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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Für den bodengeizigen Schwaben wären selbst die prachtvollen Eichen um die
Höfe Niedersachsens "Unkraut". Was die Gehöftanlagen selbst anlangt, so
fanden wir, da die Scheune fast überall vollständig frei steht, eigentlich doch
nur wenige Haupttypen.

^ Entweder waren auch Haus und Stall ganz getrennt, und die drei Gebäude
waren auf drei Seiten eines viereckigen Hofes verteilt, oder es waren Hans und
Stall zusammengebaut. Auch in diesem Falle war die Vereinigung vielfach keine
enge, sondern nur durch die kleine Futterküche wie durch einen kurzen Gang
hergestellt, wobei die beiden Gebäude bald rechtwinklig, bald bajonettförmig
aneinanderstießen. Die Stallungen waren -- nach dem Urteil unsrer landwirt¬
schaftlichen Sachverständigen -- meist gut angelegt und gehalten. Auch das
Vieh fand Beifall; einmal, angesichts einer Familienszene im Ferkelkoben, ver¬
spürte auch mein Herz atavistisch-agrarische Regungen. Die Wohnhäuser, obgleich
meist nur eingeschossig oder mit einem Kniestock, machten auf mich durchweg
einen gefülligen Eindruck; daß sie in der Regel auch zweckmäßig sind, entspringt
vielleicht dem Zusammenarbeiten von Ansiedler und Techniker. In der weitaus
überwiegenden Mehrzahl der Fälle baut der Ansiedler selbst, bestimmt den
Bauplan usw. Die Baumeister der Kommission stehen ihm aber auf Wunsch
mit ihrem Rat zur Seite und suchen dann vor allem ein für die vorhandnen
Mittel zu großartiges Bauen zu verhindern. Eine gewisse Bevormundung in
dieser Hinsicht muß sich der Ansiedler dann gefallen lassen, wenn er zum Bau
ein sogenanntes "Ergünzungsdarlehn" von der Kommission braucht, und dies
ist in der Regel der Fall, denn ein Gehöft für eine spannfähige Stelle kostet
7000 bis 10000 Mark zu bauen, während der Ansiedler durchschnittlich nur
5350 Mark hat. Bei der Ausführung des Baues leistet der Staat wieder die
möglichste Hilfe, indem er die Rohmaterialien, namentlich Ziegel und Holz
zu Selbstkostenpreisen liefert und unentgeltlich auf die Baustelle schafft.
Schließlich gewährt der Staat dem Ansiedler noch das erste Saatgut, die
Obstbäume für den Garten, Mundvorrat für Mensch und Vieh bis zur ersten
Ernte und in der Regel drei Jahre Befreiung von der Rentenzahlung.

Wie für den einzelnen, so sorgt der Staat auch für die Gemeinden. Ab¬
gesehn davon, daß er Kirche und Schule, Armenhaus ^) und Spritzenhaus
unentgeltlich zur Verfügung stellt, schenkt er der Gemeinde etwa 5 Prozent des
gesamten ehemaligen Gutsbodens als Grundstock für Wegbauten und sonstige
allgemeine Zwecke, ferner Land als Kirchendotation und endlich "Schulland".
Dieses bildet einen Besoldungsteil des Lehrers und soll ihn -- der vielfach
in der Wohnung des frühern Gutsbesitzers etwas üppig wohnt -- mit der
Landwirtschaft und dadurch mit den Interessen der Gemeinde enger verbinden.
Daß die Ansiedlungen unter dieser Fürsorge für den einzelnen und die Gemeinde



*) Das Armenhaus dient zur Aufnahme der Polen, die die jungen Gemeinden oft in
merkwürdig großer Zahl aus der Zeit der Gutsherrschaft als Ortsarme übernehmen mußten.
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Für den bodengeizigen Schwaben wären selbst die prachtvollen Eichen um die
Höfe Niedersachsens „Unkraut". Was die Gehöftanlagen selbst anlangt, so
fanden wir, da die Scheune fast überall vollständig frei steht, eigentlich doch
nur wenige Haupttypen.

^ Entweder waren auch Haus und Stall ganz getrennt, und die drei Gebäude
waren auf drei Seiten eines viereckigen Hofes verteilt, oder es waren Hans und
Stall zusammengebaut. Auch in diesem Falle war die Vereinigung vielfach keine
enge, sondern nur durch die kleine Futterküche wie durch einen kurzen Gang
hergestellt, wobei die beiden Gebäude bald rechtwinklig, bald bajonettförmig
aneinanderstießen. Die Stallungen waren — nach dem Urteil unsrer landwirt¬
schaftlichen Sachverständigen — meist gut angelegt und gehalten. Auch das
Vieh fand Beifall; einmal, angesichts einer Familienszene im Ferkelkoben, ver¬
spürte auch mein Herz atavistisch-agrarische Regungen. Die Wohnhäuser, obgleich
meist nur eingeschossig oder mit einem Kniestock, machten auf mich durchweg
einen gefülligen Eindruck; daß sie in der Regel auch zweckmäßig sind, entspringt
vielleicht dem Zusammenarbeiten von Ansiedler und Techniker. In der weitaus
überwiegenden Mehrzahl der Fälle baut der Ansiedler selbst, bestimmt den
Bauplan usw. Die Baumeister der Kommission stehen ihm aber auf Wunsch
mit ihrem Rat zur Seite und suchen dann vor allem ein für die vorhandnen
Mittel zu großartiges Bauen zu verhindern. Eine gewisse Bevormundung in
dieser Hinsicht muß sich der Ansiedler dann gefallen lassen, wenn er zum Bau
ein sogenanntes „Ergünzungsdarlehn" von der Kommission braucht, und dies
ist in der Regel der Fall, denn ein Gehöft für eine spannfähige Stelle kostet
7000 bis 10000 Mark zu bauen, während der Ansiedler durchschnittlich nur
5350 Mark hat. Bei der Ausführung des Baues leistet der Staat wieder die
möglichste Hilfe, indem er die Rohmaterialien, namentlich Ziegel und Holz
zu Selbstkostenpreisen liefert und unentgeltlich auf die Baustelle schafft.
Schließlich gewährt der Staat dem Ansiedler noch das erste Saatgut, die
Obstbäume für den Garten, Mundvorrat für Mensch und Vieh bis zur ersten
Ernte und in der Regel drei Jahre Befreiung von der Rentenzahlung.

Wie für den einzelnen, so sorgt der Staat auch für die Gemeinden. Ab¬
gesehn davon, daß er Kirche und Schule, Armenhaus ^) und Spritzenhaus
unentgeltlich zur Verfügung stellt, schenkt er der Gemeinde etwa 5 Prozent des
gesamten ehemaligen Gutsbodens als Grundstock für Wegbauten und sonstige
allgemeine Zwecke, ferner Land als Kirchendotation und endlich „Schulland".
Dieses bildet einen Besoldungsteil des Lehrers und soll ihn — der vielfach
in der Wohnung des frühern Gutsbesitzers etwas üppig wohnt — mit der
Landwirtschaft und dadurch mit den Interessen der Gemeinde enger verbinden.
Daß die Ansiedlungen unter dieser Fürsorge für den einzelnen und die Gemeinde



*) Das Armenhaus dient zur Aufnahme der Polen, die die jungen Gemeinden oft in
merkwürdig großer Zahl aus der Zeit der Gutsherrschaft als Ortsarme übernehmen mußten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/119>, abgerufen am 24.07.2024.