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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Aufgabe

nur gewinnen, wenn einer Organisation, wie dem Zentrum, eine solche ent¬
gegengestellt wird, die alle mittelalterlichen Tendenzen im Volke bekämpft.
Aber nicht nur die Durchführung dieser Aufgabe ist es, die uns die links¬
liberale Einigung begrüßen läßt. Die Einigung zeigt auch, wie weit das
politische Verständnis in den himmelstürmenden Kreisen an festem Boden ge¬
wonnen hat. Die Einigung zeigt die Fähigkeit zur Teilnahme an der Leitung
des Staates, von der der Freisinn noch vielfach absehen mußte. Die Einigung
wird es möglich machen, daß die extremen Forderungen einzelner Stürmer
durch sachliche Erörterung lebensfähig gemacht werden zum Heile des Ganzen.
Viele gute und gesunde Ideen der Linksliberalen konnten bisher nicht anders
als hemmend auf die politische Entwicklung wirken, weil sie nicht an die be¬
stehenden realen Verhältnisse anknüpften, sondern diese übersahen. Nach der
Einigung der Linkslibcralen wird das politische Leben zweifellos an Stetigkeit
gewinnen, die politischen Auseinandersetzungen in der Presse werden sachlicher
sein, und der Liberalismus wird im Bewußtsein seines guten Könnens in Ruhe
auf dem Wege praktischer Arbeit voranschreiten, auf dem ein Zusammengehen
mit den Konservativen nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist/

Freilich wäre es traurig, wenn die linksliberale Einigung das einzige Er¬
gebnis der letzten Krisis bleiben sollte. Gewiß bieten Hansabund und Bauern¬
bund ein gewisses Gegengewicht gegen allzu liberales Vorwärtsstürmen. Aber
diese beiden Organisationen verfolgen doch in erster Linie wirtschaftliche Zwecke
und bilden somit eine Fortsetzung der materialistischen Entwicklung, wie es der
Bund der Landwirte ist, und der unter anderm die konservative Partei unter¬
legen ist. Das Ziel der modernen politischen Parteibildungen muß
es sein, daß neben dem Materialismus auch der Idealismus zu
Worte komme. Steht bei den Linksliberalen der Einzelmensch als Objekt
der Gesetzgebung an der ersten Stelle, so steht bei uns die Nation an dieser
Stelle. Die Nation, die nicht allein umfassen will das evangelische Deutsch¬
tum, sondern die Nation, die gebildet wird aus allen Angehörigen des Deutschen
Reiches, ohne Rücksicht auf ihre Stammeszugehörigkeit und ihren Glauben.
Hier ist die Aufgabe, die die Idealisten aus dem konservativen und liberalen
Lager einigt. Hier ist der Boden, auf dem konservative und liberale Männer
Hand in Hand schreiten können. Mögen die wirtschaftlichen Interessen
von den entsprechenden Organisationen vertreten werden, aber
mögen sie untergeordnet sein dem ideellen Streben für die Wohl¬
fahrt und die Größe des Vaterlandes.


G. Li.


Unsre Aufgabe

nur gewinnen, wenn einer Organisation, wie dem Zentrum, eine solche ent¬
gegengestellt wird, die alle mittelalterlichen Tendenzen im Volke bekämpft.
Aber nicht nur die Durchführung dieser Aufgabe ist es, die uns die links¬
liberale Einigung begrüßen läßt. Die Einigung zeigt auch, wie weit das
politische Verständnis in den himmelstürmenden Kreisen an festem Boden ge¬
wonnen hat. Die Einigung zeigt die Fähigkeit zur Teilnahme an der Leitung
des Staates, von der der Freisinn noch vielfach absehen mußte. Die Einigung
wird es möglich machen, daß die extremen Forderungen einzelner Stürmer
durch sachliche Erörterung lebensfähig gemacht werden zum Heile des Ganzen.
Viele gute und gesunde Ideen der Linksliberalen konnten bisher nicht anders
als hemmend auf die politische Entwicklung wirken, weil sie nicht an die be¬
stehenden realen Verhältnisse anknüpften, sondern diese übersahen. Nach der
Einigung der Linkslibcralen wird das politische Leben zweifellos an Stetigkeit
gewinnen, die politischen Auseinandersetzungen in der Presse werden sachlicher
sein, und der Liberalismus wird im Bewußtsein seines guten Könnens in Ruhe
auf dem Wege praktischer Arbeit voranschreiten, auf dem ein Zusammengehen
mit den Konservativen nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist/

