Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Meleager von Gadara

herrscht noch das Vorurteil, daß nur die klassische Zeit bedeutende Dichter
hervorgebracht habe. Dein ist aber nicht so, eine Fülle von Poesie finden
wir, wenn wir in die Gedichtsammlung schauen, die unter dem Namen der
Palatinischen Anthologie bekannt ist, deren Blüten schon in, Altertum zum
duftigen Kranze gewunden waren. Ein Dichter namens Meleager, der etwa
um 80 v. Chr. lebte, sammelte solche Gedichtchen, und das war der Anfang
dieser Sammlungen, der darauf die Anthologien des Philippus. des Agathias
(zur Zeit Justinians), des Constantinus Kephalas (etwa im zehnten Jahr¬
hundert n. Chr.) und im vierzehnten Jahrhundert des Plcmudes folgten, indem
der eine Sammler den andern exzerpierte. Aber jener erste fleißige Sammler
war auch selber Dichter und flocht seine eignen Blüten in den Kranz griechischer
Blumen, deren Duft wir jetzt genießen wollen.*)

Über die Hauptpunkte seines Lebens erfahren wir aus zwei Epigrammen
nähere Kunde: als Greis hat sich der Dichter selbst einige Grabschriften ge¬
schaffen, in denen er kurz seines Lebensganges gedenkt. Als Sohn des
Eukrates erblickte er in Gadara in Syrien das Licht der Welt, wo eine feine
Bildung herrschte, weshalb es auch nach Strabons Bericht das syrische Attika
genannt wurde. Freilich war Syrien auch durch seine Balletteusen Und
Damen der freien Liebe berühmt, und eine fröhliche Sinnlichkeit, die sich mit
musikalischer Begabung paarte, war den Bewohnern des Landes von der
Natur verliehen.

Dort mag er seine ersten rhetorischen Studien getrieben haben; die
Eleganz und Politur seiner Verse laßt dies noch deutlich erkennen. Aber
was tut es, daß er ein Syrer ist, er tröstet sich mit dem kosmopolitischen
Gedanken, daß wir alle ein Vaterland, die Welt, bewohnen. Dann ging es
nach der blühenden Fabrikstadt Tyros, schließlich im hohen Alter nach Kos,
wo ihm das Bürgerrecht verliehen wurde. Hier verlebte er den Nest seines
Lebens; die herrliche Lage der Insel mag dem alternden Dichter gut getan
haben. Stolz spricht er von seinen poetischen Früchten: unter der Musen
gnädigem Beistand hat er zuerst den Menippus nachgeahmt, jenen Meister
der ergötzlichen Stilmischung von Prosa und Vers, der ja auch aus Gadara
stammte, aber von dieser Stilart des Meleager ist außer ein paar Titeln
nichts geblieben, drum wollen wir uns an den Nachlaß des Dichters halten.
Dem bitter-süß lächelnden Eros weihte er sich, ihm und den freundlichen
Charitinnen verdankte er seine Erzeugnisse. Nun ist er gefeiert bei jenen
drei Völkern, in deren Bereich er gelebt, und jeder grüßt ihn in seiner
Sprache, der Syrer mit "Salam", der Phöniker mit "Audonis" und der Grieche
mit seinem "Chaire".

Bei der Besprechung seiner Gedichte mögen uns fünf Gruppen leiten: Epi¬
gramme auf Götter und Heroen, Dedikationen, Versehen auf Tiere, Liebes-



1 Ausführliches findet der Leser in den Abhandlungen von Nadinger und von Ermatingcr.
Grenzboten IV 1L0S 28
Meleager von Gadara

herrscht noch das Vorurteil, daß nur die klassische Zeit bedeutende Dichter
hervorgebracht habe. Dein ist aber nicht so, eine Fülle von Poesie finden
wir, wenn wir in die Gedichtsammlung schauen, die unter dem Namen der
Palatinischen Anthologie bekannt ist, deren Blüten schon in, Altertum zum
duftigen Kranze gewunden waren. Ein Dichter namens Meleager, der etwa
um 80 v. Chr. lebte, sammelte solche Gedichtchen, und das war der Anfang
dieser Sammlungen, der darauf die Anthologien des Philippus. des Agathias
(zur Zeit Justinians), des Constantinus Kephalas (etwa im zehnten Jahr¬
hundert n. Chr.) und im vierzehnten Jahrhundert des Plcmudes folgten, indem
der eine Sammler den andern exzerpierte. Aber jener erste fleißige Sammler
war auch selber Dichter und flocht seine eignen Blüten in den Kranz griechischer
Blumen, deren Duft wir jetzt genießen wollen.*)

Über die Hauptpunkte seines Lebens erfahren wir aus zwei Epigrammen
nähere Kunde: als Greis hat sich der Dichter selbst einige Grabschriften ge¬
schaffen, in denen er kurz seines Lebensganges gedenkt. Als Sohn des
Eukrates erblickte er in Gadara in Syrien das Licht der Welt, wo eine feine
Bildung herrschte, weshalb es auch nach Strabons Bericht das syrische Attika
genannt wurde. Freilich war Syrien auch durch seine Balletteusen Und
Damen der freien Liebe berühmt, und eine fröhliche Sinnlichkeit, die sich mit
musikalischer Begabung paarte, war den Bewohnern des Landes von der
Natur verliehen.

