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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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des Stifts und den Domherren in der Richtung nach Polen, und der leiden¬
schaftliche Wenzel gab in seiner Wut das Sandstift und das Vinzenzkloster auf
dem Elbing sowie die benachbarten Güter der Domgeistlichkeit seinen Soldaten
zur Plünderung preis. Diese schleppten alles fort, was nicht niet- und nagel¬
fest war, und eine Pöbelbande half ihnen. Andern Tags wurde auf den Plätzen
der Stadt der Raub versteigert: dreihundert Schafe gingen, nach heutigem Gelde
gerechnet, um 30, ein Ochs um 7 Mark weg. Dem wilden jungen König
machte der Raubzug so viel Vergnügen, daß er einen zweiten, noch ärgern
veranstaltete. Er ritt seinen Scharen voran und gab ihnen den Bischofhof und
die Domherrnkurien preis, wo sie nicht bloß raubten sondern auch alles kurz
und klein schlugen und in den gefundnen Speise- und Weinvorrätcn Bacchanalien
feierten, an denen Wenzel als Triumphator teilnahm. Der Papst über, Urban
der Sechste, der den König brauchte, ordnete strenge Untersuchung der Exzesse
an, nicht etwa der Exzesse des Königs und seiner Soldaten, sondern der Dom¬
geistlichkeit. Den Bierkrieg entschied der Böhme vorläufig und bis auf weiteres
dahin, daß die Domgeistlichkeit zwar Bier, und zwar auch Schweidnitzer, solle
ausschenken dürfen, aber nur an Bewohner des Dombezirks; den Stadtbürgern
wurde bei strenger Strafe verboten, Bier auf dem Dome zu trinken oder von
dort zu holen.

Dieser Bierkrieg ist natürlich weder der einzige kirchcnpolitische noch der
einzige gewcrbepolitische Zwist des mittelalterlichen Breslau gewesen. Gewerbe¬
fragen haben immer ihre soziale und politische Seite, und in den mittelalter¬
lichen Stadtrepubliken machten sie geradezu den Inhalt des politischen Lebens
aus, denn die Verfassung beruhte ja auf der berufstündischen Gliederung. Die
Verfassungskämpfe dieser Kleinstaaten sind uns weniger bekannt als die in den
italienischen Städten. Weiß sieht sich wiederholt veranlaßt, Klage darüber zu
führen, daß kein Stadtschreiber es der Mühe wert gefunden habe, über Vorgänge
zu berichten, die, ihren Wirkungen nach zu urteilen, von entscheidender Bedeutung
gewesen sein müssen. So viel scheint gewiß zu sein, daß die innerpolitische Ent¬
wicklung Breslaus im großen und ganzen ungefähr umgekehrt verlaufen ist wie
die von Florenz. Hier wurde die Verfassung unter unaufhörlichen Kämpfen zwei¬
hundert Jahre lang immer demokratischer, bis sich endlich, im Jahre 1378, sogar
die Lohnarbeiter der Wollenzünfte Anteil an der Negierung erkämpften, und der
dadurch unvermeidlich gewordne Umschlag dann ziemlich rasch durch die Oligarchie
zur Monarchie führte. In Breslau hat sich, wie in Lübeck und den andern
mächtigen Seestädten, trotz Zunftaufständen und zeitweilig erkämpfter Teilnahme
der Zünfte an der Negierung, das Patriziat behauptet, befestigt und zu einer
oligarchischen Geschlechterherrschaft verengt, die noch fortdauerte, als die Stadt
ihre Unabhängigkeit verloren hatte und Provinzialhauptstadt in einer Monarchie
geworden war. Von einer Mitherrschaft der Lohnarbeiter konnte keine Rede sein,
weil sich hier die Textilgewerbe, in denen allerdings der Großbetrieb keimartig
angelegt war, nicht schon im Mittelalter, wie in Florenz, dazu entwickelt haben,