Freilich wäre es traurig, wenn die linksliberale Einigung das einzige Er¬
gebnis der letzten Krisis bleiben sollte. Gewiß bieten Hansabund und Bauern¬
bund ein gewisses Gegengewicht gegen allzu liberales Vorwärtsstürmen. Aber
diese beiden Organisationen verfolgen doch in erster Linie wirtschaftliche Zwecke
und bilden somit eine Fortsetzung der materialistischen Entwicklung, wie es der
Bund der Landwirte ist, und der unter anderm die konservative Partei unter¬
legen ist. Das Ziel der modernen politischen Parteibildungen muß
es sein, daß neben dem Materialismus auch der Idealismus zu
Worte komme. Steht bei den Linksliberalen der Einzelmensch als Objekt
der Gesetzgebung an der ersten Stelle, so steht bei uns die Nation an dieser
Stelle. Die Nation, die nicht allein umfassen will das evangelische Deutsch¬
tum, sondern die Nation, die gebildet wird aus allen Angehörigen des Deutschen
Reiches, ohne Rücksicht auf ihre Stammeszugehörigkeit und ihren Glauben.
Hier ist die Aufgabe, die die Idealisten aus dem konservativen und liberalen
Lager einigt. Hier ist der Boden, auf dem konservative und liberale Männer
Hand in Hand schreiten können. Mögen die wirtschaftlichen Interessen
von den entsprechenden Organisationen vertreten werden, aber
mögen sie untergeordnet sein dem ideellen Streben für die Wohl¬
fahrt und die Größe des Vaterlandes.


G. Li.


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[0013] Unsre Aufgabe nur gewinnen, wenn einer Organisation, wie dem Zentrum, eine solche ent¬ gegengestellt wird, die alle mittelalterlichen Tendenzen im Volke bekämpft. Aber nicht nur die Durchführung dieser Aufgabe ist es, die uns die links¬ liberale Einigung begrüßen läßt. Die Einigung zeigt auch, wie weit das politische Verständnis in den himmelstürmenden Kreisen an festem Boden ge¬ wonnen hat. Die Einigung zeigt die Fähigkeit zur Teilnahme an der Leitung des Staates, von der der Freisinn noch vielfach absehen mußte. Die Einigung wird es möglich machen, daß die extremen Forderungen einzelner Stürmer durch sachliche Erörterung lebensfähig gemacht werden zum Heile des Ganzen. Viele gute und gesunde Ideen der Linksliberalen konnten bisher nicht anders als hemmend auf die politische Entwicklung wirken, weil sie nicht an die be¬ stehenden realen Verhältnisse anknüpften, sondern diese übersahen. Nach der Einigung der Linkslibcralen wird das politische Leben zweifellos an Stetigkeit gewinnen, die politischen Auseinandersetzungen in der Presse werden sachlicher sein, und der Liberalismus wird im Bewußtsein seines guten Könnens in Ruhe auf dem Wege praktischer Arbeit voranschreiten, auf dem ein Zusammengehen mit den Konservativen nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist/ Freilich wäre es traurig, wenn die linksliberale Einigung das einzige Er¬ gebnis der letzten Krisis bleiben sollte. Gewiß bieten Hansabund und Bauern¬ bund ein gewisses Gegengewicht gegen allzu liberales Vorwärtsstürmen. Aber diese beiden Organisationen verfolgen doch in erster Linie wirtschaftliche Zwecke und bilden somit eine Fortsetzung der materialistischen Entwicklung, wie es der Bund der Landwirte ist, und der unter anderm die konservative Partei unter¬ legen ist. Das Ziel der modernen politischen Parteibildungen muß es sein, daß neben dem Materialismus auch der Idealismus zu Worte komme. Steht bei den Linksliberalen der Einzelmensch als Objekt der Gesetzgebung an der ersten Stelle, so steht bei uns die Nation an dieser Stelle. Die Nation, die nicht allein umfassen will das evangelische Deutsch¬ tum, sondern die Nation, die gebildet wird aus allen Angehörigen des Deutschen Reiches, ohne Rücksicht auf ihre Stammeszugehörigkeit und ihren Glauben. Hier ist die Aufgabe, die die Idealisten aus dem konservativen und liberalen Lager einigt. Hier ist der Boden, auf dem konservative und liberale Männer Hand in Hand schreiten können. Mögen die wirtschaftlichen Interessen von den entsprechenden Organisationen vertreten werden, aber mögen sie untergeordnet sein dem ideellen Streben für die Wohl¬ fahrt und die Größe des Vaterlandes. G. Li.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/13>, abgerufen am 05.07.2024.