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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

zeichnende Gewährsmann, heißen sie Schweidnitzer Kellerwürstchen. Wenn nach
einigen tausend Jahren die Züchtung des höhern Menschen vollendet sein wird,
und wenn dann die unter Erdschichten liegenden Schriftwerke des Komo sapiens
ausgegraben werden, kann es passieren, daß dieser beim höhern Menschen in
sehr Übeln Ruf gerät. Ein Zufall könnte es fügen, daß zuerst und allein
Berichte über die "Liebesgabe", die Brausteuer und das Tabakmonvpol und
Nachrichten über mittelalterliche Bierkriege gefunden würden und unserm Ge¬
schlecht die Benennung Korno vsläs insixiens eintrugen, weil seine heiligsten
Güter Bier, Schnaps und Tabak gewesen seien. Die letzten beiden sind ja erst
Errungenschaften neuerer Kultur, aber das Bier war schon im Mittelalter
Gegenstand lebhaftesten Interesses. Was ist der Dreißigjährige Krieg, was der
achtzigjährige Befreiungskampf der Niederländer gegen den Breslauer Bierkrieg!
Fünfhundert Jahre hat dieser gedauert und ist keineswegs bloß mit Wort und
Schrift geführt worden wie der heutige Streit um Konsumsteuern und um deren
spekulative Verwertung. Es handelte sich dabei der Hauptsache nach um folgendes.
Der Rat nahm für sich das Monopol des Ausschanks von Schweidnitzer Bier,
und die Kretschmerzunft das Privileg des sonstigen Bierausschanks in Breslau
und innerhalb der Bannmeile in Anspruch. Das zweite Privileg wurde von
der Brau- und Schankgerechtigkeit zweier Klöster, des Sandstifts auf der Sand¬
insel und des Stifts auf dem Elbing nördlich vom Dome durchbrochen, und
auch die Domgeistlichkeit ließ Bier brauen und durch ihre "Vikare" ausschenken,
ohne das Recht dazu nachweisen zu können. Das hätte sich nun vielleicht der
Rat gefallen lassen, auch daß die Domherrn ihren Trunk direkt aus Schweidnitz
statt aus dem Ratskeller bezogen. Aber sie schenkten auch Schweidnitzer Schöps
aus, und zwar, wie es scheint, wohlfeiler als der Rat, denn viele Bürger,
deuen das einheimische Bier "zu grob" und der Ratskeller zu teuer war, stillten
ihren Durst in den Domschenken, was die Einkünfte der Stadt schmälerte. Der
Rat beschloß nun, einmal ein Exempel zu statuieren, und leitete damit eine sehr
schlimme Episode des langwierigen Krieges ein. Gegen Weihnachten des
Jahres 1380 schickte der Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem
Dompropst Heinrich, einige Fässer Schweidnitzer Bier als Christgeschenk. Der
Fuhrmann bat zwar vorsichtigerweise den Rat um die Erlaubnis, das Bier
durch die Stadt auf den Dom fahren zu dürfen, der Rat aber ließ es konfiszieren,
worauf das Kapitel die Stadt mit dem Interdikt belegte. Das lastete -- nicht
sehr schwer, denn die Miuoritenmönche reichten jedem so viel Seelenspeise, als
er wünschte -- bis in den Sommer 1381 auf der Stadt. Im Juni kam König
Wenzel und suchte zu vermitteln. Die Domgeistlichkeit jedoch (der gerade neu
gewählte Bischof war nicht anwesend) und der Abt des Sandstifts, an den sich
der König ebenfalls gewandt hatte, wiesen seine Bitte, ihm zu Ehren das
Interdikt aufzuheben, in beleidigender Weise zurück, und der erzürnte Wenzel
ließ den Abt samt sechsen seiner Klosterbrüder einsperren. Statt dadurch nach¬
giebig zu werden, entflohen die wieder Freigelassenen samt den übrigen Insassen


Breslau

zeichnende Gewährsmann, heißen sie Schweidnitzer Kellerwürstchen. Wenn nach
einigen tausend Jahren die Züchtung des höhern Menschen vollendet sein wird,
und wenn dann die unter Erdschichten liegenden Schriftwerke des Komo sapiens
ausgegraben werden, kann es passieren, daß dieser beim höhern Menschen in
sehr Übeln Ruf gerät. Ein Zufall könnte es fügen, daß zuerst und allein
Berichte über die „Liebesgabe", die Brausteuer und das Tabakmonvpol und
Nachrichten über mittelalterliche Bierkriege gefunden würden und unserm Ge¬
schlecht die Benennung Korno vsläs insixiens eintrugen, weil seine heiligsten
Güter Bier, Schnaps und Tabak gewesen seien. Die letzten beiden sind ja erst
Errungenschaften neuerer Kultur, aber das Bier war schon im Mittelalter
Gegenstand lebhaftesten Interesses. Was ist der Dreißigjährige Krieg, was der
achtzigjährige Befreiungskampf der Niederländer gegen den Breslauer Bierkrieg!