Breslau

des Stifts und den Domherren in der Richtung nach Polen, und der leiden¬
schaftliche Wenzel gab in seiner Wut das Sandstift und das Vinzenzkloster auf
dem Elbing sowie die benachbarten Güter der Domgeistlichkeit seinen Soldaten
zur Plünderung preis. Diese schleppten alles fort, was nicht niet- und nagel¬
fest war, und eine Pöbelbande half ihnen. Andern Tags wurde auf den Plätzen
der Stadt der Raub versteigert: dreihundert Schafe gingen, nach heutigem Gelde
gerechnet, um 30, ein Ochs um 7 Mark weg. Dem wilden jungen König
machte der Raubzug so viel Vergnügen, daß er einen zweiten, noch ärgern
veranstaltete. Er ritt seinen Scharen voran und gab ihnen den Bischofhof und
die Domherrnkurien preis, wo sie nicht bloß raubten sondern auch alles kurz
und klein schlugen und in den gefundnen Speise- und Weinvorrätcn Bacchanalien
feierten, an denen Wenzel als Triumphator teilnahm. Der Papst über, Urban
der Sechste, der den König brauchte, ordnete strenge Untersuchung der Exzesse
an, nicht etwa der Exzesse des Königs und seiner Soldaten, sondern der Dom¬
geistlichkeit. Den Bierkrieg entschied der Böhme vorläufig und bis auf weiteres
dahin, daß die Domgeistlichkeit zwar Bier, und zwar auch Schweidnitzer, solle
ausschenken dürfen, aber nur an Bewohner des Dombezirks; den Stadtbürgern
wurde bei strenger Strafe verboten, Bier auf dem Dome zu trinken oder von
dort zu holen.

Dieser Bierkrieg ist natürlich weder der einzige kirchcnpolitische noch der
einzige gewcrbepolitische Zwist des mittelalterlichen Breslau gewesen. Gewerbe¬
fragen haben immer ihre soziale und politische Seite, und in den mittelalter¬
lichen Stadtrepubliken machten sie geradezu den Inhalt des politischen Lebens
aus, denn die Verfassung beruhte ja auf der berufstündischen Gliederung. Die
Verfassungskämpfe dieser Kleinstaaten sind uns weniger bekannt als die in den
italienischen Städten. Weiß sieht sich wiederholt veranlaßt, Klage darüber zu
führen, daß kein Stadtschreiber es der Mühe wert gefunden habe, über Vorgänge
zu berichten, die, ihren Wirkungen nach zu urteilen, von entscheidender Bedeutung
gewesen sein müssen. So viel scheint gewiß zu sein, daß die innerpolitische Ent¬
wicklung Breslaus im großen und ganzen ungefähr umgekehrt verlaufen ist wie
die von Florenz. Hier wurde die Verfassung unter unaufhörlichen Kämpfen zwei¬
hundert Jahre lang immer demokratischer, bis sich endlich, im Jahre 1378, sogar
die Lohnarbeiter der Wollenzünfte Anteil an der Negierung erkämpften, und der
dadurch unvermeidlich gewordne Umschlag dann ziemlich rasch durch die Oligarchie
zur Monarchie führte. In Breslau hat sich, wie in Lübeck und den andern
mächtigen Seestädten, trotz Zunftaufständen und zeitweilig erkämpfter Teilnahme
der Zünfte an der Negierung, das Patriziat behauptet, befestigt und zu einer
oligarchischen Geschlechterherrschaft verengt, die noch fortdauerte, als die Stadt
ihre Unabhängigkeit verloren hatte und Provinzialhauptstadt in einer Monarchie
geworden war. Von einer Mitherrschaft der Lohnarbeiter konnte keine Rede sein,
weil sich hier die Textilgewerbe, in denen allerdings der Großbetrieb keimartig
angelegt war, nicht schon im Mittelalter, wie in Florenz, dazu entwickelt haben,


