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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

gedichte und Grabepigramme. Das sind überhaupt die Stosse, in denen sich
die Dichter der Anthologie ergehn, keine weltbewegenden Probleme werden
aufgestellt, keine sittlich religiösen, keine politischen oder philosophischen Fragen
werden erörtert, sondern liebenswürdige kleine Spielereien echt hellenistischer
Kleinkunst bieten uns ein paar frohe Stunden, "sind Veilchen in des Jahres
Jugend, sind Erstlinge der Natur, früh und nicht dauernd, süß, aber bald
dahin, der Duft, die Blüte von wenigen Minuten", etwa wie wir die pompe-
janischen Wandgemälde des letzten Stils immer freudig als Erquickung für
unser Auge begrüßen.

So wird die Tatsache, daß der schwere Wein mit Wasser gemischt werden
muß, vom Dichter in anmutiges Gewand gekleidet: Dionysos hält gute
Freundschaft mit den Nymphen. Haben sie ihn doch schon als kleinen Knaben
in kühler Grotte gewaschen, als der feuerversehrte sich in der Asche wälzte.
Darum gilt die Freundschaft auch jetzt noch: sperre den Weingott ein und
laß ihn nicht mit Naß benetzen, so wirst du schon seine brennende Glut
merken. Überhaupt steht der Dichter als Liebesdichter nächst Eros in nächster
Beziehung zu Dionysos, dem Gott, der selber im Feuer geboren wurde,
freilich hat der arme Geprellte Grund, sich über den schwatzhaften Gott zu
beklagen, der selbst in seinen Mysterien Diskretion verlangt, aber die Ge¬
heimnisse des Dichters preisgibt, die uralte Weisheit vom Wein, der des
Menschen Zunge löst. Die eigentliche Art des Epigramms -- Aufschrift, Weihe¬
inschrift findet sich seltner. Einmal hat er der Aphrodite, seiner speziellen Huld¬
göttin, eine Lampe zum Andenken der nächtlichen Freuden aufgehängt:


Siehe die Lampe, die Freundin, bringt dir Meleager als Gabe,
Die ihn geweihet zuerst ein in die Feier der Nacht.

Ein andresmal läßt er den Ares empört seiner Wild darüber Ausdruck
geben, daß glänzende Zierwaffen an seinem Tempel befestigt sind: unzerbrochne
Speere und unblutige Waffen ziemen dem Kriegsgotte nicht, diese Theater¬
waffen mögen Chören zum Schmucke dienen oder einem Brautgemache, für
Ares taugen sie nicht.

Charakteristisch für die alexandrinisch-römische Zeit sind Epigramme auf
Tiere aller Art.

Man hatte auch an der Kreatur Gefallen gefunden und sich liebevoll
besonders zierlicher und dem Menschen nahestehender Tierchen angenommen-
Auch diese Dichtungsgattung hatte in der Kunst ihre Parallele gefunden:
man betrachte im Vatikan die Laka äeZIi aniinM, und man wird staunen
über das Tierstudium der damaligen Zeit. Zwar ist die Sitte, Hunden und
Pferden metrische Grabschriften zu widmen, alt, aber in späterer Zeit hält es
der Dichter auch nicht unter seiner Würde, auch harmlose kleinere Tiere im
Liede zu feiern, wie uns auch Inschriften auf Stein zeigen. Unser Dichter
besingt das Lieblingshüschen einer Dame, das dem grausamen Tode der


Meleager von Gadara

gedichte und Grabepigramme. Das sind überhaupt die Stosse, in denen sich
die Dichter der Anthologie ergehn, keine weltbewegenden Probleme werden
aufgestellt, keine sittlich religiösen, keine politischen oder philosophischen Fragen
werden erörtert, sondern liebenswürdige kleine Spielereien echt hellenistischer
Kleinkunst bieten uns ein paar frohe Stunden, „sind Veilchen in des Jahres
Jugend, sind Erstlinge der Natur, früh und nicht dauernd, süß, aber bald
dahin, der Duft, die Blüte von wenigen Minuten", etwa wie wir die pompe-
janischen Wandgemälde des letzten Stils immer freudig als Erquickung für
unser Auge begrüßen.

So wird die Tatsache, daß der schwere Wein mit Wasser gemischt werden
muß, vom Dichter in anmutiges Gewand gekleidet: Dionysos hält gute
Freundschaft mit den Nymphen. Haben sie ihn doch schon als kleinen Knaben
in kühler Grotte gewaschen, als der feuerversehrte sich in der Asche wälzte.
Darum gilt die Freundschaft auch jetzt noch: sperre den Weingott ein und
laß ihn nicht mit Naß benetzen, so wirst du schon seine brennende Glut
merken. Überhaupt steht der Dichter als Liebesdichter nächst Eros in nächster
Beziehung zu Dionysos, dem Gott, der selber im Feuer geboren wurde,
freilich hat der arme Geprellte Grund, sich über den schwatzhaften Gott zu
beklagen, der selbst in seinen Mysterien Diskretion verlangt, aber die Ge¬
heimnisse des Dichters preisgibt, die uralte Weisheit vom Wein, der des
Menschen Zunge löst. Die eigentliche Art des Epigramms — Aufschrift, Weihe¬
inschrift findet sich seltner. Einmal hat er der Aphrodite, seiner speziellen Huld¬
göttin, eine Lampe zum Andenken der nächtlichen Freuden aufgehängt:


Siehe die Lampe, die Freundin, bringt dir Meleager als Gabe,
Die ihn geweihet zuerst ein in die Feier der Nacht.

