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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und Amerika

Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren. Der Fehler liegt nicht an unsern Schulen,
gegen die mit Unrecht der Vorwurf erhoben wird, daß sie unpraktisch seien,
sondern daran, daß nicht praktisch darauf weiter gebaut wird, das Bürgertum
in seiner Mehrheit sich mit dem flüchtigen Durchlesen des ohnehin dürftigen
Inhalts unsrer Zeitungen und einigem Kannegießern darüber beim Bierkruge
begnügt, aber niemals ein ernstes politisches Buch zur Hand nimmt. Das gilt
für die innere wie für tue äußere Politik. Nun will man neuerdings dafür die
Schuld der Schule beimessen und ihr auch noch den politischen Unterricht auf¬
halsen. In die Schule, auch in die höhere, gehört aber nur die Verständlich-
machung der bestehenden Grundlagen und Organisationen des Heimatstaats,
denn die Politik ist keine Beschäftigung für die Jugend, sondern Arbeit für
Männer, die auch immer Zeit dafür finden werden, wenn sie es damit ernst
nehmen. Bei der heutigen Gepflogenheit laufen die Deutschen leider Gefahr
daß sie ewig politische Kinder bleiben. Daß es bei einigem Ernst gar nicht
so schwierig ist, sich ausreichende politische Bildung anzueignen, beweisen die
Sozialdemokraten, die darin im Durchschnitt den bürgerlichen Kreisen weit über¬
legen sind und in ihren begabteren Köpfen sich selbst Studierten gewachsen
zeigen. Darin liegt auch das Geheimnis ihres Wachstums als Partei, während
die bürgerlichen Parteien wegen Mangels an politischem Wissen zurückgehn
und zurückgehn müssen.

Die Zeiten, in denen allein der Lauf der Dinge in Europa unsre Auf¬
merksamkeit verdiente, sind endgiltig dahin, das reicht nicht einmal mehr für
die Beurteilung unsrer Kolonialpolitik aus, und erst recht nicht mehr, seitdem
Japan die Siegeslaufbahn betreten hat und die Vereinigten Staaten seit
Roosevelt immer lebhaftem Anteil an der Weltpolitik genommen haben. Es
wird für unsre Zukunft von Bedeutung sein, ob es uns gelingt, zu diesen
Ländern gute Beziehungen zu unterhalten. Daß das aber nicht von der Ge-
schicklichkeit unsrer Diplomaten allein abhängen kann, sondern daß ihnen ein
fester Volkswille den Rücken stärken muß, liegt auf der Hand. Das wäre nun
gerade für die Verhandlungen mit der Union über die neue Gestaltung der
Handelsbeziehungen jetzt sehr notwendig, aber man hört wenig darüber, auch
die Anregung eines schlesischen Blattes, der Hansabund möge in diesem Falle
Gewerbe, Industrie und Handel zu einer einheitlichen Stellungnahme um ein
gemeinsames nationales Banner vereinigen, hat noch keinen sichtbaren Erfolg
gehabt. Wir dürften also wohl wieder den kürzern ziehn. Sei dem nun, wie
ihm wolle: unsre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten werden noch auf
lange Zeit für uns die wichtigsten bleiben, um so mehr, da auch ihr Zusammen¬
hang mit den ostasiatischen Fragen unverkennbar ist. Trotz zahlreicher neuer
Werke über die Vereinigten Staaten ist die Kenntnis der dortigen Verhältnisse
und Anschauungen in Deutschland noch immer sehr gering. Als ein sehr nütz¬
liches Buch, diese Lücke auszufüllen, muß das bei E. S. Mittler Sohn w
Berlin erschienene Werk "Die Vereinigten Staaten als Weltmacht" von


Deutschland und Amerika

Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren. Der Fehler liegt nicht an unsern Schulen,
gegen die mit Unrecht der Vorwurf erhoben wird, daß sie unpraktisch seien,
sondern daran, daß nicht praktisch darauf weiter gebaut wird, das Bürgertum
in seiner Mehrheit sich mit dem flüchtigen Durchlesen des ohnehin dürftigen
Inhalts unsrer Zeitungen und einigem Kannegießern darüber beim Bierkruge
begnügt, aber niemals ein ernstes politisches Buch zur Hand nimmt. Das gilt
für die innere wie für tue äußere Politik. Nun will man neuerdings dafür die
Schuld der Schule beimessen und ihr auch noch den politischen Unterricht auf¬
halsen. In die Schule, auch in die höhere, gehört aber nur die Verständlich-
machung der bestehenden Grundlagen und Organisationen des Heimatstaats,
denn die Politik ist keine Beschäftigung für die Jugend, sondern Arbeit für
Männer, die auch immer Zeit dafür finden werden, wenn sie es damit ernst
nehmen. Bei der heutigen Gepflogenheit laufen die Deutschen leider Gefahr
daß sie ewig politische Kinder bleiben. Daß es bei einigem Ernst gar nicht
so schwierig ist, sich ausreichende politische Bildung anzueignen, beweisen die
Sozialdemokraten, die darin im Durchschnitt den bürgerlichen Kreisen weit über¬
legen sind und in ihren begabteren Köpfen sich selbst Studierten gewachsen
zeigen. Darin liegt auch das Geheimnis ihres Wachstums als Partei, während
die bürgerlichen Parteien wegen Mangels an politischem Wissen zurückgehn
und zurückgehn müssen.

