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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

theoretischen Idealismus gemacht hat, dem "die Gesetze der Begriffe diejenigen des
Seins sind". KülPe hat von seinem (als 146. Bändchen von B. G. Teubners
Sammlung "Aus Natur und Geisteswelt" erschienenen) Immanuel Kant vorm
Jahre eine zweite, verbesserte Auflage herausgegeben. Seine klare und leicht les¬
bare Darstellung behandelt Kants Lehre kritisch, aber mit der dem Meister ge¬
bührenden Ehrfurcht. Sehr schön wird Kants Ethik gewürdigt. -- Während
Uphnes dem "Skeptiker" Hume wenig geneigt ist, behandelt ihn Alois Riehl
mit offenbarer Vorliebe und sehr ausführlich in seinen "acht Vorträgen Zur Ein¬
führung in die Philosophie der Gegenwart". Sie sind zum erstenmal 1902,
und 1908 in dritter durchgesehener und verbesserter Auflage (bei B. G. Teubner
in Leipzig) erschienen. Die Probleme und die Stadien ihrer Lösung werden Un¬
gemein gründlich, klar und fesselnd dargestellt. Das Verhältnis der Philosophie
zu den Wissenschaften wird sehr genau bestimmt, und es wird gezeigt, wie gerade
die NatürforschUng des neunzehnten Jahrhunderts, die den Untergang der Philo¬
sophie zu bedeuten schien, zu ihr zurückgeführt hat. In der Kritik von Ostwalds
Energetik stimmt Riehl mit Eduard von Hartmann und Wundt überein: das
Psychische ist keine Energieform, und eitel ist das Bemühen der Energetiker, den
Begriff der Materie auszuschalten. Nietzsche wird trotz seinen Übertreibungen und
Berirrnngcn sehr hoch gewertet, und es wird behauptet, daß es nie ein philo¬
sophischeres Zeitalter gegeben habe als das gegenwärtige; freilich sei seine Philosophie
"und zu geringerm Teile in den Arbeiten der Fachphilosophen enthalten", sie lebe "in
den Werken von Robert Mayer, von Helmholtz, von Heinrich Hertz". Sonderbar
kommt es mir vor, daß nicht den religiösen Glauben, diese Philosophie des Volkes
vollständig ignoriert. Er schreibt gegen Ende: "Lebensweisheit suchen wir nicht bloß
bei den eigentlichen Philosophen, in ihren Lehren, ihrem Vorbilde; wir finden sie auch
bei den großen Dichtern, bei jedem Erzieher der Menschheit. Auch sie zählen zu den
Philosophen, wenn wir auch nicht gewohnt sind, sie Philosophen zu nennen. Ein solcher
Philosoph und Erzieher der Menschheit ist Goethe, der Goethe der Wanderjahre und
des zweiten Teiles des Faust." (Vor allem doch wohl der Sprüche in Versen und in
Prosa.) Dem größern Teile der Christenheit aber gelten immer noch in erster Linie
Jesus, Paulus, Augusiin, Luther und Calvin als Führer und Erzieher. Und wenn
als Ziel der Philosophie eine Weltanschauung hingestellt wird -- nun, der Christ hat
eine Weltanschauung: und es ist gut für die vielen Millionen Christe", daß sie
diese haben, denn ein jeder muß täglich handeln; um aber ruhig und in Selhst-
gewißheit handeln zu können, muß man auf einer Weltanschauung fußen und kann
nicht warten, bis die Philosophie ihr Ziel erreicht haben wird. -- Konstantin
Brunner geht von dem Gedanken aus, daß beim Volke das Denken des Wirk¬
lichen rin dem Denken des Unwirklichen vermischt, und daß dieses unreine Denken
vom Denken des Wahren und Wirklichen nicht bloß dem Grade, sondern dem
Wesen nach verschieden sei; dieses unreine und unrichtige Denken habe vorläufig
noch die Oberhand; mit seinem Werke: Die Lehre von den Geistigen und
vom Volke (Berlin, Karl Schnabel, 1908) will er dem wahren und reinen
Denken zum Siege verhelfen. Nun habe ich beim Durchblättern recht hübsche Be¬
trachtungen gefunden, zum Beispiel über die scholastische Form der heutigen Wissen¬
schaft, über ihre Terminologie; auch klingt ein Inserat recht verheißungsvoll, nach
dem der Verfasser nicht bloß gegen diese Scholastik, sondern auch gegen "den
naturphilosophisch-uachchrisilicheu Aberglauben von der Entwicklungslehre und ihren
Äflerprovhcten Nietzsche" sowie gegen "die Narrheit und Gefahr der sogenannten
allgemeinen Bildung" kämpft; und wenn nicht mehrere Dutzend andre Autoren
samt ihren Verlegern drängten, würde ich vielleicht sein Werk studierete. Aber in
der lliigedeuteten Lage habe ich um so weniger Lust, an das Studium eines Werkes
zu gehn, dessen zwei Halbbäiide zusammen 1142 Seiten groß Oktav zählen, da
ich Seite 19 lese: unter allen uns bekannten Menschen aller Zeiten sei Spinoza


