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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

Kurz ein Wunder, ein wildes. Ich werd ihn verkaufen. Wer will ihn?
Magst du ihn, Kaufmann zur See? Willst du den Jungen? Komm her!
Siehe, er bettelt und weint. Nein, Liebling, du sollst nicht verkauft sein.
Tröste dich: Zenophila nimmt dich zum Spielkamerad!

Wir sehen, der Dichter ist immer entwaffnet, er kann dem süßen Bengel
nicht böse sein. Aber von neuem treibt ihn die Wut zu neuen Plänen: er
schwört bei der Kypris, seine Bogen mitsamt dem Köcher zu verbrennen, aber
schon wieder bricht die Heiterkeit bei dem tollen Jungen durch. Da droht
er ihm die Flügel abzuschneiden und ihn mit ehernen Fesseln zu binden --
aber schließlich läßt er ihn laufen, damit er auf andre seine Pfeile schieße.
Der Grazie kann man schwer widerstehn, der Gott ist unüberwindlich, das ist auch
kein Wunder, da seine Mutter den Ares liebt und Gattin des Hephäst ist und
selbst dem tosenden Meere entstammt. Da ist es denn nicht sonderbar, daß ihr
Sprößling ein solcher heißblütiger Bogenschütze von so wilder Gemütsart ist.

Wenden wir uns nun zum eigentlichen Liebesleben des Meleager. Er
ist echt verliebt. Deutliche Spuren eines persönlichen Erlebnisses zeigen die
entzückenden, lebenswahren Verse, mit denen er eine Magd zur Geliebten
schickt, aber in verliebter Zerstreutheit die Arme zurückruft, wieder fortsendet,
um schließlich selber anzugehn.


Melde dies, Dorcas, sieh hin und bring ihr nochmals die Botschaft,
Und zum drittenmal noch, Dorcas, sag alles -- lauf hin!
Zögere nicht, nein, fliege -- doch halt, halt, Dorcas, ein wenig --
Dorcas, wo läufst du hin? Hast noch nicht alles gehört!
Füge zum alten Bekannten hinzu -- doch bin ich von Sinnen?
Sag überhaupt nichts, sag nur -- daß ich -- nein, alles sag ihr!
Zögre nicht, alles zu sagen von mir -- doch Dorcas, warum denn
Sende ich dich? Mit dir, siehe, ich gehe schon mit!

Gehn wir nun mit dem Verliebten zu seiner Flamme. Da finden wir
aber nicht nur eine vor, es sind fo manche, in deren Netze er fiel. An der
Spitze stehn die beiden Schönen, die am meisten in den Gedichten wiederkehren:
Zenophila und Heliodora, natürlich zwei Hetären, deren Geist, Schönheit und
Anmut die jungen Leute mehr bezauberten als die nüchterne, hcmsbackne
Hausfrau, die damals nur Haushälterin des Mannes war. Gar mancherlei
fesselte den Entzündbaren an der ersten Dame: ihr musikalisches Talent, ihre
Schönheit, ihre Anmut.


Wohin soll ich dich fliehn? Es flattern um dich die Eroten,
Lassen mir nicht soviel Zeit, Atem zu schöpfen und Luft!
Regel Sehnsucht in mir ihre Schönheit? Sind es die Lieder?
Ist es die Anmut? Was sonst? Alles! Ich brenne vor Glut!

Er wußte es selbst nicht, was ihn so an die Geliebte schloß; fesselte ihn
die Jugendblüte, diese liebliche Gestalt, dieser Blick von Treu und Güte mit
unendlicher Gewalt? Immer wieder wird die Anmut der Gefeierten gepriesen:


Meleager von Gadara

Kurz ein Wunder, ein wildes. Ich werd ihn verkaufen. Wer will ihn?
Magst du ihn, Kaufmann zur See? Willst du den Jungen? Komm her!
Siehe, er bettelt und weint. Nein, Liebling, du sollst nicht verkauft sein.
Tröste dich: Zenophila nimmt dich zum Spielkamerad!

Wir sehen, der Dichter ist immer entwaffnet, er kann dem süßen Bengel
nicht böse sein. Aber von neuem treibt ihn die Wut zu neuen Plänen: er
schwört bei der Kypris, seine Bogen mitsamt dem Köcher zu verbrennen, aber
schon wieder bricht die Heiterkeit bei dem tollen Jungen durch. Da droht
er ihm die Flügel abzuschneiden und ihn mit ehernen Fesseln zu binden —
aber schließlich läßt er ihn laufen, damit er auf andre seine Pfeile schieße.
Der Grazie kann man schwer widerstehn, der Gott ist unüberwindlich, das ist auch
kein Wunder, da seine Mutter den Ares liebt und Gattin des Hephäst ist und
selbst dem tosenden Meere entstammt. Da ist es denn nicht sonderbar, daß ihr
Sprößling ein solcher heißblütiger Bogenschütze von so wilder Gemütsart ist.

Wenden wir uns nun zum eigentlichen Liebesleben des Meleager. Er
ist echt verliebt. Deutliche Spuren eines persönlichen Erlebnisses zeigen die
entzückenden, lebenswahren Verse, mit denen er eine Magd zur Geliebten
schickt, aber in verliebter Zerstreutheit die Arme zurückruft, wieder fortsendet,
um schließlich selber anzugehn.


