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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und Amerika

wegung unter den Deutschamerikanern schreibt er hauptsächlich den in Amerika
beheimateten Reichsdeutschen und Amerikanern, die in Deutschland gelebt und
studiert haben, zu; er bemerkt dabei, ihnen sei es hauptsächlich zu verdanken,
daß sich die beiden verwandten Völker haben versteh" und würdigen lernen.
Auch dem nationalen Bestände der in Südamerika, namentlich in Brasilien,
eingewanderten Deutschen erkennt er keine Aussichten zu; sie werden sich doch,
wegen der unterbliebnen und zum Teil verhinderten Nachwcmdrung, der
heimischen Bevölkerung anschließen, wovon sie bisher nur das Gefühl der
Rassenüberlegenheit abgehalten hat. Coolidge dürfte in allen diesen Punkten
Recht haben, wenn auch dadurch gewissen alldeutschen, auf die deutsche Aus-
wandrung gegründeten Träumereien ein Ende gemacht wird. Er kennt diese
sehr wohl, mißt ihnen zwar keinen offiziellen Charakter bei, deutet aber doch
an, daß in Nordamerika dadurch Beunruhigung hervorgerufen wurde, die weitern
Grund in der Annahme findet, daß Deutschland für seine Übervölkerung wo¬
möglich auf gewaltsamen Wege Unterkunft in Südamerika suchen werde.
Dabei werde es aber auf die Monroepolitik der Vereinigten Staaten stoßen.
Anerkannt muß werden, daß der Verfasser offen zugesteht, daß ein großer
Teil der amerikanischen Abneigung gegen Deutschland auf den Einfluß der
deutschfeindlichen englischen Presse zurückzuführen ist, die selbstverständlich den
Nordamerikanern leichter zugänglich ist als deutsche Blätter.

Der sogenannten Monroedoktrin widmet Coolidge ein umfangreiches
Kapitel und kommt auch bei Besprechung der Beziehungen zwischen der Union
und den andern Mächten vielfach auf sie zurück. Seine Ausführungen darüber
sind sehr lesenswert, es kann aber nur kurz darauf eingegangen werden, da
es sich hier nicht darum handelt, ein erschöpfendes Buch zu schreiben. Nach
ihrer heutigen Umwandlung läuft die Monroelehre darauf hinaus, daß die
Union den ganzen westlichen Kontinent für ihre Interessensphäre ansieht,
in die sie keine europäische Einmischung politischer Art dulden will. Daß ein
solcher Anspruch, der von keiner Seite anerkannt worden ist, bei der weitern
Näherrückung der handeltreibenden Völker zum Kriege führen kann, liegt auf
der Hand. Coolidge behauptet freilich, England habe ihn 1903 offiziös an¬
erkannt, und spricht später auch von einer förmlichen englischen Anerkennung.
Der Union wäre es zu wünschen, daß sie in diesem Punkte nicht üble Erfahrungen
mit der Gewohnheit des anglikanischen Volkscharakters (den Coolidge auch den
Nordamerikanern zuschreibt, ohne ihn direkt zu tadeln) macht, sich nicht durch
Verträge gebunden zu erachten, wenn sie auf spätere Verhältnisse nicht mehr
zu passen scheinen. Für die Monroedoktrin wird sich England in keinem
Falle ereifern, und auf welche Seite es sich stellen wird, wenn einmal darum
ein Krieg ausbrechen sollte, wird von ganz andern Gesichtspunkten abhängen.
Vorläufig hat die gesamte Diplomatie geschickt vermieden, zu dieser heikeln
Frage bestimmt Stellung zu nehmen, und bei den verschiedensten Anlässen, von
denen auch Coolidge einige anführt, haben selbst die Vertreter der Union


Deutschland und Amerika

wegung unter den Deutschamerikanern schreibt er hauptsächlich den in Amerika
beheimateten Reichsdeutschen und Amerikanern, die in Deutschland gelebt und
studiert haben, zu; er bemerkt dabei, ihnen sei es hauptsächlich zu verdanken,
daß sich die beiden verwandten Völker haben versteh» und würdigen lernen.
Auch dem nationalen Bestände der in Südamerika, namentlich in Brasilien,
eingewanderten Deutschen erkennt er keine Aussichten zu; sie werden sich doch,
wegen der unterbliebnen und zum Teil verhinderten Nachwcmdrung, der
heimischen Bevölkerung anschließen, wovon sie bisher nur das Gefühl der
Rassenüberlegenheit abgehalten hat. Coolidge dürfte in allen diesen Punkten
Recht haben, wenn auch dadurch gewissen alldeutschen, auf die deutsche Aus-
wandrung gegründeten Träumereien ein Ende gemacht wird. Er kennt diese
sehr wohl, mißt ihnen zwar keinen offiziellen Charakter bei, deutet aber doch
an, daß in Nordamerika dadurch Beunruhigung hervorgerufen wurde, die weitern
Grund in der Annahme findet, daß Deutschland für seine Übervölkerung wo¬
möglich auf gewaltsamen Wege Unterkunft in Südamerika suchen werde.
Dabei werde es aber auf die Monroepolitik der Vereinigten Staaten stoßen.
Anerkannt muß werden, daß der Verfasser offen zugesteht, daß ein großer
Teil der amerikanischen Abneigung gegen Deutschland auf den Einfluß der
deutschfeindlichen englischen Presse zurückzuführen ist, die selbstverständlich den
Nordamerikanern leichter zugänglich ist als deutsche Blätter.

