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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zu BiUows Rücktritt

ordnungsmäßig unmöglich wäre. Wo ein Wille vorhanden ist, findet sich
nichts leichter als ein parlamentarischer Weg. Fürst Bülow ist wegen der
parlamentarischen Vorkommnisse gegangen, und ob es gerade notwendig war,
aus diesen Vorgängen die äußersten Folgerungen zu ziehen, darüber zu urteilen
ist er allein zuständig. Die ihn Jahre hindurch wegen seiner "schwächlichen"
äußern und seiner "agrarischen" innern Politik herabgesetzt, die Stimmung ver¬
dorben und die Arbeit nach außen wie nach innen erschwert hatten, haben nun
am meisten zu bedauern, daß er geht. Verlangte es freilich die Lage der äußern
Politik, so würde ihn sein patriotisches Pflichtgefühl unzweifelhaft trotzdem im
Amte erhalten haben. Bei dem Scheitern seiner Pläne im Innern, denen die
Parteipolitiker die Mitwirkung versagten, mag ihn wohl auch die Empfindung
angewandelt haben, der Bismarck in ähnlicher Lage mit den Worten Ausdruck
verlieh: "Ich kann es ebenso gut aushalten wie Sie." In der auswärtigen
Politik stand seine großzügige Diplomatie gerade auf der Höhe des größten Er¬
folges, selbst die, deren wenig beneidenswertes Gewerbe es ist, alles über ihnen
stehende ins Lächerliche zu ziehen, mußten das anerkennen. Als die Ententen¬
politik, die die deutsche Presse mit Vorliebe als "Einkreisungspolitik" mit deut¬
lichen Fingerzeigen auf die Unfähigkeit unsrer Diplomaten bejammerte, auf ihrem
Höhepunkt stand, als sich eine Macht nach der andern anscheinend in den Zauber¬
kreis der Freundlichkeit König Eduards hineinziehen ließ, da pries ihn eine
schmeichlerische und ruhmredige Presse als einen großen Politiker. Dagegen ver¬
mochte nach der in unsern Blättern allgemein zur Schau getragnen Auffassung
natürlich der "ewig lächelnde" Bülow mit seinen angeblichen Zitaten aus Büchmann
nichts auszurichten. O, wie waren wir damals schlecht beraten, und was für
überlegne Diplomaten hatten wir in jeder Nedaktionsstube! Leider waren sie
nicht adlig -- was ja bekanntlich in Deutschland notwendig sein soll --, sonst
wären sie damals alle Gesandte, wenn nicht gar Botschafter geworden. Heute
hat sich der imposante Ententenbau als ein hinfälliges Kartenhaus erwiesen,
ein einfaches Wort aus dem Munde des Leiters der deutschen Politik: Deutsch¬
land steht in jedem Falle zu seinem Verbündeten! hat es zum Zusammenklappen
gebracht, alles fiel platt mit zu Boden. Natürlich hatte das Wort bloß geholfen,
weil es nicht im Büchmann stand.

Doch Scherz beiseite! Der Nachlaß Bülows als Ministers des Äußern ist
glänzend; diese Höhe zu wahren, wird jedem Nachfolger wohl eine schwere Auf¬
gabe, aber wenigstens einen leichten Anfang bieten. England wird seiner Ententen¬
spielerei, soweit sie gegen den Dreibund gerichtet ist, schwerlich wieder eine ernste
Spitze geben, um so mehr, da Frankreich sich um britischer Interessen willen
keiner ernsten Gefahr aussetzen und Rußland sein Abkommen mit England bei¬
leibe nicht als gegen Deutschland gerichtet angesehen haben will. Ohne Besorgnis
darf Fürst Bülow vom auswärtigen Dienst zurücktreten, so sehr es auch
das deutsche Volk, bis tief in die Reihen seiner bisherigen Gegner hinein, be¬
trauern wird. Es hat sich schon in den viel größern Verlust des Altreichskanzlers


