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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

intensiven und andauernden Feindschaft, wie sie die Breslauer Zünfte gegen
ihren eignen deutschen Rat im Busen hegten, ist nichts zu spüren. Andrerseits
hat die Stadt mit dem Dome nicht bloß dann in Fehde gelebt, wenn die
polnische Partei im Kapitel die Oberhand hatte. Rat und Bürgerschaft hatten
außer dem Bierschank noch andre, weit ernstere Interessen gegen den Dom zu
verteidigen, Bischof und Kapitel nahmen eine weltliche Jurisdiktion über die
Stadt in Anspruch und erschwerten dadurch, sowie durch das Asylrecht, die
Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Und weil die Domgeistlichkeit die
reichste war, war sie auch die liederlichste, sodaß die Bürgerschaft oft klagte,
es sammle sich dort Gesindel, dessen Treiben die Stadt schädige. Es wäre nun
aber wieder verfehlt, dabei von Antiklerikalismus zu sprechen, denn die Pfarr¬
geistlichkeit und einige Klöster standen gewöhnlich auf der Seite der Bürger¬
schaft, wie denn überhaupt der Klerus so gut wie die Laienschaft immer in
Parteien gespalten war. Wenn eine Gruppe der damaligen Bevölkerung die
andre bekämpfte, so geschah es nicht, weil diese andre einer fremden Nationalität
oder dem Klerus oder der Laienschaft angehörte, sondern weil sie einem reellen
Interesse im Wege stand.

Die andre Quelle von Zwisten zwischen dem deutschen Breslau und den
Slawen war politischer Natur. Es ist schon bemerkt worden, daß ihre Bürger¬
schaft den jämmerlichen kleinen Herzögen, die mehr und mehr zu großen Raub¬
rittern hinabsanken, überlegen war. Damit war innerhalb dieses politischen
Kleinkrams die Unabhängigkeit der Stadt von selbst gegeben, und diese suchte
sie nun natürlich auch gegenüber den beiden größern und verhältnismäßig
mächtigen Staaten, zwischen denen sie lag, zu behaupten. Raubzüge der mit
schlesischen Herzögen verbündeten Polen hat sie oft abzuwehren gehabt, als
Todfeindin in einem ernsthaften und langwierigen Kriege aber nicht dem nörd¬
lichen, sondern dem südlichen Nachbar gegenübergestanden; sie hat dabei
wiederholt Polens Vermittlung in Anspruch genommen, und dieses hat im
allgemeinen eine ihr wohlwollende Neutralität beobachtet. Vorher war sie
Böhmen eng verbündet gewesen. Man hat viel über den badischen Bauer
gelacht, der im Jahre 1849 die Republik mit dem Großherzog wollte, aber
dieser Bauer war klüger als die Leute, die ihn auslachten. Die englische
Adelsrepublik hat einen König, und die mittelalterlichen Reichsstädte waren
Republiken, die unter einem König und Kaiser standen. Breslau ist zwar nicht
formell deutsche Reichsstadt gewesen -- sein Wunsch, es zu werden, fand beim
Reiche keine Gegenliebe --, aber tatsächlich war es eine solche, und es hatte
einen schweren Stand mitten unter sich balgenden und seinen Warenzügen auf¬
lauernden Raubgesindel. Da hat es denn nichts dagegen gehabt, daß nach
dem Tode des letzten Herzogs das Fürstentum Breslau an Böhmen fiel, daß
mehrere schlesische Herzöge den Böhmenkönig als Oberherrn anerkannten, hat
die weisen und tüchtigen Luxemburger mit Freuden in seine Mauern auf¬
genommen und nicht dagegen protestiert, als Karl der Vierte im Jahre 1348


Grenzbot-n IV 1909 M
Breslau

intensiven und andauernden Feindschaft, wie sie die Breslauer Zünfte gegen
ihren eignen deutschen Rat im Busen hegten, ist nichts zu spüren. Andrerseits
hat die Stadt mit dem Dome nicht bloß dann in Fehde gelebt, wenn die
polnische Partei im Kapitel die Oberhand hatte. Rat und Bürgerschaft hatten
außer dem Bierschank noch andre, weit ernstere Interessen gegen den Dom zu
verteidigen, Bischof und Kapitel nahmen eine weltliche Jurisdiktion über die
Stadt in Anspruch und erschwerten dadurch, sowie durch das Asylrecht, die
Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Und weil die Domgeistlichkeit die
reichste war, war sie auch die liederlichste, sodaß die Bürgerschaft oft klagte,
es sammle sich dort Gesindel, dessen Treiben die Stadt schädige. Es wäre nun
aber wieder verfehlt, dabei von Antiklerikalismus zu sprechen, denn die Pfarr¬
geistlichkeit und einige Klöster standen gewöhnlich auf der Seite der Bürger¬
schaft, wie denn überhaupt der Klerus so gut wie die Laienschaft immer in
Parteien gespalten war. Wenn eine Gruppe der damaligen Bevölkerung die
andre bekämpfte, so geschah es nicht, weil diese andre einer fremden Nationalität
oder dem Klerus oder der Laienschaft angehörte, sondern weil sie einem reellen
Interesse im Wege stand.