Dort mag er seine ersten rhetorischen Studien getrieben haben; die
Eleganz und Politur seiner Verse laßt dies noch deutlich erkennen. Aber
was tut es, daß er ein Syrer ist, er tröstet sich mit dem kosmopolitischen
Gedanken, daß wir alle ein Vaterland, die Welt, bewohnen. Dann ging es
nach der blühenden Fabrikstadt Tyros, schließlich im hohen Alter nach Kos,
wo ihm das Bürgerrecht verliehen wurde. Hier verlebte er den Nest seines
Lebens; die herrliche Lage der Insel mag dem alternden Dichter gut getan
haben. Stolz spricht er von seinen poetischen Früchten: unter der Musen
gnädigem Beistand hat er zuerst den Menippus nachgeahmt, jenen Meister
der ergötzlichen Stilmischung von Prosa und Vers, der ja auch aus Gadara
stammte, aber von dieser Stilart des Meleager ist außer ein paar Titeln
nichts geblieben, drum wollen wir uns an den Nachlaß des Dichters halten.
Dem bitter-süß lächelnden Eros weihte er sich, ihm und den freundlichen
Charitinnen verdankte er seine Erzeugnisse. Nun ist er gefeiert bei jenen
drei Völkern, in deren Bereich er gelebt, und jeder grüßt ihn in seiner
Sprache, der Syrer mit „Salam", der Phöniker mit „Audonis" und der Grieche
mit seinem „Chaire".

Bei der Besprechung seiner Gedichte mögen uns fünf Gruppen leiten: Epi¬
gramme auf Götter und Heroen, Dedikationen, Versehen auf Tiere, Liebes-