Melde dies, Dorcas, sieh hin und bring ihr nochmals die Botschaft,
Und zum drittenmal noch, Dorcas, sag alles — lauf hin!
Zögere nicht, nein, fliege — doch halt, halt, Dorcas, ein wenig —
Dorcas, wo läufst du hin? Hast noch nicht alles gehört!
Füge zum alten Bekannten hinzu — doch bin ich von Sinnen?
Sag überhaupt nichts, sag nur — daß ich — nein, alles sag ihr!
Zögre nicht, alles zu sagen von mir — doch Dorcas, warum denn
Sende ich dich? Mit dir, siehe, ich gehe schon mit!

Gehn wir nun mit dem Verliebten zu seiner Flamme. Da finden wir
aber nicht nur eine vor, es sind fo manche, in deren Netze er fiel. An der
Spitze stehn die beiden Schönen, die am meisten in den Gedichten wiederkehren:
Zenophila und Heliodora, natürlich zwei Hetären, deren Geist, Schönheit und
Anmut die jungen Leute mehr bezauberten als die nüchterne, hcmsbackne
Hausfrau, die damals nur Haushälterin des Mannes war. Gar mancherlei
fesselte den Entzündbaren an der ersten Dame: ihr musikalisches Talent, ihre
Schönheit, ihre Anmut.


Wohin soll ich dich fliehn? Es flattern um dich die Eroten,
Lassen mir nicht soviel Zeit, Atem zu schöpfen und Luft!
Regel Sehnsucht in mir ihre Schönheit? Sind es die Lieder?
Ist es die Anmut? Was sonst? Alles! Ich brenne vor Glut!

Er wußte es selbst nicht, was ihn so an die Geliebte schloß; fesselte ihn
die Jugendblüte, diese liebliche Gestalt, dieser Blick von Treu und Güte mit
unendlicher Gewalt? Immer wieder wird die Anmut der Gefeierten gepriesen:


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[0189] Meleager von Gadara Kurz ein Wunder, ein wildes. Ich werd ihn verkaufen. Wer will ihn? Magst du ihn, Kaufmann zur See? Willst du den Jungen? Komm her! Siehe, er bettelt und weint. Nein, Liebling, du sollst nicht verkauft sein. Tröste dich: Zenophila nimmt dich zum Spielkamerad! Wir sehen, der Dichter ist immer entwaffnet, er kann dem süßen Bengel nicht böse sein. Aber von neuem treibt ihn die Wut zu neuen Plänen: er schwört bei der Kypris, seine Bogen mitsamt dem Köcher zu verbrennen, aber schon wieder bricht die Heiterkeit bei dem tollen Jungen durch. Da droht er ihm die Flügel abzuschneiden und ihn mit ehernen Fesseln zu binden — aber schließlich läßt er ihn laufen, damit er auf andre seine Pfeile schieße. Der Grazie kann man schwer widerstehn, der Gott ist unüberwindlich, das ist auch kein Wunder, da seine Mutter den Ares liebt und Gattin des Hephäst ist und selbst dem tosenden Meere entstammt. Da ist es denn nicht sonderbar, daß ihr Sprößling ein solcher heißblütiger Bogenschütze von so wilder Gemütsart ist. Wenden wir uns nun zum eigentlichen Liebesleben des Meleager. Er ist echt verliebt. Deutliche Spuren eines persönlichen Erlebnisses zeigen die entzückenden, lebenswahren Verse, mit denen er eine Magd zur Geliebten schickt, aber in verliebter Zerstreutheit die Arme zurückruft, wieder fortsendet, um schließlich selber anzugehn. Melde dies, Dorcas, sieh hin und bring ihr nochmals die Botschaft, Und zum drittenmal noch, Dorcas, sag alles — lauf hin! Zögere nicht, nein, fliege — doch halt, halt, Dorcas, ein wenig — Dorcas, wo läufst du hin? Hast noch nicht alles gehört! Füge zum alten Bekannten hinzu — doch bin ich von Sinnen? Sag überhaupt nichts, sag nur — daß ich — nein, alles sag ihr! Zögre nicht, alles zu sagen von mir — doch Dorcas, warum denn Sende ich dich? Mit dir, siehe, ich gehe schon mit! Gehn wir nun mit dem Verliebten zu seiner Flamme. Da finden wir aber nicht nur eine vor, es sind fo manche, in deren Netze er fiel. An der Spitze stehn die beiden Schönen, die am meisten in den Gedichten wiederkehren: Zenophila und Heliodora, natürlich zwei Hetären, deren Geist, Schönheit und Anmut die jungen Leute mehr bezauberten als die nüchterne, hcmsbackne Hausfrau, die damals nur Haushälterin des Mannes war. Gar mancherlei fesselte den Entzündbaren an der ersten Dame: ihr musikalisches Talent, ihre Schönheit, ihre Anmut. Wohin soll ich dich fliehn? Es flattern um dich die Eroten, Lassen mir nicht soviel Zeit, Atem zu schöpfen und Luft! Regel Sehnsucht in mir ihre Schönheit? Sind es die Lieder? Ist es die Anmut? Was sonst? Alles! Ich brenne vor Glut! Er wußte es selbst nicht, was ihn so an die Geliebte schloß; fesselte ihn die Jugendblüte, diese liebliche Gestalt, dieser Blick von Treu und Güte mit unendlicher Gewalt? Immer wieder wird die Anmut der Gefeierten gepriesen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/189>, abgerufen am 24.07.2024.