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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Goethe als Freimaurer

Rathaussaale zu Weimar; Goethe wohnte der Festloge zwar nicht bei, ver¬
herrlichte das Fest aber durch drei sinnvolle Gesänge, die der Tonkünstler
Nepomuk Hummel als Logenbruder in Musik setzte; auch Goethes Jubiläum
wurde noch in demselben Jahre auf Veranlassung des Herzogs gefeiert, der
damit zugleich die Erinnerung an des Dichters fünfzigjährige Dienstzeit am
Weimarischen Hofe verband, obgleich Goethe erst 1776 in den Staatsdienst ge¬
treten war. Drei Jahre nach dieser Feierzeit trat für die Loge wieder einmal
ein großer Tag ein: es galt das Gedächtnis an den Großherzog Karl August
zu feiern, der am 14. Juni 1828 auf der Rückreise von Berlin in Grabitz bei
Torgau vom Schlage getroffen in den ewigen Osten eingegangen war. Goethe
sollte den Nekrolog abfassen, aber der achtzigjährige Dichter lehnte jede Teil¬
nahme ab; er konnte in seinem Schmerze nicht einmal persönlich oder schriftlich
der Großherzogin Luise sein Beileid ausdrücken und zog sich nach dem Schlosse
Dornburg zurück, um sein schmerzlich bewegtes Innere durch Fleiß und Zer¬
streuung zu beschwichtigen, wie er selbst schrieb.

Noch einmal kam ein Jubeltag für den Dichter, als die Loge die fünfzig¬
jährige Wiederkehr seines Eintritts in die Freimaurerei im Jahre 1830 feierte.
Persönlich hielt er sich von den Veranstaltungen fern und konnte nicht einmal
die Deputation empfangen, die ihm eine Urkunde über seine Ernennung zum
Ehrenmitgliede der Loge Amalia überbrachte; aber dem Sinne und Geiste nach
war er bei den Brüdern in der Loge Amalia. Vier Monate später starb
Goethes Sohn August in Rom, und die Trauerloge für ihn wurde am 2. De¬
zember 1831 abgehalten; der trauernde Vater freilich mußte fernbleiben. Und
dann kam noch eine Feier, die ihn als Bruder anging: die Trauerloge zu seinem
eignen Tode; sie wurde auf den 9. November 1832 gelegt, und es war den
Brüdern ein heiliges Anliegen, das Gedächtnis Goethes, der zweiundfünfzig
Jahre lang ihr edelster Stolz und anhänglichster Bruder und Mitarbeiter ge¬
wesen war, aufs würdigste zu feiern. Der deputierte Meister Friedrich von
Müller hielt eine (im Anhang VIII abgedruckte) Gedächtnisrede, die in Form
und Inhalt als gleich vollendet bezeichnet werden kann.

Nach diesem äußern Umrisse über Goethes Tätigkeit als Freimaurer kommt
der Verfasser -- er ist Professor in Erfurt -- auf des Dichters Maurer¬
tugenden zu sprechen, namentlich auf seine Aufklärungsbestrebungen, auf seine"?
tätigen Eifer für alles Edle und Hohe, auf die Beständigkeit seiner Freundschaft,
auf seine Verschwiegenheit, seinen Wohltätigkeitssinn und seine Nächstenliebe,
um sodann seine freimaurerischen Gesinnungen an den Dichtungen nachzuweisen,
die nicht direkt mit der Loge zusammenhängen. In jedem großen Dichter
-- sagt Delle -- steckt eigentlich etwas von Freimaurerei, wenn er auch nie
einen Schurz getragen. Dies gilt von Schiller, obwohl er keiner Loge an¬
gehört hat: denn sein ganzes Empfinden und Sehnen, Wirken und Schaffen
steht mit dem, was die königliche Kunst lehrt, im Einklang; stets ist Schiller
für die drei Ideale der Freimaurer eingetreten, für das Wahre, Gute und