Zu BiUows Rücktritt

ordnungsmäßig unmöglich wäre. Wo ein Wille vorhanden ist, findet sich
nichts leichter als ein parlamentarischer Weg. Fürst Bülow ist wegen der
parlamentarischen Vorkommnisse gegangen, und ob es gerade notwendig war,
aus diesen Vorgängen die äußersten Folgerungen zu ziehen, darüber zu urteilen
ist er allein zuständig. Die ihn Jahre hindurch wegen seiner „schwächlichen"
äußern und seiner „agrarischen" innern Politik herabgesetzt, die Stimmung ver¬
dorben und die Arbeit nach außen wie nach innen erschwert hatten, haben nun
am meisten zu bedauern, daß er geht. Verlangte es freilich die Lage der äußern
Politik, so würde ihn sein patriotisches Pflichtgefühl unzweifelhaft trotzdem im
Amte erhalten haben. Bei dem Scheitern seiner Pläne im Innern, denen die
Parteipolitiker die Mitwirkung versagten, mag ihn wohl auch die Empfindung
angewandelt haben, der Bismarck in ähnlicher Lage mit den Worten Ausdruck
verlieh: „Ich kann es ebenso gut aushalten wie Sie." In der auswärtigen
Politik stand seine großzügige Diplomatie gerade auf der Höhe des größten Er¬
folges, selbst die, deren wenig beneidenswertes Gewerbe es ist, alles über ihnen
stehende ins Lächerliche zu ziehen, mußten das anerkennen. Als die Ententen¬
politik, die die deutsche Presse mit Vorliebe als „Einkreisungspolitik" mit deut¬
lichen Fingerzeigen auf die Unfähigkeit unsrer Diplomaten bejammerte, auf ihrem
Höhepunkt stand, als sich eine Macht nach der andern anscheinend in den Zauber¬
kreis der Freundlichkeit König Eduards hineinziehen ließ, da pries ihn eine
schmeichlerische und ruhmredige Presse als einen großen Politiker. Dagegen ver¬
mochte nach der in unsern Blättern allgemein zur Schau getragnen Auffassung
natürlich der „ewig lächelnde" Bülow mit seinen angeblichen Zitaten aus Büchmann
nichts auszurichten. O, wie waren wir damals schlecht beraten, und was für
überlegne Diplomaten hatten wir in jeder Nedaktionsstube! Leider waren sie
nicht adlig — was ja bekanntlich in Deutschland notwendig sein soll —, sonst
wären sie damals alle Gesandte, wenn nicht gar Botschafter geworden. Heute
hat sich der imposante Ententenbau als ein hinfälliges Kartenhaus erwiesen,
ein einfaches Wort aus dem Munde des Leiters der deutschen Politik: Deutsch¬
land steht in jedem Falle zu seinem Verbündeten! hat es zum Zusammenklappen
gebracht, alles fiel platt mit zu Boden. Natürlich hatte das Wort bloß geholfen,
weil es nicht im Büchmann stand.

Doch Scherz beiseite! Der Nachlaß Bülows als Ministers des Äußern ist
glänzend; diese Höhe zu wahren, wird jedem Nachfolger wohl eine schwere Auf¬
gabe, aber wenigstens einen leichten Anfang bieten. England wird seiner Ententen¬
spielerei, soweit sie gegen den Dreibund gerichtet ist, schwerlich wieder eine ernste
Spitze geben, um so mehr, da Frankreich sich um britischer Interessen willen
keiner ernsten Gefahr aussetzen und Rußland sein Abkommen mit England bei¬
leibe nicht als gegen Deutschland gerichtet angesehen haben will. Ohne Besorgnis
darf Fürst Bülow vom auswärtigen Dienst zurücktreten, so sehr es auch
das deutsche Volk, bis tief in die Reihen seiner bisherigen Gegner hinein, be¬
trauern wird. Es hat sich schon in den viel größern Verlust des Altreichskanzlers


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/62>, abgerufen am 22.07.2024.