1 Ausführliches findet der Leser in den Abhandlungen von Nadinger und von Ermatingcr.
Grenzboten IV 1L0S 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314532"/>
          <fw type="header" place="top"> Meleager von Gadara</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_922" prev="#ID_921"> herrscht noch das Vorurteil, daß nur die klassische Zeit bedeutende Dichter<lb/>
hervorgebracht habe. Dein ist aber nicht so, eine Fülle von Poesie finden<lb/>
wir, wenn wir in die Gedichtsammlung schauen, die unter dem Namen der<lb/>
Palatinischen Anthologie bekannt ist, deren Blüten schon in, Altertum zum<lb/>
duftigen Kranze gewunden waren. Ein Dichter namens Meleager, der etwa<lb/>
um 80 v. Chr. lebte, sammelte solche Gedichtchen, und das war der Anfang<lb/>
dieser Sammlungen, der darauf die Anthologien des Philippus. des Agathias<lb/>
(zur Zeit Justinians), des Constantinus Kephalas (etwa im zehnten Jahr¬<lb/>
hundert n. Chr.) und im vierzehnten Jahrhundert des Plcmudes folgten, indem<lb/>
der eine Sammler den andern exzerpierte. Aber jener erste fleißige Sammler<lb/>
war auch selber Dichter und flocht seine eignen Blüten in den Kranz griechischer<lb/>
Blumen, deren Duft wir jetzt genießen wollen.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_923"> Über die Hauptpunkte seines Lebens erfahren wir aus zwei Epigrammen<lb/>
nähere Kunde: als Greis hat sich der Dichter selbst einige Grabschriften ge¬<lb/>
schaffen, in denen er kurz seines Lebensganges gedenkt. Als Sohn des<lb/>
Eukrates erblickte er in Gadara in Syrien das Licht der Welt, wo eine feine<lb/>
Bildung herrschte, weshalb es auch nach Strabons Bericht das syrische Attika<lb/>
genannt wurde. Freilich war Syrien auch durch seine Balletteusen Und<lb/>
Damen der freien Liebe berühmt, und eine fröhliche Sinnlichkeit, die sich mit<lb/>
musikalischer Begabung paarte, war den Bewohnern des Landes von der<lb/>
Natur verliehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_924"> Dort mag er seine ersten rhetorischen Studien getrieben haben; die<lb/>
Eleganz und Politur seiner Verse laßt dies noch deutlich erkennen. Aber<lb/>
was tut es, daß er ein Syrer ist, er tröstet sich mit dem kosmopolitischen<lb/>
Gedanken, daß wir alle ein Vaterland, die Welt, bewohnen.  Dann ging es<lb/>
nach der blühenden Fabrikstadt Tyros, schließlich im hohen Alter nach Kos,<lb/>
wo ihm das Bürgerrecht verliehen wurde. Hier verlebte er den Nest seines<lb/>
Lebens; die herrliche Lage der Insel mag dem alternden Dichter gut getan<lb/>
haben. Stolz spricht er von seinen poetischen Früchten: unter der Musen<lb/>
gnädigem Beistand hat er zuerst den Menippus nachgeahmt, jenen Meister<lb/>
der ergötzlichen Stilmischung von Prosa und Vers, der ja auch aus Gadara<lb/>
stammte, aber von dieser Stilart des Meleager ist außer ein paar Titeln<lb/>
nichts geblieben, drum wollen wir uns an den Nachlaß des Dichters halten.<lb/>
Dem bitter-süß lächelnden Eros weihte er sich, ihm und den freundlichen<lb/>
Charitinnen verdankte er seine Erzeugnisse. Nun ist er gefeiert bei jenen<lb/>
drei Völkern, in deren Bereich er gelebt, und jeder grüßt ihn in seiner<lb/>
Sprache, der Syrer mit &#x201E;Salam", der Phöniker mit &#x201E;Audonis" und der Grieche<lb/>
mit seinem &#x201E;Chaire".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925" next="#ID_926"> Bei der Besprechung seiner Gedichte mögen uns fünf Gruppen leiten: Epi¬<lb/>
gramme auf Götter und Heroen, Dedikationen, Versehen auf Tiere, Liebes-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_21" place="foot"> 1 Ausführliches findet der Leser in den Abhandlungen von Nadinger und von Ermatingcr.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1L0S 28</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Meleager von Gadara herrscht noch das Vorurteil, daß nur die klassische Zeit bedeutende Dichter hervorgebracht habe. Dein ist aber nicht so, eine Fülle von Poesie finden wir, wenn wir in die Gedichtsammlung schauen, die unter dem Namen der Palatinischen Anthologie bekannt ist, deren Blüten schon in, Altertum zum duftigen Kranze gewunden waren. Ein Dichter namens Meleager, der etwa um 80 v. Chr. lebte, sammelte solche Gedichtchen, und das war der Anfang dieser Sammlungen, der darauf die Anthologien des Philippus. des Agathias (zur Zeit Justinians), des Constantinus Kephalas (etwa im zehnten Jahr¬ hundert n. Chr.) und im vierzehnten Jahrhundert des Plcmudes folgten, indem der eine Sammler den andern exzerpierte. Aber jener erste fleißige Sammler war auch selber Dichter und flocht seine eignen Blüten in den Kranz griechischer Blumen, deren Duft wir jetzt genießen wollen.*) Über die Hauptpunkte seines Lebens erfahren wir aus zwei Epigrammen nähere Kunde: als Greis hat sich der Dichter selbst einige Grabschriften ge¬ schaffen, in denen er kurz seines Lebensganges gedenkt. Als Sohn des Eukrates erblickte er in Gadara in Syrien das Licht der Welt, wo eine feine Bildung herrschte, weshalb es auch nach Strabons Bericht das syrische Attika genannt wurde. Freilich war Syrien auch durch seine Balletteusen Und Damen der freien Liebe berühmt, und eine fröhliche Sinnlichkeit, die sich mit musikalischer Begabung paarte, war den Bewohnern des Landes von der Natur verliehen. Dort mag er seine ersten rhetorischen Studien getrieben haben; die Eleganz und Politur seiner Verse laßt dies noch deutlich erkennen. Aber was tut es, daß er ein Syrer ist, er tröstet sich mit dem kosmopolitischen Gedanken, daß wir alle ein Vaterland, die Welt, bewohnen. Dann ging es nach der blühenden Fabrikstadt Tyros, schließlich im hohen Alter nach Kos, wo ihm das Bürgerrecht verliehen wurde. Hier verlebte er den Nest seines Lebens; die herrliche Lage der Insel mag dem alternden Dichter gut getan haben. Stolz spricht er von seinen poetischen Früchten: unter der Musen gnädigem Beistand hat er zuerst den Menippus nachgeahmt, jenen Meister der ergötzlichen Stilmischung von Prosa und Vers, der ja auch aus Gadara stammte, aber von dieser Stilart des Meleager ist außer ein paar Titeln nichts geblieben, drum wollen wir uns an den Nachlaß des Dichters halten. Dem bitter-süß lächelnden Eros weihte er sich, ihm und den freundlichen Charitinnen verdankte er seine Erzeugnisse. Nun ist er gefeiert bei jenen drei Völkern, in deren Bereich er gelebt, und jeder grüßt ihn in seiner Sprache, der Syrer mit „Salam", der Phöniker mit „Audonis" und der Grieche mit seinem „Chaire". Bei der Besprechung seiner Gedichte mögen uns fünf Gruppen leiten: Epi¬ gramme auf Götter und Heroen, Dedikationen, Versehen auf Tiere, Liebes- 1 Ausführliches findet der Leser in den Abhandlungen von Nadinger und von Ermatingcr. Grenzboten IV 1L0S 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/185>, abgerufen am 24.07.2024.