Der sogenannten Monroedoktrin widmet Coolidge ein umfangreiches
Kapitel und kommt auch bei Besprechung der Beziehungen zwischen der Union
und den andern Mächten vielfach auf sie zurück. Seine Ausführungen darüber
sind sehr lesenswert, es kann aber nur kurz darauf eingegangen werden, da
es sich hier nicht darum handelt, ein erschöpfendes Buch zu schreiben. Nach
ihrer heutigen Umwandlung läuft die Monroelehre darauf hinaus, daß die
Union den ganzen westlichen Kontinent für ihre Interessensphäre ansieht,
in die sie keine europäische Einmischung politischer Art dulden will. Daß ein
solcher Anspruch, der von keiner Seite anerkannt worden ist, bei der weitern
Näherrückung der handeltreibenden Völker zum Kriege führen kann, liegt auf
der Hand. Coolidge behauptet freilich, England habe ihn 1903 offiziös an¬
erkannt, und spricht später auch von einer förmlichen englischen Anerkennung.
Der Union wäre es zu wünschen, daß sie in diesem Punkte nicht üble Erfahrungen
mit der Gewohnheit des anglikanischen Volkscharakters (den Coolidge auch den
Nordamerikanern zuschreibt, ohne ihn direkt zu tadeln) macht, sich nicht durch
Verträge gebunden zu erachten, wenn sie auf spätere Verhältnisse nicht mehr
zu passen scheinen. Für die Monroedoktrin wird sich England in keinem
Falle ereifern, und auf welche Seite es sich stellen wird, wenn einmal darum
ein Krieg ausbrechen sollte, wird von ganz andern Gesichtspunkten abhängen.
Vorläufig hat die gesamte Diplomatie geschickt vermieden, zu dieser heikeln
Frage bestimmt Stellung zu nehmen, und bei den verschiedensten Anlässen, von
denen auch Coolidge einige anführt, haben selbst die Vertreter der Union


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[0215] Deutschland und Amerika wegung unter den Deutschamerikanern schreibt er hauptsächlich den in Amerika beheimateten Reichsdeutschen und Amerikanern, die in Deutschland gelebt und studiert haben, zu; er bemerkt dabei, ihnen sei es hauptsächlich zu verdanken, daß sich die beiden verwandten Völker haben versteh» und würdigen lernen. Auch dem nationalen Bestände der in Südamerika, namentlich in Brasilien, eingewanderten Deutschen erkennt er keine Aussichten zu; sie werden sich doch, wegen der unterbliebnen und zum Teil verhinderten Nachwcmdrung, der heimischen Bevölkerung anschließen, wovon sie bisher nur das Gefühl der Rassenüberlegenheit abgehalten hat. Coolidge dürfte in allen diesen Punkten Recht haben, wenn auch dadurch gewissen alldeutschen, auf die deutsche Aus- wandrung gegründeten Träumereien ein Ende gemacht wird. Er kennt diese sehr wohl, mißt ihnen zwar keinen offiziellen Charakter bei, deutet aber doch an, daß in Nordamerika dadurch Beunruhigung hervorgerufen wurde, die weitern Grund in der Annahme findet, daß Deutschland für seine Übervölkerung wo¬ möglich auf gewaltsamen Wege Unterkunft in Südamerika suchen werde. Dabei werde es aber auf die Monroepolitik der Vereinigten Staaten stoßen. Anerkannt muß werden, daß der Verfasser offen zugesteht, daß ein großer Teil der amerikanischen Abneigung gegen Deutschland auf den Einfluß der deutschfeindlichen englischen Presse zurückzuführen ist, die selbstverständlich den Nordamerikanern leichter zugänglich ist als deutsche Blätter. Der sogenannten Monroedoktrin widmet Coolidge ein umfangreiches Kapitel und kommt auch bei Besprechung der Beziehungen zwischen der Union und den andern Mächten vielfach auf sie zurück. Seine Ausführungen darüber sind sehr lesenswert, es kann aber nur kurz darauf eingegangen werden, da es sich hier nicht darum handelt, ein erschöpfendes Buch zu schreiben. Nach ihrer heutigen Umwandlung läuft die Monroelehre darauf hinaus, daß die Union den ganzen westlichen Kontinent für ihre Interessensphäre ansieht, in die sie keine europäische Einmischung politischer Art dulden will. Daß ein solcher Anspruch, der von keiner Seite anerkannt worden ist, bei der weitern Näherrückung der handeltreibenden Völker zum Kriege führen kann, liegt auf der Hand. Coolidge behauptet freilich, England habe ihn 1903 offiziös an¬ erkannt, und spricht später auch von einer förmlichen englischen Anerkennung. Der Union wäre es zu wünschen, daß sie in diesem Punkte nicht üble Erfahrungen mit der Gewohnheit des anglikanischen Volkscharakters (den Coolidge auch den Nordamerikanern zuschreibt, ohne ihn direkt zu tadeln) macht, sich nicht durch Verträge gebunden zu erachten, wenn sie auf spätere Verhältnisse nicht mehr zu passen scheinen. Für die Monroedoktrin wird sich England in keinem Falle ereifern, und auf welche Seite es sich stellen wird, wenn einmal darum ein Krieg ausbrechen sollte, wird von ganz andern Gesichtspunkten abhängen. Vorläufig hat die gesamte Diplomatie geschickt vermieden, zu dieser heikeln Frage bestimmt Stellung zu nehmen, und bei den verschiedensten Anlässen, von denen auch Coolidge einige anführt, haben selbst die Vertreter der Union

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/215>, abgerufen am 04.07.2024.