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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und Amerika

von denen ihnen England und Frankreich, gewissermaßen als alte Firmen,
erträglich erscheinen, während Deutschland, ebenso Neuling wie sie, als der
eigentliche Konkurrent gilt. Dem entsprechend sind die Sympathien für
Deutschland sehr gering, obgleich im letzten Jahrzehnt die Beziehungen zum
Deutschen Reiche für die Union wichtiger geworden sind als zu allen andern
Staaten, England und Japan ausgenommen. Nach Coolidge gleichen Deutsch¬
land und die Vereinigten Staaten zwei jungen, energischen Firmen, die sich
noch ihre Stellung in der Welt zu erobern haben, wobei das Deutsche Reich
etwas früher angefangen hat.

Wenn er es auch nicht deutlich ausspricht, so scheint Coolidge doch die
allgemeine anglikanische Auffassung zu teilen, daß Deutschland ein Land voller
Eroberungspläne ist, vor denen man sich hüten müsse. Die Anglikaner, die
entweder auf ihrer sichern Insel in Europa oder neben mindermächtigen
Staaten in Amerika sitzen, haben kein rechtes Verständnis für die Wehran¬
strengungen, die Deutschland wegen seiner geographischen Lage -- gleich
Österreich-Ungarn -- machen muß, wenn es nicht wieder das Schlachtfeld
für andre abgeben will; sie begreifen auch den friedenfördernden Einfluß der
allgemeinen Wehrpflicht nicht. Da sie ebenso große militärische Anstrengungen
höchstens zu Eroberungszwecken machen würden, so trauen sie ohne weiteres
dem Deutschen Reiche solche zu. In dieser Ansicht werden sie durch den
Umstand bestärkt, daß sie bei ihren Plänen überall auf den kräftigen Wett¬
bewerb der Deutschen stoßen, den sie niederkämpfen wollen. Man zweifelt
darum auch nirgends daran, daß der neuste nordamerikanische Zolltarif in
der Hauptsache gegen Deutschland gerichtet ist. Coolidge bemerkt an einer
Stelle sehr richtig: "Völker sind leicht bereit, einander des ränkevollen,
hinterlistig durchdachten Spiels zu beschuldigen, nur von sich selbst wollen sie
es nicht glauben", aber bei aller ernsthaft gewollten Objektivität steht er doch
eigentlich immer zur Ansicht seiner Landsleute, Deutschlands Ansprüche stehn
auch für ihn hinter denen Englands, Frankreichs und selbstverständlich seines
Landes zurück. Dieser Standpunkt ist für jeden Ausländer selbstverständlich,
nur in Deutschland ist jene Objektivität vertreten, die selbst in den Fragen
der Gegenwart dem fremden Rechte den Vorzug einräumt, sei es auch nur,
um einen Grund zum Tadeln der eignen Regierung zu haben.

Von besonderm Interesse sind die Urteile des Verfassers über die Zu¬
kunft des Deutschtums in Amerika. Was die Deutschamerikaner in der
Union betrifft, so schließt er sich dem Ausspruche von Potenz an: Das
Deutschamerikanertum hat nur eine Gegenwart, aber keine Zukunft. Die
Ursache sieht er in ihrer geringen Anzahl, die wegen der Verminderung der
Einwandrung keine neue Auffrischung erhält, in der Neigung, sich schon in
der zweiten Generation vollkommen zu amerikanisieren, wohl auch darin, daß
sie sich, im Gegensatz zu den Jrländern, wenig mit Politik beschäftigen. Die
in neuerer Zeit beobachtete und in Deutschland mit Freude begrüßte Be-


Deutschland und Amerika

von denen ihnen England und Frankreich, gewissermaßen als alte Firmen,
erträglich erscheinen, während Deutschland, ebenso Neuling wie sie, als der
eigentliche Konkurrent gilt. Dem entsprechend sind die Sympathien für
Deutschland sehr gering, obgleich im letzten Jahrzehnt die Beziehungen zum
Deutschen Reiche für die Union wichtiger geworden sind als zu allen andern
Staaten, England und Japan ausgenommen. Nach Coolidge gleichen Deutsch¬
land und die Vereinigten Staaten zwei jungen, energischen Firmen, die sich
noch ihre Stellung in der Welt zu erobern haben, wobei das Deutsche Reich
etwas früher angefangen hat.

