Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Meleager von Gadara

Gemmen jener Zeit begegnen, so auf einem Steine aus der Sammlung Ccirlisle
im Britischen Museum, auf dem Eros dem Schmetterling die Fackel hinhält und
scharf beobachtet, wie sich dieser nähert. Die furchtbare Glut treibt den Dichter
zu dem geschmacklose" Gedanken, Eros als Koch zu bezeichnen, der die ver¬
liebte Seele dörrt. Aber auch dieses Motiv findet sich in der Gemmenknnst,
und zwar röstet hier Eros die arme Psyche an einem Bratspieß über einem
Kohlenbecken. Eros ist es eben, der den Dichter so heftig quält: "Furcht¬
barer Eros!" ruft er dem Gott in seiner Verzweiflung zu, aber er selber ist
durchdrungen von der Zwecklosigkeit seiner Klage, "was nützt es, wenn ich wieder
und immer wieder jammernd rufe: Furchtbarer Eros!" Verzweifelt greift der
Gequälte zum Becher, denn Bacchus Gabe schläfert die Glut der zehrenden
Liebe ein. Doch wieder erwacht er aus dem Rausche, Eros steht vor ihm und
lacht ihn aus und wird bei des Dichters Liebesklage nur noch kräftiger und ge¬
sünder. Hat er doch schon als kleiner Knabe um die Seele des Armen gewürfelt.


Sage, Kypris, wie kommts, daß aus blauen Wogen du einstens
steigend aus feuchtem Naß Feuer gebarest so heiß?

Wir erkennen schon aus diesen Klängen deutlich die Auffassung vom Eros
in dieser Zeit: der Gott wird rein persönlich aufgefaßt, und zwar nicht mehr
als der Ephebe, sondern als der liebe, lose Knabe, das mutwillige Kind, vor
dem man sich nicht genug in acht nehmen kann, als der tändelnde Genius des
Liebesspiels, der in hellenistischer Zeit immer mehr zum Putto wird.

So ist der Schelm davongeflogen, wie einen entlaufnen Sklaven ruft er
ihn öffentlich aus:


Hört, ich rufe ihn aus, den ivilden Eros, denn eben
Hurtig aus seinem Bett flog er am Morgen davon.
Und süß weinet der Knabe, schwatzt immer, ist schnell, kennt die Furcht nicht,
Rümpfet die Nase und lacht, Köcher und Flügel sind sein.
Nichts vom Vater weiß ich, denn Meer und Himmel und Erde
Stark verwahren sie sich, Eltern des Frechen zu sein.
Nirgends ist er beliebt, es haßt ihn ein jeder -- doch sehet,
Ob er den Seelen nicht schon wieder geleget ein Netz.
Siehe, wahrhaftig, da steckt er in? Winkel, ich merkte es deutlich,
Schütze, daß du dich bargst in der Zenophila Blick!

In seiner Verzweiflung kommt der gequälte Dichter auf den Gedanken,
den Schelm zu verkaufen, ein niedliches Motiv, das auch die hellenistische
Malerei mit Glück durchgeführt hat, so in dem süßen pompejanischen Bildchen
"Erotenverkauf" oder in dem "Erotennestchen".


Nein, er werde verkauft, schläft er auch im Schoße der Mutter,
Wozu soll ich denn noch füttern das grausige Tier?
Stumpfnäschen trägt er und Flügel und kratzt mit den spitzigen Nägeln,
Weint und schluchzt und dazu lacht er mit neckischen Mund,
Kehrt sich an nichts, schwatzt immer, blickt scharf und durchdringend ins Weite,
Nicht der Mutter einmal folget der Wildfang und lacht.

Meleager von Gadara

Gemmen jener Zeit begegnen, so auf einem Steine aus der Sammlung Ccirlisle
im Britischen Museum, auf dem Eros dem Schmetterling die Fackel hinhält und
scharf beobachtet, wie sich dieser nähert. Die furchtbare Glut treibt den Dichter
zu dem geschmacklose» Gedanken, Eros als Koch zu bezeichnen, der die ver¬
liebte Seele dörrt. Aber auch dieses Motiv findet sich in der Gemmenknnst,
und zwar röstet hier Eros die arme Psyche an einem Bratspieß über einem
Kohlenbecken. Eros ist es eben, der den Dichter so heftig quält: „Furcht¬
barer Eros!" ruft er dem Gott in seiner Verzweiflung zu, aber er selber ist
durchdrungen von der Zwecklosigkeit seiner Klage, „was nützt es, wenn ich wieder
und immer wieder jammernd rufe: Furchtbarer Eros!" Verzweifelt greift der
Gequälte zum Becher, denn Bacchus Gabe schläfert die Glut der zehrenden
Liebe ein. Doch wieder erwacht er aus dem Rausche, Eros steht vor ihm und
lacht ihn aus und wird bei des Dichters Liebesklage nur noch kräftiger und ge¬
sünder. Hat er doch schon als kleiner Knabe um die Seele des Armen gewürfelt.