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[0183] Breslau des Stifts und den Domherren in der Richtung nach Polen, und der leiden¬ schaftliche Wenzel gab in seiner Wut das Sandstift und das Vinzenzkloster auf dem Elbing sowie die benachbarten Güter der Domgeistlichkeit seinen Soldaten zur Plünderung preis. Diese schleppten alles fort, was nicht niet- und nagel¬ fest war, und eine Pöbelbande half ihnen. Andern Tags wurde auf den Plätzen der Stadt der Raub versteigert: dreihundert Schafe gingen, nach heutigem Gelde gerechnet, um 30, ein Ochs um 7 Mark weg. Dem wilden jungen König machte der Raubzug so viel Vergnügen, daß er einen zweiten, noch ärgern veranstaltete. Er ritt seinen Scharen voran und gab ihnen den Bischofhof und die Domherrnkurien preis, wo sie nicht bloß raubten sondern auch alles kurz und klein schlugen und in den gefundnen Speise- und Weinvorrätcn Bacchanalien feierten, an denen Wenzel als Triumphator teilnahm. Der Papst über, Urban der Sechste, der den König brauchte, ordnete strenge Untersuchung der Exzesse an, nicht etwa der Exzesse des Königs und seiner Soldaten, sondern der Dom¬ geistlichkeit. Den Bierkrieg entschied der Böhme vorläufig und bis auf weiteres dahin, daß die Domgeistlichkeit zwar Bier, und zwar auch Schweidnitzer, solle ausschenken dürfen, aber nur an Bewohner des Dombezirks; den Stadtbürgern wurde bei strenger Strafe verboten, Bier auf dem Dome zu trinken oder von dort zu holen. Dieser Bierkrieg ist natürlich weder der einzige kirchcnpolitische noch der einzige gewcrbepolitische Zwist des mittelalterlichen Breslau gewesen. Gewerbe¬ fragen haben immer ihre soziale und politische Seite, und in den mittelalter¬ lichen Stadtrepubliken machten sie geradezu den Inhalt des politischen Lebens aus, denn die Verfassung beruhte ja auf der berufstündischen Gliederung. Die Verfassungskämpfe dieser Kleinstaaten sind uns weniger bekannt als die in den italienischen Städten. Weiß sieht sich wiederholt veranlaßt, Klage darüber zu führen, daß kein Stadtschreiber es der Mühe wert gefunden habe, über Vorgänge zu berichten, die, ihren Wirkungen nach zu urteilen, von entscheidender Bedeutung gewesen sein müssen. So viel scheint gewiß zu sein, daß die innerpolitische Ent¬ wicklung Breslaus im großen und ganzen ungefähr umgekehrt verlaufen ist wie die von Florenz. Hier wurde die Verfassung unter unaufhörlichen Kämpfen zwei¬ hundert Jahre lang immer demokratischer, bis sich endlich, im Jahre 1378, sogar die Lohnarbeiter der Wollenzünfte Anteil an der Negierung erkämpften, und der dadurch unvermeidlich gewordne Umschlag dann ziemlich rasch durch die Oligarchie zur Monarchie führte. In Breslau hat sich, wie in Lübeck und den andern mächtigen Seestädten, trotz Zunftaufständen und zeitweilig erkämpfter Teilnahme der Zünfte an der Negierung, das Patriziat behauptet, befestigt und zu einer oligarchischen Geschlechterherrschaft verengt, die noch fortdauerte, als die Stadt ihre Unabhängigkeit verloren hatte und Provinzialhauptstadt in einer Monarchie geworden war. Von einer Mitherrschaft der Lohnarbeiter konnte keine Rede sein, weil sich hier die Textilgewerbe, in denen allerdings der Großbetrieb keimartig angelegt war, nicht schon im Mittelalter, wie in Florenz, dazu entwickelt haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/183>, abgerufen am 24.07.2024.