Die Zeiten, in denen allein der Lauf der Dinge in Europa unsre Auf¬
merksamkeit verdiente, sind endgiltig dahin, das reicht nicht einmal mehr für
die Beurteilung unsrer Kolonialpolitik aus, und erst recht nicht mehr, seitdem
Japan die Siegeslaufbahn betreten hat und die Vereinigten Staaten seit
Roosevelt immer lebhaftem Anteil an der Weltpolitik genommen haben. Es
wird für unsre Zukunft von Bedeutung sein, ob es uns gelingt, zu diesen
Ländern gute Beziehungen zu unterhalten. Daß das aber nicht von der Ge-
schicklichkeit unsrer Diplomaten allein abhängen kann, sondern daß ihnen ein
fester Volkswille den Rücken stärken muß, liegt auf der Hand. Das wäre nun
gerade für die Verhandlungen mit der Union über die neue Gestaltung der
Handelsbeziehungen jetzt sehr notwendig, aber man hört wenig darüber, auch
die Anregung eines schlesischen Blattes, der Hansabund möge in diesem Falle
Gewerbe, Industrie und Handel zu einer einheitlichen Stellungnahme um ein
gemeinsames nationales Banner vereinigen, hat noch keinen sichtbaren Erfolg
gehabt. Wir dürften also wohl wieder den kürzern ziehn. Sei dem nun, wie
ihm wolle: unsre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten werden noch auf
lange Zeit für uns die wichtigsten bleiben, um so mehr, da auch ihr Zusammen¬
hang mit den ostasiatischen Fragen unverkennbar ist. Trotz zahlreicher neuer
Werke über die Vereinigten Staaten ist die Kenntnis der dortigen Verhältnisse
und Anschauungen in Deutschland noch immer sehr gering. Als ein sehr nütz¬
liches Buch, diese Lücke auszufüllen, muß das bei E. S. Mittler Sohn w
Berlin erschienene Werk „Die Vereinigten Staaten als Weltmacht" von


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[0211] Deutschland und Amerika Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren. Der Fehler liegt nicht an unsern Schulen, gegen die mit Unrecht der Vorwurf erhoben wird, daß sie unpraktisch seien, sondern daran, daß nicht praktisch darauf weiter gebaut wird, das Bürgertum in seiner Mehrheit sich mit dem flüchtigen Durchlesen des ohnehin dürftigen Inhalts unsrer Zeitungen und einigem Kannegießern darüber beim Bierkruge begnügt, aber niemals ein ernstes politisches Buch zur Hand nimmt. Das gilt für die innere wie für tue äußere Politik. Nun will man neuerdings dafür die Schuld der Schule beimessen und ihr auch noch den politischen Unterricht auf¬ halsen. In die Schule, auch in die höhere, gehört aber nur die Verständlich- machung der bestehenden Grundlagen und Organisationen des Heimatstaats, denn die Politik ist keine Beschäftigung für die Jugend, sondern Arbeit für Männer, die auch immer Zeit dafür finden werden, wenn sie es damit ernst nehmen. Bei der heutigen Gepflogenheit laufen die Deutschen leider Gefahr daß sie ewig politische Kinder bleiben. Daß es bei einigem Ernst gar nicht so schwierig ist, sich ausreichende politische Bildung anzueignen, beweisen die Sozialdemokraten, die darin im Durchschnitt den bürgerlichen Kreisen weit über¬ legen sind und in ihren begabteren Köpfen sich selbst Studierten gewachsen zeigen. Darin liegt auch das Geheimnis ihres Wachstums als Partei, während die bürgerlichen Parteien wegen Mangels an politischem Wissen zurückgehn und zurückgehn müssen. Die Zeiten, in denen allein der Lauf der Dinge in Europa unsre Auf¬ merksamkeit verdiente, sind endgiltig dahin, das reicht nicht einmal mehr für die Beurteilung unsrer Kolonialpolitik aus, und erst recht nicht mehr, seitdem Japan die Siegeslaufbahn betreten hat und die Vereinigten Staaten seit Roosevelt immer lebhaftem Anteil an der Weltpolitik genommen haben. Es wird für unsre Zukunft von Bedeutung sein, ob es uns gelingt, zu diesen Ländern gute Beziehungen zu unterhalten. Daß das aber nicht von der Ge- schicklichkeit unsrer Diplomaten allein abhängen kann, sondern daß ihnen ein fester Volkswille den Rücken stärken muß, liegt auf der Hand. Das wäre nun gerade für die Verhandlungen mit der Union über die neue Gestaltung der Handelsbeziehungen jetzt sehr notwendig, aber man hört wenig darüber, auch die Anregung eines schlesischen Blattes, der Hansabund möge in diesem Falle Gewerbe, Industrie und Handel zu einer einheitlichen Stellungnahme um ein gemeinsames nationales Banner vereinigen, hat noch keinen sichtbaren Erfolg gehabt. Wir dürften also wohl wieder den kürzern ziehn. Sei dem nun, wie ihm wolle: unsre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten werden noch auf lange Zeit für uns die wichtigsten bleiben, um so mehr, da auch ihr Zusammen¬ hang mit den ostasiatischen Fragen unverkennbar ist. Trotz zahlreicher neuer Werke über die Vereinigten Staaten ist die Kenntnis der dortigen Verhältnisse und Anschauungen in Deutschland noch immer sehr gering. Als ein sehr nütz¬ liches Buch, diese Lücke auszufüllen, muß das bei E. S. Mittler Sohn w Berlin erschienene Werk „Die Vereinigten Staaten als Weltmacht" von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/211>, abgerufen am 04.07.2024.