Sage, Kypris, wie kommts, daß aus blauen Wogen du einstens
steigend aus feuchtem Naß Feuer gebarest so heiß?

Wir erkennen schon aus diesen Klängen deutlich die Auffassung vom Eros
in dieser Zeit: der Gott wird rein persönlich aufgefaßt, und zwar nicht mehr
als der Ephebe, sondern als der liebe, lose Knabe, das mutwillige Kind, vor
dem man sich nicht genug in acht nehmen kann, als der tändelnde Genius des
Liebesspiels, der in hellenistischer Zeit immer mehr zum Putto wird.

So ist der Schelm davongeflogen, wie einen entlaufnen Sklaven ruft er
ihn öffentlich aus:


Hört, ich rufe ihn aus, den ivilden Eros, denn eben
Hurtig aus seinem Bett flog er am Morgen davon.
Und süß weinet der Knabe, schwatzt immer, ist schnell, kennt die Furcht nicht,
Rümpfet die Nase und lacht, Köcher und Flügel sind sein.
Nichts vom Vater weiß ich, denn Meer und Himmel und Erde
Stark verwahren sie sich, Eltern des Frechen zu sein.
Nirgends ist er beliebt, es haßt ihn ein jeder — doch sehet,
Ob er den Seelen nicht schon wieder geleget ein Netz.
Siehe, wahrhaftig, da steckt er in? Winkel, ich merkte es deutlich,
Schütze, daß du dich bargst in der Zenophila Blick!

In seiner Verzweiflung kommt der gequälte Dichter auf den Gedanken,
den Schelm zu verkaufen, ein niedliches Motiv, das auch die hellenistische
Malerei mit Glück durchgeführt hat, so in dem süßen pompejanischen Bildchen
„Erotenverkauf" oder in dem „Erotennestchen".