Fünfhundert Jahre hat dieser gedauert und ist keineswegs bloß mit Wort und
Schrift geführt worden wie der heutige Streit um Konsumsteuern und um deren
spekulative Verwertung. Es handelte sich dabei der Hauptsache nach um folgendes.
Der Rat nahm für sich das Monopol des Ausschanks von Schweidnitzer Bier,
und die Kretschmerzunft das Privileg des sonstigen Bierausschanks in Breslau
und innerhalb der Bannmeile in Anspruch. Das zweite Privileg wurde von
der Brau- und Schankgerechtigkeit zweier Klöster, des Sandstifts auf der Sand¬
insel und des Stifts auf dem Elbing nördlich vom Dome durchbrochen, und
auch die Domgeistlichkeit ließ Bier brauen und durch ihre „Vikare" ausschenken,
ohne das Recht dazu nachweisen zu können. Das hätte sich nun vielleicht der
Rat gefallen lassen, auch daß die Domherrn ihren Trunk direkt aus Schweidnitz
statt aus dem Ratskeller bezogen. Aber sie schenkten auch Schweidnitzer Schöps
aus, und zwar, wie es scheint, wohlfeiler als der Rat, denn viele Bürger,
deuen das einheimische Bier „zu grob" und der Ratskeller zu teuer war, stillten
ihren Durst in den Domschenken, was die Einkünfte der Stadt schmälerte. Der
Rat beschloß nun, einmal ein Exempel zu statuieren, und leitete damit eine sehr
schlimme Episode des langwierigen Krieges ein. Gegen Weihnachten des
Jahres 1380 schickte der Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem
Dompropst Heinrich, einige Fässer Schweidnitzer Bier als Christgeschenk. Der
Fuhrmann bat zwar vorsichtigerweise den Rat um die Erlaubnis, das Bier
durch die Stadt auf den Dom fahren zu dürfen, der Rat aber ließ es konfiszieren,
worauf das Kapitel die Stadt mit dem Interdikt belegte. Das lastete — nicht
sehr schwer, denn die Miuoritenmönche reichten jedem so viel Seelenspeise, als
er wünschte — bis in den Sommer 1381 auf der Stadt. Im Juni kam König
Wenzel und suchte zu vermitteln. Die Domgeistlichkeit jedoch (der gerade neu
gewählte Bischof war nicht anwesend) und der Abt des Sandstifts, an den sich
der König ebenfalls gewandt hatte, wiesen seine Bitte, ihm zu Ehren das
Interdikt aufzuheben, in beleidigender Weise zurück, und der erzürnte Wenzel
ließ den Abt samt sechsen seiner Klosterbrüder einsperren. Statt dadurch nach¬
giebig zu werden, entflohen die wieder Freigelassenen samt den übrigen Insassen


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[0182] Breslau zeichnende Gewährsmann, heißen sie Schweidnitzer Kellerwürstchen. Wenn nach einigen tausend Jahren die Züchtung des höhern Menschen vollendet sein wird, und wenn dann die unter Erdschichten liegenden Schriftwerke des Komo sapiens ausgegraben werden, kann es passieren, daß dieser beim höhern Menschen in sehr Übeln Ruf gerät. Ein Zufall könnte es fügen, daß zuerst und allein Berichte über die „Liebesgabe", die Brausteuer und das Tabakmonvpol und Nachrichten