Ein andresmal läßt er den Ares empört seiner Wild darüber Ausdruck
geben, daß glänzende Zierwaffen an seinem Tempel befestigt sind: unzerbrochne
Speere und unblutige Waffen ziemen dem Kriegsgotte nicht, diese Theater¬
waffen mögen Chören zum Schmucke dienen oder einem Brautgemache, für
Ares taugen sie nicht.

Charakteristisch für die alexandrinisch-römische Zeit sind Epigramme auf
Tiere aller Art.

Man hatte auch an der Kreatur Gefallen gefunden und sich liebevoll
besonders zierlicher und dem Menschen nahestehender Tierchen angenommen-
Auch diese Dichtungsgattung hatte in der Kunst ihre Parallele gefunden:
man betrachte im Vatikan die Laka äeZIi aniinM, und man wird staunen
über das Tierstudium der damaligen Zeit. Zwar ist die Sitte, Hunden und
Pferden metrische Grabschriften zu widmen, alt, aber in späterer Zeit hält es
der Dichter auch nicht unter seiner Würde, auch harmlose kleinere Tiere im
Liede zu feiern, wie uns auch Inschriften auf Stein zeigen. Unser Dichter
besingt das Lieblingshüschen einer Dame, das dem grausamen Tode der


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[0186] Meleager von Gadara gedichte und Grabepigramme. Das sind überhaupt die Stosse, in denen sich die Dichter der Anthologie ergehn, keine weltbewegenden Probleme werden aufgestellt, keine sittlich religiösen, keine politischen oder philosophischen Fragen werden erörtert, sondern liebenswürdige kleine Spielereien echt hellenistischer Kleinkunst bieten uns ein paar frohe Stunden, „sind Veilchen in des Jahres Jugend, sind Erstlinge der Natur, früh und nicht dauernd, süß, aber bald dahin, der Duft, die Blüte von wenigen Minuten", etwa wie wir die pompe- janischen Wandgemälde des letzten Stils immer freudig als Erquickung für unser Auge begrüßen. So wird die Tatsache, daß der schwere Wein mit Wasser gemischt werden muß, vom Dichter in anmutiges Gewand gekleidet: Dionysos hält gute Freundschaft mit den Nymphen. Haben sie ihn doch schon als kleinen Knaben in kühler Grotte gewaschen, als der feuerversehrte sich in der Asche wälzte. Darum gilt die Freundschaft auch jetzt noch: sperre den Weingott ein und laß ihn nicht mit Naß benetzen, so wirst du schon seine brennende Glut merken. Überhaupt steht der Dichter als Liebesdichter nächst Eros in nächster Beziehung zu Dionysos, dem Gott, der selber im Feuer geboren wurde, freilich hat der arme Geprellte Grund, sich über den schwatzhaften Gott zu beklagen, der selbst in seinen Mysterien Diskretion verlangt, aber die Ge¬ heimnisse des Dichters preisgibt, die uralte Weisheit vom Wein, der des Menschen Zunge löst. Die eigentliche Art des Epigramms — Aufschrift, Weihe¬ inschrift findet sich seltner. Einmal hat er der Aphrodite, seiner speziellen Huld¬ göttin, eine Lampe zum Andenken der nächtlichen Freuden aufgehängt: Siehe die Lampe, die Freundin, bringt dir Meleager als Gabe, Die ihn geweihet zuerst ein in die Feier der Nacht. Ein andresmal läßt er den Ares empört seiner Wild darüber Ausdruck geben, daß glänzende Zierwaffen an seinem Tempel befestigt sind: unzerbrochne Speere und unblutige Waffen ziemen dem Kriegsgotte nicht, diese Theater¬ waffen mögen Chören zum Schmucke dienen oder einem Brautgemache, für Ares taugen sie nicht. Charakteristisch für die alexandrinisch-römische Zeit sind Epigramme auf Tiere aller Art. Man hatte auch an der Kreatur Gefallen gefunden und sich liebevoll besonders zierlicher und dem Menschen nahestehender Tierchen angenommen- Auch diese Dichtungsgattung hatte in der Kunst ihre Parallele gefunden: man betrachte im Vatikan die Laka äeZIi aniinM, und man wird staunen über das Tierstudium der damaligen Zeit. Zwar ist die Sitte, Hunden und Pferden metrische Grabschriften zu widmen, alt, aber in späterer Zeit hält es der Dichter auch nicht unter seiner Würde, auch harmlose kleinere Tiere im Liede zu feiern, wie uns auch Inschriften auf Stein zeigen. Unser Dichter besingt das Lieblingshüschen einer Dame, das dem grausamen Tode der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/186>, abgerufen am 24.07.2024.