Nein, er werde verkauft, schläft er auch im Schoße der Mutter,
Wozu soll ich denn noch füttern das grausige Tier?
Stumpfnäschen trägt er und Flügel und kratzt mit den spitzigen Nägeln,
Weint und schluchzt und dazu lacht er mit neckischen Mund,
Kehrt sich an nichts, schwatzt immer, blickt scharf und durchdringend ins Weite,
Nicht der Mutter einmal folget der Wildfang und lacht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314535"/>
          <fw type="header" place="top"> Meleager von Gadara</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> Gemmen jener Zeit begegnen, so auf einem Steine aus der Sammlung Ccirlisle<lb/>
im Britischen Museum, auf dem Eros dem Schmetterling die Fackel hinhält und<lb/>
scharf beobachtet, wie sich dieser nähert. Die furchtbare Glut treibt den Dichter<lb/>
zu dem geschmacklose» Gedanken, Eros als Koch zu bezeichnen, der die ver¬<lb/>
liebte Seele dörrt. Aber auch dieses Motiv findet sich in der Gemmenknnst,<lb/>
und zwar röstet hier Eros die arme Psyche an einem Bratspieß über einem<lb/>
Kohlenbecken. Eros ist es eben, der den Dichter so heftig quält: &#x201E;Furcht¬<lb/>
barer Eros!" ruft er dem Gott in seiner Verzweiflung zu, aber er selber ist<lb/>
durchdrungen von der Zwecklosigkeit seiner Klage, &#x201E;was nützt es, wenn ich wieder<lb/>
und immer wieder jammernd rufe: Furchtbarer Eros!" Verzweifelt greift der<lb/>
Gequälte zum Becher, denn Bacchus Gabe schläfert die Glut der zehrenden<lb/>
Liebe ein. Doch wieder erwacht er aus dem Rausche, Eros steht vor ihm und<lb/>
lacht ihn aus und wird bei des Dichters Liebesklage nur noch kräftiger und ge¬<lb/>
sünder. Hat er doch schon als kleiner Knabe um die Seele des Armen gewürfelt.</p><lb/>
          <quote> Sage, Kypris, wie kommts, daß aus blauen Wogen du einstens<lb/>
steigend aus feuchtem Naß Feuer gebarest so heiß?</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_936"> Wir erkennen schon aus diesen Klängen deutlich die Auffassung vom Eros<lb/>
in dieser Zeit: der Gott wird rein persönlich aufgefaßt, und zwar nicht mehr<lb/>
als der Ephebe, sondern als der liebe, lose Knabe, das mutwillige Kind, vor<lb/>
dem man sich nicht genug in acht nehmen kann, als der tändelnde Genius des<lb/>
Liebesspiels, der in hellenistischer Zeit immer mehr zum Putto wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937"> So ist der Schelm davongeflogen, wie einen entlaufnen Sklaven ruft er<lb/>
ihn öffentlich aus:</p><lb/>
          <quote> Hört, ich rufe ihn aus, den ivilden Eros, denn eben<lb/>
Hurtig aus seinem Bett flog er am Morgen davon.<lb/>
Und süß weinet der Knabe, schwatzt immer, ist schnell, kennt die Furcht nicht,<lb/>
Rümpfet die Nase und lacht, Köcher und Flügel sind sein.<lb/>
Nichts vom Vater weiß ich, denn Meer und Himmel und Erde<lb/>
Stark verwahren sie sich, Eltern des Frechen zu sein.<lb/>
Nirgends ist er beliebt, es haßt ihn ein jeder &#x2014; doch sehet,<lb/>
Ob er den Seelen nicht schon wieder geleget ein Netz.<lb/>
Siehe, wahrhaftig, da steckt er in? Winkel, ich merkte es deutlich,<lb/>
Schütze, daß du dich bargst in der Zenophila Blick!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_938"> In seiner Verzweiflung kommt der gequälte Dichter auf den Gedanken,<lb/>
den Schelm zu verkaufen, ein niedliches Motiv, das auch die hellenistische<lb/>
Malerei mit Glück durchgeführt hat, so in dem süßen pompejanischen Bildchen<lb/>
&#x201E;Erotenverkauf" oder in dem &#x201E;Erotennestchen".</p><lb/>
          <quote> Nein, er werde verkauft, schläft er auch im Schoße der Mutter,<lb/>
Wozu soll ich denn noch füttern das grausige Tier?<lb/>
Stumpfnäschen trägt er und Flügel und kratzt mit den spitzigen Nägeln,<lb/>
Weint und schluchzt und dazu lacht er mit neckischen Mund,<lb/>
Kehrt sich an nichts, schwatzt immer, blickt scharf und durchdringend ins Weite,<lb/>
Nicht der Mutter einmal folget der Wildfang und lacht.</quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Meleager von Gadara Gemmen jener Zeit begegnen, so auf einem Steine aus der Sammlung Ccirlisle im Britischen Museum, auf dem Eros dem Schmetterling die Fackel hinhält und scharf beobachtet, wie sich dieser nähert. Die furchtbare Glut treibt den Dichter zu dem geschmacklose» Gedanken, Eros als Koch zu bezeichnen, der die ver¬ liebte Seele dörrt. Aber auch dieses Motiv findet sich in der Gemmenknnst, und zwar röstet hier Eros die arme Psyche an einem Bratspieß über einem Kohlenbecken. Eros ist es eben, der den Dichter so heftig quält: „Furcht¬ barer Eros!" ruft er dem Gott in seiner Verzweiflung zu, aber er selber ist durchdrungen von der Zwecklosigkeit seiner Klage, „was nützt es, wenn ich wieder und immer wieder jammernd rufe: Furchtbarer Eros!" Verzweifelt greift der Gequälte zum Becher, denn Bacchus Gabe schläfert die Glut der zehrenden Liebe ein. Doch wieder erwacht er aus dem Rausche, Eros steht vor ihm und lacht ihn aus und wird bei des Dichters Liebesklage nur noch kräftiger und ge¬ sünder. Hat er doch schon als kleiner Knabe um die Seele des Armen gewürfelt. Sage, Kypris, wie kommts, daß aus blauen Wogen du einstens steigend aus feuchtem Naß Feuer gebarest so heiß? Wir erkennen schon aus diesen Klängen deutlich die Auffassung vom Eros in dieser Zeit: der Gott wird rein persönlich aufgefaßt, und zwar nicht mehr als der Ephebe, sondern als der liebe, lose Knabe, das mutwillige Kind, vor dem man sich nicht genug in acht nehmen kann, als der tändelnde Genius des Liebesspiels, der in hellenistischer Zeit immer mehr zum Putto wird. So ist der Schelm davongeflogen, wie einen entlaufnen Sklaven ruft er ihn öffentlich aus: Hört, ich rufe ihn aus, den ivilden Eros, denn eben Hurtig aus seinem Bett flog er am Morgen davon. Und süß weinet der Knabe, schwatzt immer, ist schnell, kennt die Furcht nicht, Rümpfet die Nase und lacht, Köcher und Flügel sind sein. Nichts vom Vater weiß ich, denn Meer und Himmel und Erde Stark verwahren sie sich, Eltern des Frechen zu sein. Nirgends ist er beliebt, es haßt ihn ein jeder — doch sehet, Ob er den Seelen nicht schon wieder geleget ein Netz. Siehe, wahrhaftig, da steckt er in? Winkel, ich merkte es deutlich, Schütze, daß du dich bargst in der Zenophila Blick! In seiner Verzweiflung kommt der gequälte Dichter auf den Gedanken, den Schelm zu verkaufen, ein niedliches Motiv, das auch die hellenistische Malerei mit Glück durchgeführt hat, so in dem süßen pompejanischen Bildchen „Erotenverkauf" oder in dem „Erotennestchen". Nein, er werde verkauft, schläft er auch im Schoße der Mutter, Wozu soll ich denn noch füttern das grausige Tier? Stumpfnäschen trägt er und Flügel und kratzt mit den spitzigen Nägeln, Weint und schluchzt und dazu lacht er mit neckischen Mund, Kehrt sich an nichts, schwatzt immer, blickt scharf und durchdringend ins Weite, Nicht der Mutter einmal folget der Wildfang und lacht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/188>, abgerufen am 24.07.2024.