über mittelalterliche Bierkriege gefunden würden und unserm Ge¬ schlecht die Benennung Korno vsläs insixiens eintrugen, weil seine heiligsten Güter Bier, Schnaps und Tabak gewesen seien. Die letzten beiden sind ja erst Errungenschaften neuerer Kultur, aber das Bier war schon im Mittelalter Gegenstand lebhaftesten Interesses. Was ist der Dreißigjährige Krieg, was der achtzigjährige Befreiungskampf der Niederländer gegen den Breslauer Bierkrieg! Fünfhundert Jahre hat dieser gedauert und ist keineswegs bloß mit Wort und Schrift geführt worden wie der heutige Streit um Konsumsteuern und um deren spekulative Verwertung. Es handelte sich dabei der Hauptsache nach um folgendes. Der Rat nahm für sich das Monopol des Ausschanks von Schweidnitzer Bier, und die Kretschmerzunft das Privileg des sonstigen Bierausschanks in Breslau und innerhalb der Bannmeile in Anspruch. Das zweite Privileg wurde von der Brau- und Schankgerechtigkeit zweier Klöster, des Sandstifts auf der Sand¬ insel und des Stifts auf dem Elbing nördlich vom Dome durchbrochen, und auch die Domgeistlichkeit ließ Bier brauen und durch ihre „Vikare" ausschenken, ohne das Recht dazu nachweisen zu können. Das hätte sich nun vielleicht der Rat gefallen lassen, auch daß die Domherrn ihren Trunk direkt aus Schweidnitz statt aus dem Ratskeller bezogen. Aber sie schenkten auch Schweidnitzer Schöps aus, und zwar, wie es scheint, wohlfeiler als der Rat, denn viele Bürger, deuen das einheimische Bier „zu grob" und der Ratskeller zu teuer war, stillten ihren Durst in den Domschenken, was die Einkünfte der Stadt schmälerte. Der Rat beschloß nun, einmal ein Exempel zu statuieren, und leitete damit eine sehr schlimme Episode des langwierigen Krieges ein. Gegen Weihnachten des Jahres 1380 schickte der Herzog Ruprecht von Liegnitz seinem Bruder, dem Dompropst Heinrich, einige Fässer Schweidnitzer Bier als Christgeschenk. Der Fuhrmann bat zwar vorsichtigerweise den Rat um die Erlaubnis, das Bier durch die Stadt auf den Dom fahren zu dürfen, der Rat aber ließ es konfiszieren, worauf das Kapitel die Stadt mit dem Interdikt belegte. Das lastete — nicht sehr schwer, denn die Miuoritenmönche reichten jedem so viel Seelenspeise, als er wünschte — bis in den Sommer 1381 auf der Stadt. Im Juni kam König Wenzel und suchte zu vermitteln. Die Domgeistlichkeit jedoch (der gerade neu gewählte Bischof war nicht anwesend) und der Abt des Sandstifts, an den sich der König ebenfalls gewandt hatte, wiesen seine Bitte, ihm zu Ehren das Interdikt aufzuheben, in beleidigender Weise zurück, und der erzürnte Wenzel ließ den Abt samt sechsen seiner Klosterbrüder einsperren. Statt dadurch nach¬ giebig zu werden, entflohen die wieder Freigelassenen samt den übrigen Insassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/182>, abgerufen am 24.07.2024.