Wenn er es auch nicht deutlich ausspricht, so scheint Coolidge doch die
allgemeine anglikanische Auffassung zu teilen, daß Deutschland ein Land voller
Eroberungspläne ist, vor denen man sich hüten müsse. Die Anglikaner, die
entweder auf ihrer sichern Insel in Europa oder neben mindermächtigen
Staaten in Amerika sitzen, haben kein rechtes Verständnis für die Wehran¬
strengungen, die Deutschland wegen seiner geographischen Lage — gleich
Österreich-Ungarn — machen muß, wenn es nicht wieder das Schlachtfeld
für andre abgeben will; sie begreifen auch den friedenfördernden Einfluß der
allgemeinen Wehrpflicht nicht. Da sie ebenso große militärische Anstrengungen
höchstens zu Eroberungszwecken machen würden, so trauen sie ohne weiteres
dem Deutschen Reiche solche zu. In dieser Ansicht werden sie durch den
Umstand bestärkt, daß sie bei ihren Plänen überall auf den kräftigen Wett¬
bewerb der Deutschen stoßen, den sie niederkämpfen wollen. Man zweifelt
darum auch nirgends daran, daß der neuste nordamerikanische Zolltarif in
der Hauptsache gegen Deutschland gerichtet ist. Coolidge bemerkt an einer
Stelle sehr richtig: „Völker sind leicht bereit, einander des ränkevollen,
hinterlistig durchdachten Spiels zu beschuldigen, nur von sich selbst wollen sie
es nicht glauben", aber bei aller ernsthaft gewollten Objektivität steht er doch
eigentlich immer zur Ansicht seiner Landsleute, Deutschlands Ansprüche stehn
auch für ihn hinter denen Englands, Frankreichs und selbstverständlich seines
Landes zurück. Dieser Standpunkt ist für jeden Ausländer selbstverständlich,
nur in Deutschland ist jene Objektivität vertreten, die selbst in den Fragen
der Gegenwart dem fremden Rechte den Vorzug einräumt, sei es auch nur,
um einen Grund zum Tadeln der eignen Regierung zu haben.

Von besonderm Interesse sind die Urteile des Verfassers über die Zu¬
kunft des Deutschtums in Amerika. Was die Deutschamerikaner in der
Union betrifft, so schließt er sich dem Ausspruche von Potenz an: Das
Deutschamerikanertum hat nur eine Gegenwart, aber keine Zukunft. Die
Ursache sieht er in ihrer geringen Anzahl, die wegen der Verminderung der
Einwandrung keine neue Auffrischung erhält, in der Neigung, sich schon in
der zweiten Generation vollkommen zu amerikanisieren, wohl auch darin, daß
sie sich, im Gegensatz zu den Jrländern, wenig mit Politik beschäftigen. Die
in neuerer Zeit beobachtete und in Deutschland mit Freude begrüßte Be-


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[0214] Deutschland und Amerika von denen ihnen England und Frankreich, gewissermaßen als alte Firmen, erträglich erscheinen, während Deutschland, ebenso Neuling wie sie, als der eigentliche Konkurrent gilt. Dem entsprechend sind die Sympathien für Deutschland sehr gering, obgleich im letzten Jahrzehnt die Beziehungen zum Deutschen Reiche für die Union wichtiger geworden sind als zu allen andern Staaten, England und Japan ausgenommen. Nach Coolidge gleichen Deutsch¬ land und die Vereinigten Staaten zwei jungen, energischen Firmen, die sich noch ihre Stellung in der Welt zu erobern haben, wobei das Deutsche Reich etwas früher angefangen hat. Wenn er es auch nicht deutlich ausspricht, so scheint Coolidge doch die allgemeine anglikanische Auffassung zu teilen, daß Deutschland ein Land voller Eroberungspläne ist, vor denen man sich hüten müsse. Die Anglikaner, die entweder auf ihrer sichern Insel in Europa oder neben mindermächtigen Staaten in Amerika sitzen, haben kein rechtes Verständnis für die Wehran¬ strengungen, die Deutschland wegen seiner geographischen Lage — gleich Österreich-Ungarn — machen muß, wenn es nicht wieder das Schlachtfeld für andre abgeben will; sie begreifen auch den friedenfördernden Einfluß der allgemeinen Wehrpflicht nicht. Da sie ebenso große militärische Anstrengungen höchstens zu Eroberungszwecken machen würden, so trauen sie ohne weiteres dem Deutschen Reiche solche zu. In dieser Ansicht werden sie durch den Umstand bestärkt, daß sie bei ihren Plänen überall auf den kräftigen Wett¬ bewerb der Deutschen stoßen, den sie niederkämpfen wollen. Man zweifelt darum auch nirgends daran, daß der neuste nordamerikanische Zolltarif in der Hauptsache gegen Deutschland gerichtet ist. Coolidge bemerkt an einer Stelle sehr richtig: „Völker sind leicht bereit, einander des ränkevollen, hinterlistig durchdachten Spiels zu beschuldigen, nur von sich selbst wollen sie es nicht glauben", aber bei aller ernsthaft gewollten Objektivität steht er doch eigentlich immer zur Ansicht seiner Landsleute, Deutschlands Ansprüche stehn auch für ihn hinter denen Englands, Frankreichs und selbstverständlich seines Landes zurück. Dieser Standpunkt ist für jeden Ausländer selbstverständlich, nur in Deutschland ist jene Objektivität vertreten, die selbst in den Fragen der Gegenwart dem fremden Rechte den Vorzug einräumt, sei es auch nur, um einen Grund zum Tadeln der eignen Regierung zu haben. Von besonderm Interesse sind die Urteile des Verfassers über die Zu¬ kunft des Deutschtums in Amerika. Was die Deutschamerikaner in der Union betrifft, so schließt er sich dem Ausspruche von Potenz an: Das Deutschamerikanertum hat nur eine Gegenwart, aber keine Zukunft. Die Ursache sieht er in ihrer geringen Anzahl, die wegen der Verminderung der Einwandrung keine neue Auffrischung erhält, in der Neigung, sich schon in der zweiten Generation vollkommen zu amerikanisieren, wohl auch darin, daß sie sich, im Gegensatz zu den Jrländern, wenig mit Politik beschäftigen. Die in neuerer Zeit beobachtete und in Deutschland mit Freude begrüßte Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/214>, abgerufen am 04.07.2024.