles erwürgte".

Es folgte die Zeit der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges,
wo die „Seligmacher", die Liechtensteinschen Dragoner des Grafen Dohna,
und polnische Kosaken die unglücklichen Schlesier zu Tausenden in den Schaf¬
stall der alleinseligmachenden Kirche hineintrieben. Zu Bischöfen machte der
Wiener Hof in dieser Zeit Erzherzöge, zum Teil unmündige Knaben, die
meist auf ihren außerschlesischen Besitzungen weilten (auch einmal einen
polnischen Prinzen), und in deren Namen die Breslauer Werkzeuge der
Wiener Regierung in ihrer Art „reformierten". Und in den Jahren 1653
und 1654 führte in den an Österreich gefallnen schlesischen Herzogtümern eine
bewaffnete Kommission die „allgemeine Kirchenreduktion" durch, das heißt, sie
übergab den nur noch spärlich übers Land verstreuten Katholiken 656 evan¬
gelische Kirchen, verjagte 500 Prediger und setzte an deren Stelle katho¬
lische Geistliche ein, denen die evangelischen Bewohner für kirchliche Amts¬
handlungen, für Taufen, Trauungen und Begräbnisse tributpflichtig blieben.
Was Wunder, daß sich der evangelischen Schlesier grimmiger Haß gegen die
Unterdrücker bemächtigte, ein Haß, der bis heute noch nicht ganz erloschen ist,
und daß sie den Schweden im Dreißigjährigen Kriege und im Beginn des
achtzehnten Jahrhunderts als Befreier zujubelten, wie sie nicht lange darauf
Friedrich den Großen als solchen begrüßt haben. Eine Regierung, die einen
Teil ihrer Untertanen schlecht behandelt, hat auf deren Loyalität keinen An¬
spruch. Das Erscheinen Karls des Zwölften in Schlesien, der durch den
Vertrag von Altranstädt den Evangelischen ihr Joch erleichterte, hatte eine
eigentümliche Erscheinung zur Folge: das Kinderbeten. Ein Anonymus, der
darüber geschrieben hat, stellt diese Massenpsychose, wie man das heute nennt,


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[0229] Breslau reformfreundliche Söhne der allgemeinen Kirche. Bischof Thurzo förderte den jungen Johann Heß, einen der Reformatoren Breslaus, und nach seinem Tode (1520) schrieb Luther an Spalatin: „In Johann Thurzo ist der beste aller Bischöfe des Jahrhunderts gestorben, und zwar im seligmachenden Glauben an Christus." Und sein Nachfolger, Jakob von Salza, suchte zwar den Fort¬ schritt der Neuerung, die immer deutlicher als solche erkennbar wurde, mit Abmahnungen zu bremsen, empfahl aber dem Rat den Johannes Heß, dessen lutherische Gesinnung bekannt war, für den Predigtstuhl an der Magdalenen- kirche. In aller Ruhe konnte der Rat Seelsorge, Armen- und Schulwesen nach dem Wittenbergischen Muster organisieren. Als sich dann doch endlich die vollzogne Spaltung nicht mehr übersehen und wegdisputieren ließ, und sich die Domgeistlichkeit für die alte Kirche entschieden hatte, da tat sich zwischen Stadt und Dom eine Kluft auf: die Stadt war evangelisch, der Dombezirk katholisch, der Glaubenshaß verwandelte die auf beiden Seiten der Oder gelegnen Stadtteile vollends in zwei feindliche Lager. Gewerbliche Interessen und Streitigkeiten um die Rechtspflege hatten sie freilich vorher schon so verfeindet, daß der Rat im Jahre 1503 einmal ans Sandtor und die Brücke eine Wache stellen mußte, „damit nicht Herr Omnis hinüberliefe und alles erwürgte". Es folgte die Zeit der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges, wo die „Seligmacher", die Liechtensteinschen Dragoner des Grafen Dohna, und polnische Kosaken die unglücklichen Schlesier zu Tausenden in den Schaf¬ stall der alleinseligmachenden Kirche hineintrieben. Zu Bischöfen machte der Wiener Hof in dieser Zeit Erzherzöge, zum Teil unmündige Knaben, die meist auf ihren außerschlesischen Besitzungen weilten (auch einmal einen polnischen Prinzen), und in deren Namen die Breslauer Werkzeuge der Wiener Regierung in ihrer Art „reformierten". Und in den Jahren 1653 und 1654 führte in den an Österreich gefallnen schlesischen Herzogtümern eine bewaffnete Kommission die „allgemeine Kirchenreduktion" durch, das heißt, sie übergab den nur noch spärlich übers Land verstreuten Katholiken 656 evan¬ gelische Kirchen, verjagte 500 Prediger und setzte an deren Stelle katho¬ lische Geistliche ein, denen die evangelischen Bewohner für kirchliche Amts¬ handlungen, für Taufen, Trauungen und Begräbnisse tributpflichtig blieben. Was Wunder, daß sich der evangelischen Schlesier grimmiger Haß gegen die Unterdrücker bemächtigte, ein Haß, der bis heute noch nicht ganz erloschen ist, und daß sie den Schweden im Dreißigjährigen Kriege und im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts als Befreier zujubelten, wie sie nicht lange darauf Friedrich den Großen als solchen begrüßt haben. Eine Regierung, die einen Teil ihrer Untertanen schlecht behandelt, hat auf deren Loyalität keinen An¬ spruch. Das Erscheinen Karls des Zwölften in Schlesien, der durch den Vertrag von Altranstädt den Evangelischen ihr Joch erleichterte, hatte eine eigentümliche Erscheinung zur Folge: das Kinderbeten. Ein Anonymus, der darüber geschrieben hat, stellt diese Massenpsychose, wie man das heute nennt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/229>, abgerufen am 24.07.2024.