Maßgebliches und Unmaßgebliches

theoretischen Idealismus gemacht hat, dem „die Gesetze der Begriffe diejenigen des
Seins sind". KülPe hat von seinem (als 146. Bändchen von B. G. Teubners
Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" erschienenen) Immanuel Kant vorm
Jahre eine zweite, verbesserte Auflage herausgegeben. Seine klare und leicht les¬
bare Darstellung behandelt Kants Lehre kritisch, aber mit der dem Meister ge¬
bührenden Ehrfurcht. Sehr schön wird Kants Ethik gewürdigt. — Während
Uphnes dem „Skeptiker" Hume wenig geneigt ist, behandelt ihn Alois Riehl
mit offenbarer Vorliebe und sehr ausführlich in seinen „acht Vorträgen Zur Ein¬
führung in die Philosophie der Gegenwart". Sie sind zum erstenmal 1902,
und 1908 in dritter durchgesehener und verbesserter Auflage (bei B. G. Teubner
in Leipzig) erschienen. Die Probleme und die Stadien ihrer Lösung werden Un¬
gemein gründlich, klar und fesselnd dargestellt. Das Verhältnis der Philosophie
zu den Wissenschaften wird sehr genau bestimmt, und es wird gezeigt, wie gerade
die NatürforschUng des neunzehnten Jahrhunderts, die den Untergang der Philo¬
sophie zu bedeuten schien, zu ihr zurückgeführt hat. In der Kritik von Ostwalds
Energetik stimmt Riehl mit Eduard von Hartmann und Wundt überein: das
Psychische ist keine Energieform, und eitel ist das Bemühen der Energetiker, den
Begriff der Materie auszuschalten. Nietzsche wird trotz seinen Übertreibungen und
Berirrnngcn sehr hoch gewertet, und es wird behauptet, daß es nie ein philo¬
sophischeres Zeitalter gegeben habe als das gegenwärtige; freilich sei seine Philosophie
„und zu geringerm Teile in den Arbeiten der Fachphilosophen enthalten", sie lebe „in
den Werken von Robert Mayer, von Helmholtz, von Heinrich Hertz". Sonderbar
kommt es mir vor, daß nicht den religiösen Glauben, diese Philosophie des Volkes
vollständig ignoriert. Er schreibt gegen Ende: „Lebensweisheit suchen wir nicht bloß
bei den eigentlichen Philosophen, in ihren Lehren, ihrem Vorbilde; wir finden sie auch
bei den großen Dichtern, bei jedem Erzieher der Menschheit. Auch sie zählen zu den
Philosophen, wenn wir auch nicht gewohnt sind, sie Philosophen zu nennen. Ein solcher
Philosoph und Erzieher der Menschheit ist Goethe, der Goethe der Wanderjahre und
des zweiten Teiles des Faust." (Vor allem doch wohl der Sprüche in Versen und in
Prosa.) Dem größern Teile der Christenheit aber gelten immer noch in erster Linie
Jesus, Paulus, Augusiin, Luther und Calvin als Führer und Erzieher. Und wenn
als Ziel der Philosophie eine Weltanschauung hingestellt wird — nun, der Christ hat
eine Weltanschauung: und es ist gut für die vielen Millionen Christe«, daß sie
diese haben, denn ein jeder muß täglich handeln; um aber ruhig und in Selhst-
gewißheit handeln zu können, muß man auf einer Weltanschauung fußen und kann
nicht warten, bis die Philosophie ihr Ziel erreicht haben wird. — Konstantin
Brunner geht von dem Gedanken aus, daß beim Volke das Denken des Wirk¬
lichen rin dem Denken des Unwirklichen vermischt, und daß dieses unreine Denken
vom Denken des Wahren und Wirklichen nicht bloß dem Grade, sondern dem
Wesen nach verschieden sei; dieses unreine und unrichtige Denken habe vorläufig
noch die Oberhand; mit seinem Werke: Die Lehre von den Geistigen und
vom Volke (Berlin, Karl Schnabel, 1908) will er dem wahren und reinen
Denken zum Siege verhelfen. Nun habe ich beim Durchblättern recht hübsche Be¬
trachtungen gefunden, zum Beispiel über die scholastische Form der heutigen Wissen¬
schaft, über ihre Terminologie; auch klingt ein Inserat recht verheißungsvoll, nach
dem der Verfasser nicht bloß gegen diese Scholastik, sondern auch gegen „den
naturphilosophisch-uachchrisilicheu Aberglauben von der Entwicklungslehre und ihren
Äflerprovhcten Nietzsche" sowie gegen „die Narrheit und Gefahr der sogenannten
allgemeinen Bildung" kämpft; und wenn nicht mehrere Dutzend andre Autoren
samt ihren Verlegern drängten, würde ich vielleicht sein Werk studierete. Aber in
der lliigedeuteten Lage habe ich um so weniger Lust, an das Studium eines Werkes
zu gehn, dessen zwei Halbbäiide zusammen 1142 Seiten groß Oktav zählen, da
ich Seite 19 lese: unter allen uns bekannten Menschen aller Zeiten sei Spinoza


