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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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auch bringen muß." Ein schlechter Trost freilich für die armen Sklaven, die
von so erhabnen Dingen wie Kulturfortschritt und Entwicklung keine Ahnung
haben; wissen doch in Sklavenstaaten nicht einmal die Herren etwas davon.
Der unbeteiligte Zuschauer spricht ohne Entzücken und Enthusiasmus: allerlei
Leiden sind eben unvermeidlich, und mit dem vorübergehend notwendig ge-
wesnen, im Orient und in Afrika vielleicht heute noch notwendigen häßlichen
Institut versöhnt ihn einigermaßen die Erwägung, daß ungebildeten Menschen
an Futter und guter Behandlung alles, an Freiheit und Menschenwürde wenig
gelegen ist, daß die genannten beiden Bedürfnisse der Sklaven gar nicht selten
befriedigt werden, und daß überhaupt ihre Lage meist uicht so schrecklich ist,
wie man sie sich gewöhnlich vorstellt; außerdem: daß der Jankee gar nicht
daran denkt, in dem durch einen blutigen Krieg befreiten Nigger die
Menschenwürde anzuerkennen und ihn als seinesgleichen zu behandeln, und
daß die Zahl der Freien, die teils von der Natur teils von der Grausamkeit
und Selbstsucht und dem Unverstande ihrer Mitmenschen Entsetzliches zu leiden
haben, nicht kleiner ist als die der Sklaven. Als eine der wichtigsten
Wirkungen der allmählichen Überwindung der Sklaverei bezeichnet Kohler die
Wertschätzung der Handarbeit, die Anerkennung ihres Adels, zu der sich selbst
ein Aristoteles nicht habe emporschwingen können, der übrigens mit seinem
berühmten Ausspruch vom Weberschiffchen den Kern des Problems getroffen
habe. Der Adel, wird in dem ihm gewidmeten kurzen Abschnitt gesagt, "hat
so lange Daseinsberechtigung, als er dem Fortschritt der Kultur dient. Besteht
der Adel, wie in Indien, aus Menschen höherer Stufe, dann ist nicht nur
eine bevorzugte Stellung gerechtfertigt, sondern es ist auch ein richtiger Grund¬
satz, die rasseverschlechternde Mischung möglichst zu vermeiden." Der Abschnitt
über das Familienrecht wird mit der Bemerkung eingeleitet, daß die Fort¬
pflanzung, und zwar die geeignete Fortpflanzung, natürlich die erste Voraus¬
setzung der Kulturentwicklung sei, eine Wendung, die wiederum die Vorstellung
verrät, als sei der Mensch bloß ein Mittel, Kultur zu schaffen, die Kultur
aber etwas an sich wertvolles, das vom Menschen getrennt gedacht werden
könne und ohne ihn Wert habe. Solchen würden aber nach einer alles Leben
vernichtenden Katastrophe die Überreste der objektiven Kultur wie Bücher,
Kunstwerke und Maschinen nicht mehr haben, weil ja dann niemand mehr da
wäre, der sie bewundern und benutzen könnte, und dem sie darum etwas wert
wären. Umgekehrt ist die Kultur nur wertvoll als das Mittel, die Menschen¬
natur zu entfalten, und das Wertvolle ist der Mensch, der sich in ihrer
Schöpfung und ihrem Genuß betätigt und entfaltet. Aber selbstverständlich
ist es wahr, daß es keine Kultur geben könnte, wenn es keine Menschen gäbe,
und daß für das Menschengeschlecht seine Selbsterhaltung das wichtigste Inter¬
esse, darum auch die Regelung des Familienlebens durchs Recht von der
höchsten Wichtigkeit ist. "Die Fortpflanzungstätigkeit der Menschen ist aber,
der menschlichen Natur entsprechend, mit einem ungeheuern Aufwands von


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auch bringen muß." Ein schlechter Trost freilich für die armen Sklaven, die
von so erhabnen Dingen wie Kulturfortschritt und Entwicklung keine Ahnung
haben; wissen doch in Sklavenstaaten nicht einmal die Herren etwas davon.