Die andre Quelle von Zwisten zwischen dem deutschen Breslau und den
Slawen war politischer Natur. Es ist schon bemerkt worden, daß ihre Bürger¬
schaft den jämmerlichen kleinen Herzögen, die mehr und mehr zu großen Raub¬
rittern hinabsanken, überlegen war. Damit war innerhalb dieses politischen
Kleinkrams die Unabhängigkeit der Stadt von selbst gegeben, und diese suchte
sie nun natürlich auch gegenüber den beiden größern und verhältnismäßig
mächtigen Staaten, zwischen denen sie lag, zu behaupten. Raubzüge der mit
schlesischen Herzögen verbündeten Polen hat sie oft abzuwehren gehabt, als
Todfeindin in einem ernsthaften und langwierigen Kriege aber nicht dem nörd¬
lichen, sondern dem südlichen Nachbar gegenübergestanden; sie hat dabei
wiederholt Polens Vermittlung in Anspruch genommen, und dieses hat im
allgemeinen eine ihr wohlwollende Neutralität beobachtet. Vorher war sie
Böhmen eng verbündet gewesen. Man hat viel über den badischen Bauer
gelacht, der im Jahre 1849 die Republik mit dem Großherzog wollte, aber
dieser Bauer war klüger als die Leute, die ihn auslachten. Die englische
Adelsrepublik hat einen König, und die mittelalterlichen Reichsstädte waren
Republiken, die unter einem König und Kaiser standen. Breslau ist zwar nicht
formell deutsche Reichsstadt gewesen — sein Wunsch, es zu werden, fand beim
Reiche keine Gegenliebe —, aber tatsächlich war es eine solche, und es hatte
einen schweren Stand mitten unter sich balgenden und seinen Warenzügen auf¬
lauernden Raubgesindel. Da hat es denn nichts dagegen gehabt, daß nach
dem Tode des letzten Herzogs das Fürstentum Breslau an Böhmen fiel, daß
mehrere schlesische Herzöge den Böhmenkönig als Oberherrn anerkannten, hat
die weisen und tüchtigen Luxemburger mit Freuden in seine Mauern auf¬
genommen und nicht dagegen protestiert, als Karl der Vierte im Jahre 1348


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[0225] Breslau intensiven und andauernden Feindschaft, wie sie die Breslauer Zünfte gegen ihren eignen deutschen Rat im Busen hegten, ist nichts zu spüren. Andrerseits hat die Stadt mit dem Dome nicht bloß dann in Fehde gelebt, wenn die polnische Partei im Kapitel die Oberhand hatte. Rat und Bürgerschaft hatten außer dem Bierschank noch andre, weit ernstere Interessen gegen den Dom zu verteidigen, Bischof und Kapitel nahmen eine weltliche Jurisdiktion über die Stadt in Anspruch und erschwerten dadurch, sowie durch das Asylrecht, die Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Und weil die Domgeistlichkeit die reichste war, war sie auch die liederlichste, sodaß die Bürgerschaft oft klagte, es sammle sich dort Gesindel, dessen Treiben die Stadt schädige. Es wäre nun aber wieder verfehlt, dabei von Antiklerikalismus zu sprechen, denn die Pfarr¬ geistlichkeit und einige Klöster standen gewöhnlich auf der Seite der Bürger¬ schaft, wie denn überhaupt der Klerus so gut wie die Laienschaft immer in Parteien gespalten war. Wenn eine Gruppe der damaligen Bevölkerung die andre bekämpfte, so geschah es nicht, weil diese andre einer fremden Nationalität oder dem Klerus oder der Laienschaft angehörte, sondern weil sie einem reellen Interesse im Wege stand. Die andre Quelle von Zwisten zwischen dem deutschen Breslau und den Slawen war politischer Natur. Es ist schon bemerkt worden, daß ihre Bürger¬ schaft den jämmerlichen kleinen Herzögen, die mehr und mehr zu großen Raub¬ rittern hinabsanken, überlegen war. Damit war innerhalb dieses politischen Kleinkrams die Unabhängigkeit der Stadt von selbst gegeben, und diese suchte sie nun natürlich auch gegenüber den beiden größern und verhältnismäßig mächtigen Staaten, zwischen denen sie lag, zu behaupten. Raubzüge der mit schlesischen Herzögen verbündeten Polen hat sie oft abzuwehren gehabt, als Todfeindin in einem ernsthaften und langwierigen Kriege aber nicht dem nörd¬ lichen, sondern dem südlichen Nachbar gegenübergestanden; sie hat dabei wiederholt Polens Vermittlung in Anspruch genommen, und dieses hat im allgemeinen eine ihr wohlwollende Neutralität beobachtet. Vorher war sie Böhmen eng verbündet gewesen. Man hat viel über den badischen Bauer gelacht, der im Jahre 1849 die Republik mit dem Großherzog wollte, aber dieser Bauer war klüger als die Leute, die ihn auslachten. Die englische Adelsrepublik hat einen König, und die mittelalterlichen Reichsstädte waren Republiken, die unter einem König und Kaiser standen. Breslau ist zwar nicht formell deutsche Reichsstadt gewesen — sein Wunsch, es zu werden, fand beim Reiche keine Gegenliebe —, aber tatsächlich war es eine solche, und es hatte einen schweren Stand mitten unter sich balgenden und seinen Warenzügen auf¬ lauernden Raubgesindel. Da hat es denn nichts dagegen gehabt, daß nach dem Tode des letzten Herzogs das Fürstentum Breslau an Böhmen fiel, daß mehrere schlesische Herzöge den Böhmenkönig als Oberherrn anerkannten, hat die weisen und tüchtigen Luxemburger mit Freuden in seine Mauern auf¬ genommen und nicht dagegen protestiert, als Karl der Vierte im Jahre 1348 Grenzbot-n IV 1909 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/225>, abgerufen am 24.07.2024.