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[0206] Maßgebliches und Unmaßgebliches theoretischen Idealismus gemacht hat, dem „die Gesetze der Begriffe diejenigen des Seins sind". KülPe hat von seinem (als 146. Bändchen von B. G. Teubners Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" erschienenen) Immanuel Kant vorm Jahre eine zweite, verbesserte Auflage herausgegeben. Seine klare und leicht les¬ bare Darstellung behandelt Kants Lehre kritisch, aber mit der dem Meister ge¬ bührenden Ehrfurcht. Sehr schön wird Kants Ethik gewürdigt. — Während Uphnes dem „Skeptiker" Hume wenig geneigt ist, behandelt ihn Alois Riehl mit offenbarer Vorliebe und sehr ausführlich in seinen „acht Vorträgen Zur Ein¬ führung in die Philosophie der Gegenwart". Sie sind zum erstenmal 1902, und 1908 in dritter durchgesehener und verbesserter Auflage (bei B. G. Teubner in Leipzig) erschienen. Die Probleme und die Stadien ihrer Lösung werden Un¬ gemein gründlich, klar und fesselnd dargestellt. Das Verhältnis der Philosophie zu den Wissenschaften wird sehr genau bestimmt, und es wird gezeigt, wie gerade die NatürforschUng des neunzehnten Jahrhunderts, die den Untergang der Philo¬ sophie zu bedeuten schien, zu ihr zurückgeführt hat. In der Kritik von Ostwalds Energetik stimmt Riehl mit Eduard von Hartmann und Wundt überein: das Psychische ist keine Energieform, und eitel ist das Bemühen der Energetiker, den Begriff der Materie auszuschalten. Nietzsche wird trotz seinen Übertreibungen und Berirrnngcn sehr hoch gewertet, und es wird behauptet, daß es nie ein philo¬ sophischeres Zeitalter gegeben habe als das gegenwärtige; freilich sei seine Philosophie „und zu geringerm Teile in den Arbeiten der Fachphilosophen enthalten", sie lebe „in den Werken von Robert Mayer, von Helmholtz, von Heinrich Hertz". Sonderbar kommt es mir vor, daß nicht den religiösen Glauben, diese Philosophie des Volkes vollständig ignoriert. Er schreibt gegen Ende: „Lebensweisheit suchen wir nicht bloß bei den eigentlichen Philosophen, in ihren Lehren, ihrem Vorbilde; wir finden sie auch bei den großen Dichtern, bei jedem Erzieher der Menschheit. Auch sie zählen zu den Philosophen, wenn wir auch nicht gewohnt sind, sie Philosophen zu nennen. Ein solcher Philosoph und Erzieher der Menschheit ist Goethe, der Goethe der Wanderjahre und des zweiten Teiles des Faust." (Vor allem doch wohl der Sprüche in Versen und in Prosa.) Dem größern Teile der Christenheit aber gelten immer noch in erster Linie Jesus, Paulus, Augusiin, Luther und Calvin als Führer und Erzieher. Und wenn als Ziel der Philosophie eine Weltanschauung hingestellt wird — nun, der Christ hat eine Weltanschauung: und es ist gut für die vielen Millionen Christe«, daß sie diese haben, denn ein jeder muß täglich handeln; um aber ruhig und in Selhst- gewißheit handeln zu können, muß man auf einer Weltanschauung fußen und kann nicht warten, bis die Philosophie ihr Ziel erreicht haben wird. — Konstantin Brunner geht von dem Gedanken aus, daß beim Volke das Denken des Wirk¬ lichen rin dem Denken des Unwirklichen vermischt, und daß dieses unreine Denken vom Denken des Wahren und Wirklichen nicht bloß dem Grade, sondern dem Wesen nach verschieden sei; dieses unreine und unrichtige Denken habe vorläufig noch die Oberhand; mit seinem Werke: Die Lehre von den Geistigen und vom Volke (Berlin, Karl Schnabel, 1908) will er dem wahren und reinen Denken zum Siege verhelfen. Nun habe ich beim Durchblättern recht hübsche Be¬ trachtungen gefunden, zum Beispiel über die scholastische Form der heutigen Wissen¬ schaft, über ihre Terminologie; auch klingt ein Inserat recht verheißungsvoll, nach dem der Verfasser nicht bloß gegen diese Scholastik, sondern auch gegen „den naturphilosophisch-uachchrisilicheu Aberglauben von der Entwicklungslehre und ihren Äflerprovhcten Nietzsche" sowie gegen „die Narrheit und Gefahr der sogenannten allgemeinen Bildung" kämpft; und wenn nicht mehrere Dutzend andre Autoren samt ihren Verlegern drängten, würde ich vielleicht sein Werk studierete. Aber in der lliigedeuteten Lage habe ich um so weniger Lust, an das Studium eines Werkes zu gehn, dessen zwei Halbbäiide zusammen 1142 Seiten groß Oktav zählen, da ich Seite 19 lese: unter allen uns bekannten Menschen aller Zeiten sei Spinoza

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/206>, abgerufen am 04.07.2024.