Der unbeteiligte Zuschauer spricht ohne Entzücken und Enthusiasmus: allerlei
Leiden sind eben unvermeidlich, und mit dem vorübergehend notwendig ge-
wesnen, im Orient und in Afrika vielleicht heute noch notwendigen häßlichen
Institut versöhnt ihn einigermaßen die Erwägung, daß ungebildeten Menschen
an Futter und guter Behandlung alles, an Freiheit und Menschenwürde wenig
gelegen ist, daß die genannten beiden Bedürfnisse der Sklaven gar nicht selten
befriedigt werden, und daß überhaupt ihre Lage meist uicht so schrecklich ist,
wie man sie sich gewöhnlich vorstellt; außerdem: daß der Jankee gar nicht
daran denkt, in dem durch einen blutigen Krieg befreiten Nigger die
Menschenwürde anzuerkennen und ihn als seinesgleichen zu behandeln, und
daß die Zahl der Freien, die teils von der Natur teils von der Grausamkeit
und Selbstsucht und dem Unverstande ihrer Mitmenschen Entsetzliches zu leiden
haben, nicht kleiner ist als die der Sklaven. Als eine der wichtigsten
Wirkungen der allmählichen Überwindung der Sklaverei bezeichnet Kohler die
Wertschätzung der Handarbeit, die Anerkennung ihres Adels, zu der sich selbst
ein Aristoteles nicht habe emporschwingen können, der übrigens mit seinem
berühmten Ausspruch vom Weberschiffchen den Kern des Problems getroffen
habe. Der Adel, wird in dem ihm gewidmeten kurzen Abschnitt gesagt, „hat
so lange Daseinsberechtigung, als er dem Fortschritt der Kultur dient. Besteht
der Adel, wie in Indien, aus Menschen höherer Stufe, dann ist nicht nur
eine bevorzugte Stellung gerechtfertigt, sondern es ist auch ein richtiger Grund¬
satz, die rasseverschlechternde Mischung möglichst zu vermeiden." Der Abschnitt
über das Familienrecht wird mit der Bemerkung eingeleitet, daß die Fort¬
pflanzung, und zwar die geeignete Fortpflanzung, natürlich die erste Voraus¬
setzung der Kulturentwicklung sei, eine Wendung, die wiederum die Vorstellung
verrät, als sei der Mensch bloß ein Mittel, Kultur zu schaffen, die Kultur
aber etwas an sich wertvolles, das vom Menschen getrennt gedacht werden
könne und ohne ihn Wert habe. Solchen würden aber nach einer alles Leben
vernichtenden Katastrophe die Überreste der objektiven Kultur wie Bücher,
Kunstwerke und Maschinen nicht mehr haben, weil ja dann niemand mehr da
wäre, der sie bewundern und benutzen könnte, und dem sie darum etwas wert
wären. Umgekehrt ist die Kultur nur wertvoll als das Mittel, die Menschen¬
natur zu entfalten, und das Wertvolle ist der Mensch, der sich in ihrer
Schöpfung und ihrem Genuß betätigt und entfaltet. Aber selbstverständlich
ist es wahr, daß es keine Kultur geben könnte, wenn es keine Menschen gäbe,
und daß für das Menschengeschlecht seine Selbsterhaltung das wichtigste Inter¬
esse, darum auch die Regelung des Familienlebens durchs Recht von der
höchsten Wichtigkeit ist. „Die Fortpflanzungstätigkeit der Menschen ist aber,
der menschlichen Natur entsprechend, mit einem ungeheuern Aufwands von


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[0602] Line Rechtsphilosophie auch bringen muß." Ein schlechter Trost freilich für die armen Sklaven, die von so erhabnen Dingen wie Kulturfortschritt und Entwicklung keine Ahnung haben; wissen doch in Sklavenstaaten nicht einmal die Herren etwas davon. Der unbeteiligte Zuschauer spricht ohne Entzücken und Enthusiasmus: allerlei Leiden sind eben unvermeidlich, und mit dem vorübergehend notwendig ge- wesnen, im Orient und in Afrika vielleicht heute noch notwendigen häßlichen Institut versöhnt ihn einigermaßen die Erwägung, daß ungebildeten Menschen an Futter und guter Behandlung alles, an Freiheit und Menschenwürde wenig gelegen ist, daß die genannten beiden Bedürfnisse der Sklaven gar nicht selten befriedigt werden, und daß überhaupt ihre Lage meist uicht so schrecklich ist, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt; außerdem: daß der Jankee gar nicht daran denkt, in dem durch einen blutigen Krieg befreiten Nigger die Menschenwürde anzuerkennen und ihn als seinesgleichen zu behandeln, und daß die Zahl der Freien, die teils von der Natur teils von der Grausamkeit und Selbstsucht und dem Unverstande ihrer Mitmenschen Entsetzliches zu leiden haben, nicht kleiner ist als die der Sklaven. Als eine der wichtigsten Wirkungen der allmählichen Überwindung der Sklaverei bezeichnet Kohler die Wertschätzung der Handarbeit, die Anerkennung ihres Adels, zu der sich selbst ein Aristoteles nicht habe emporschwingen können, der übrigens mit seinem berühmten Ausspruch vom Weberschiffchen den Kern des Problems getroffen habe. Der Adel, wird in dem ihm gewidmeten kurzen Abschnitt gesagt, „hat so lange Daseinsberechtigung, als er dem Fortschritt der Kultur dient. Besteht der Adel, wie in Indien, aus Menschen höherer Stufe, dann ist nicht nur eine bevorzugte Stellung gerechtfertigt, sondern es ist auch ein richtiger Grund¬ satz, die rasseverschlechternde Mischung möglichst zu vermeiden." Der Abschnitt über das Familienrecht wird mit der Bemerkung eingeleitet, daß die Fort¬ pflanzung, und zwar die geeignete Fortpflanzung, natürlich die erste Voraus¬ setzung der Kulturentwicklung sei, eine Wendung, die wiederum die Vorstellung verrät, als sei der Mensch bloß ein Mittel, Kultur zu schaffen, die Kultur aber etwas an sich wertvolles, das vom Menschen getrennt gedacht werden könne und ohne ihn Wert habe. Solchen würden aber nach einer alles Leben vernichtenden Katastrophe die Überreste der objektiven Kultur wie Bücher, Kunstwerke und Maschinen nicht mehr haben, weil ja dann niemand mehr da wäre, der sie bewundern und benutzen könnte, und dem sie darum etwas wert wären. Umgekehrt ist die Kultur nur wertvoll als das Mittel, die Menschen¬ natur zu entfalten, und das Wertvolle ist der Mensch, der sich in ihrer Schöpfung und ihrem Genuß betätigt und entfaltet. Aber selbstverständlich ist es wahr, daß es keine Kultur geben könnte, wenn es keine Menschen gäbe, und daß für das Menschengeschlecht seine Selbsterhaltung das wichtigste Inter¬ esse, darum auch die Regelung des Familienlebens durchs Recht von der höchsten Wichtigkeit ist. „Die Fortpflanzungstätigkeit der Menschen ist aber, der menschlichen Natur entsprechend, mit einem ungeheuern Aufwands von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/602>, abgerufen am 23.07.2024.