Goethe als Freimaurer

Rathaussaale zu Weimar; Goethe wohnte der Festloge zwar nicht bei, ver¬
herrlichte das Fest aber durch drei sinnvolle Gesänge, die der Tonkünstler
Nepomuk Hummel als Logenbruder in Musik setzte; auch Goethes Jubiläum
wurde noch in demselben Jahre auf Veranlassung des Herzogs gefeiert, der
damit zugleich die Erinnerung an des Dichters fünfzigjährige Dienstzeit am
Weimarischen Hofe verband, obgleich Goethe erst 1776 in den Staatsdienst ge¬
treten war. Drei Jahre nach dieser Feierzeit trat für die Loge wieder einmal
ein großer Tag ein: es galt das Gedächtnis an den Großherzog Karl August
zu feiern, der am 14. Juni 1828 auf der Rückreise von Berlin in Grabitz bei
Torgau vom Schlage getroffen in den ewigen Osten eingegangen war. Goethe
sollte den Nekrolog abfassen, aber der achtzigjährige Dichter lehnte jede Teil¬
nahme ab; er konnte in seinem Schmerze nicht einmal persönlich oder schriftlich
der Großherzogin Luise sein Beileid ausdrücken und zog sich nach dem Schlosse
Dornburg zurück, um sein schmerzlich bewegtes Innere durch Fleiß und Zer¬
streuung zu beschwichtigen, wie er selbst schrieb.

Noch einmal kam ein Jubeltag für den Dichter, als die Loge die fünfzig¬
jährige Wiederkehr seines Eintritts in die Freimaurerei im Jahre 1830 feierte.
Persönlich hielt er sich von den Veranstaltungen fern und konnte nicht einmal
die Deputation empfangen, die ihm eine Urkunde über seine Ernennung zum
Ehrenmitgliede der Loge Amalia überbrachte; aber dem Sinne und Geiste nach
war er bei den Brüdern in der Loge Amalia. Vier Monate später starb
Goethes Sohn August in Rom, und die Trauerloge für ihn wurde am 2. De¬
zember 1831 abgehalten; der trauernde Vater freilich mußte fernbleiben. Und
dann kam noch eine Feier, die ihn als Bruder anging: die Trauerloge zu seinem
eignen Tode; sie wurde auf den 9. November 1832 gelegt, und es war den
Brüdern ein heiliges Anliegen, das Gedächtnis Goethes, der zweiundfünfzig
Jahre lang ihr edelster Stolz und anhänglichster Bruder und Mitarbeiter ge¬
wesen war, aufs würdigste zu feiern. Der deputierte Meister Friedrich von
Müller hielt eine (im Anhang VIII abgedruckte) Gedächtnisrede, die in Form
und Inhalt als gleich vollendet bezeichnet werden kann.

Nach diesem äußern Umrisse über Goethes Tätigkeit als Freimaurer kommt
der Verfasser — er ist Professor in Erfurt — auf des Dichters Maurer¬
tugenden zu sprechen, namentlich auf seine Aufklärungsbestrebungen, auf seine»?
tätigen Eifer für alles Edle und Hohe, auf die Beständigkeit seiner Freundschaft,
auf seine Verschwiegenheit, seinen Wohltätigkeitssinn und seine Nächstenliebe,
um sodann seine freimaurerischen Gesinnungen an den Dichtungen nachzuweisen,
die nicht direkt mit der Loge zusammenhängen. In jedem großen Dichter
— sagt Delle — steckt eigentlich etwas von Freimaurerei, wenn er auch nie
einen Schurz getragen. Dies gilt von Schiller, obwohl er keiner Loge an¬
gehört hat: denn sein ganzes Empfinden und Sehnen, Wirken und Schaffen
steht mit dem, was die königliche Kunst lehrt, im Einklang; stets ist Schiller
für die drei Ideale der Freimaurer eingetreten, für das Wahre, Gute und


