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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gsimarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Iournaliste"

fortkommen und sogar gut vorwärts kommen können, hat die Erfahrung ge¬
lehrt, aber ein Schlaraffenland ist der Boden der königlich preußischen An-
siedlungskommission deshalb doch nicht: sonst würde sie trotz alledem und trotz
der zum Teil recht teuern Ankaufspreise und trotz ihres großen Verwaltungs-
cipparats nicht immerhin noch eine Rente von mehr als 2 Prozent aus ihren
Millionen herauswirtschaften, also fast soviel als ein süddeutscher Staat aus
seinen Eisenbahnen.

Sehr interessant war mir auf der Fahrt, die streckenweise immer wieder
durch polnischen Besitz ging, die auffallende Verschiedenheit in bezug auf die
Wasserverhältnisse. Während sich auf polnischem Grund vielfach saure Wiesen
und die für das schwachgeneigte Diluviallaud so charakteristischen, länglichen
Pfützen und Teiche breit machten, hat die Ansiedlungskommission ihr Werk
fast überall mit Entwässerungsanlagen begonnen. 50000 Hektar Ackerland
(den siebenten Teil ihres Landes, das ja zu zwei Drittel schon vorher in gut
wirtschaftender deutscher Hand gewesen war) hat sie entwässert, 4000 Hektar
durch Moorkultur und Wiesenmelioration erst nutzbar gemacht. Dazu waren über
100 Millionen Drainröhren und ein Gesamtaufwand von mehr als 10 Millionen
Mark nötig, wahrlich eine Leistung, die allein schon den stolzen Titel der dem
preußischen Abgeordnetenhaus vorgelegte" Denkschrift "Zwanzig Jahre deutscher
Kulturarbeit" rechtfertigt. Aber es bleibt noch eine Herkulesarbeit übrig, ehe
der Verein für den Natnrdenkmalschutz der Kommission in den Arm fallen muß,
um die letzten der oft so malerisch mit Fichten umstandncn "solle" oder "Pfühle",
um den Brutplatz der Wasservögel und die feuchten Beete der stolzen Iris, um
das letzte der Landschaftsbilder, die die fliehende Eiszeit geschaffen hat, vor
der alles gleichmachenden Kultur und dem Finanztiger zu retten.

Das Mittagessen nahmen wir in Kletzko, einem jener alten Ackerstüdtcheu,
die baulich und wirtschaftlich ein Anhängsel ihrer großen Marktplatze sind, und
die, wie Kletzko, neben ihren dürftigen Häusern oft eine überraschend stattliche
Kirche aufweisen.

Im Laufe des Nachmittags kamen wir in das Ende der achtziger Jahre
besiedelte Dorf Bismarcksfelde. Bismarcksfelde ist eine der wenigen Ansiedlungen,
in denen die Zahl der Polen nicht zurückgeht. Während fünf Jahre nach der
Besiedlung neben 232 Deutschen 133 Polen dort wohnten, waren es nach
weitern zehn Jahren nur noch 222 Deutsche, aber 141 Polen. Dies kommt
daher, daß hier bei der Aufteilung des alten Guts aus einem vollen Drittel
eine sogenannte "Neststelle" mit über 200 Hektar gebildet wurde, ein Gut, das,
wie alle großen Güter im Ansiedlungsgebiet, zu seiner Bewirtschaftung heute
noch so gut wie bei seiner Auslegung unbedingt polnische Arbeiter braucht.
Abgesehn davon, daß in solchen Gemeinden mit Reststellen die Gehöfte der An¬
siedler durch den großen Block des Restguts verzettelt sind, und daß dadurch das
Zusammenwachsen der Gemeinde erschwert wird, ist deren deutsche Entwicklung
dnrch die große Zahl der fremdnationalen Mitbewohner fast gefährdet. Noch


von der Gsimarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Iournaliste»

fortkommen und sogar gut vorwärts kommen können, hat die Erfahrung ge¬
lehrt, aber ein Schlaraffenland ist der Boden der königlich preußischen An-
siedlungskommission deshalb doch nicht: sonst würde sie trotz alledem und trotz
der zum Teil recht teuern Ankaufspreise und trotz ihres großen Verwaltungs-
cipparats nicht immerhin noch eine Rente von mehr als 2 Prozent aus ihren
Millionen herauswirtschaften, also fast soviel als ein süddeutscher Staat aus
seinen Eisenbahnen.

Sehr interessant war mir auf der Fahrt, die streckenweise immer wieder
durch polnischen Besitz ging, die auffallende Verschiedenheit in bezug auf die
Wasserverhältnisse. Während sich auf polnischem Grund vielfach saure Wiesen
und die für das schwachgeneigte Diluviallaud so charakteristischen, länglichen
Pfützen und Teiche breit machten, hat die Ansiedlungskommission ihr Werk
fast überall mit Entwässerungsanlagen begonnen. 50000 Hektar Ackerland
(den siebenten Teil ihres Landes, das ja zu zwei Drittel schon vorher in gut
wirtschaftender deutscher Hand gewesen war) hat sie entwässert, 4000 Hektar
durch Moorkultur und Wiesenmelioration erst nutzbar gemacht. Dazu waren über
100 Millionen Drainröhren und ein Gesamtaufwand von mehr als 10 Millionen
Mark nötig, wahrlich eine Leistung, die allein schon den stolzen Titel der dem
preußischen Abgeordnetenhaus vorgelegte» Denkschrift „Zwanzig Jahre deutscher
Kulturarbeit" rechtfertigt. Aber es bleibt noch eine Herkulesarbeit übrig, ehe
der Verein für den Natnrdenkmalschutz der Kommission in den Arm fallen muß,
um die letzten der oft so malerisch mit Fichten umstandncn „solle" oder „Pfühle",
um den Brutplatz der Wasservögel und die feuchten Beete der stolzen Iris, um
das letzte der Landschaftsbilder, die die fliehende Eiszeit geschaffen hat, vor
der alles gleichmachenden Kultur und dem Finanztiger zu retten.

Das Mittagessen nahmen wir in Kletzko, einem jener alten Ackerstüdtcheu,
die baulich und wirtschaftlich ein Anhängsel ihrer großen Marktplatze sind, und
die, wie Kletzko, neben ihren dürftigen Häusern oft eine überraschend stattliche
Kirche aufweisen.

Im Laufe des Nachmittags kamen wir in das Ende der achtziger Jahre
besiedelte Dorf Bismarcksfelde. Bismarcksfelde ist eine der wenigen Ansiedlungen,
in denen die Zahl der Polen nicht zurückgeht. Während fünf Jahre nach der
Besiedlung neben 232 Deutschen 133 Polen dort wohnten, waren es nach
weitern zehn Jahren nur noch 222 Deutsche, aber 141 Polen. Dies kommt
daher, daß hier bei der Aufteilung des alten Guts aus einem vollen Drittel
eine sogenannte „Neststelle" mit über 200 Hektar gebildet wurde, ein Gut, das,
wie alle großen Güter im Ansiedlungsgebiet, zu seiner Bewirtschaftung heute
noch so gut wie bei seiner Auslegung unbedingt polnische Arbeiter braucht.
Abgesehn davon, daß in solchen Gemeinden mit Reststellen die Gehöfte der An¬
siedler durch den großen Block des Restguts verzettelt sind, und daß dadurch das
Zusammenwachsen der Gemeinde erschwert wird, ist deren deutsche Entwicklung
dnrch die große Zahl der fremdnationalen Mitbewohner fast gefährdet. Noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/120>, abgerufen am 24.07.2024.