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[0614] Goethe als Freimaurer Rathaussaale zu Weimar; Goethe wohnte der Festloge zwar nicht bei, ver¬ herrlichte das Fest aber durch drei sinnvolle Gesänge, die der Tonkünstler Nepomuk Hummel als Logenbruder in Musik setzte; auch Goethes Jubiläum wurde noch in demselben Jahre auf Veranlassung des Herzogs gefeiert, der damit zugleich die Erinnerung an des Dichters fünfzigjährige Dienstzeit am Weimarischen Hofe verband, obgleich Goethe erst 1776 in den Staatsdienst ge¬ treten war. Drei Jahre nach dieser Feierzeit trat für die Loge wieder einmal ein großer Tag ein: es galt das Gedächtnis an den Großherzog Karl August zu feiern, der am 14. Juni 1828 auf der Rückreise von Berlin in Grabitz bei Torgau vom Schlage getroffen in den ewigen Osten eingegangen war. Goethe sollte den Nekrolog abfassen, aber der achtzigjährige Dichter lehnte jede Teil¬ nahme ab; er konnte in seinem Schmerze nicht einmal persönlich oder schriftlich der Großherzogin Luise sein Beileid ausdrücken und zog sich nach dem Schlosse Dornburg zurück, um sein schmerzlich bewegtes Innere durch Fleiß und Zer¬ streuung zu beschwichtigen, wie er selbst schrieb. Noch einmal kam ein Jubeltag für den Dichter, als die Loge die fünfzig¬ jährige Wiederkehr seines Eintritts in die Freimaurerei im Jahre 1830 feierte. Persönlich hielt er sich von den Veranstaltungen fern und konnte nicht einmal die Deputation empfangen, die ihm eine Urkunde über seine Ernennung zum Ehrenmitgliede der Loge Amalia überbrachte; aber dem Sinne und Geiste nach war er bei den Brüdern in der Loge Amalia. Vier Monate später starb Goethes Sohn August in Rom, und die Trauerloge für ihn wurde am 2. De¬ zember 1831 abgehalten; der trauernde Vater freilich mußte fernbleiben. Und dann kam noch eine Feier, die ihn als Bruder anging: die Trauerloge zu seinem eignen Tode; sie wurde auf den 9. November 1832 gelegt, und es war den Brüdern ein heiliges Anliegen, das Gedächtnis Goethes, der zweiundfünfzig Jahre lang ihr edelster Stolz und anhänglichster Bruder und Mitarbeiter ge¬ wesen war, aufs würdigste zu feiern. Der deputierte Meister Friedrich von Müller hielt eine (im Anhang VIII abgedruckte) Gedächtnisrede, die in Form und Inhalt als gleich vollendet bezeichnet werden kann. Nach diesem äußern Umrisse über Goethes Tätigkeit als Freimaurer kommt der Verfasser — er ist Professor in Erfurt — auf des Dichters Maurer¬ tugenden zu sprechen, namentlich auf seine Aufklärungsbestrebungen, auf seine»? tätigen Eifer für alles Edle und Hohe, auf die Beständigkeit seiner Freundschaft, auf seine Verschwiegenheit, seinen Wohltätigkeitssinn und seine Nächstenliebe, um sodann seine freimaurerischen Gesinnungen an den Dichtungen nachzuweisen, die nicht direkt mit der Loge zusammenhängen. In jedem großen Dichter — sagt Delle — steckt eigentlich etwas von Freimaurerei, wenn er auch nie einen Schurz getragen. Dies gilt von Schiller, obwohl er keiner Loge an¬ gehört hat: denn sein ganzes Empfinden und Sehnen, Wirken und Schaffen steht mit dem, was die königliche Kunst lehrt, im Einklang; stets ist Schiller für die drei Ideale der Freimaurer eingetreten, für das Wahre, Gute und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/614>, abgerufen am 03.07.2024.