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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die militärische Lage in Marokko

ist, wird aus beiden Formationen in die Gefechtskolonne übergegangen, d. h.
der größere Teil der Truppen geht in Masse über und entwickelt sich nach
und nach; zurückbleiben die nichtkombattanten Staffeln unter dem Schutze des
Restes der Truppen.

Die Notwendigkeit, schnelle und entscheidende Hiebe zu führen, die Nasch-
heit, mit der der zumeist berittne Gegner seine Stellungen wechselte, legten
der Infanterie häufig harte Leistungen ans. Märsche von vierzig bis fünfzig
Kilometern mit und von sechzig bis siebzig Kilometern ohne Tornister waren
nicht selten und konnten auch nur von Truppen bewältigt werden, die an
Terrain und Klima gewöhnt waren.

Die Erfahrung, die die Franzosen mit drei Kompagnien berittner In¬
fanterie in Afrika gemacht haben, lehrte, wie die Vedette berichtet, daß es
am besten sei, je zwei Mann immer ein Pferd zuzuweisen, sodaß sich die
Leute stündlich im Gehen und Reiten abwechseln. Auch das Gepäck und ein
drei- bis viertägiger Proviant sind auf dem Reittier verladen. Auf diese
Weise legen die Abteilungen normal fünfzig bis sechzig Kilometer im Tag
zurück, können die Leistung aber auch auf achtzig Kilometer steigern.

Die Gebräuche des Gegners zwangen die Infanterie, ihre Gefechtsweise
einigermaßen zu ändern. So gewähren die Marokkaner ihren verwundeten
Feinden keine Unterkunft, ja im Gegenteil, sie reißen ihnen die Augen aus,
enthaupten und plündern sie. Infolgedessen muß immer dafür gesorgt werden,
daß die Verwundeten und Toten nicht in Feindeshände sielen. Die Angst
hiervor führt zu einer innigen gegenseitigen Unterstützung in Gefahren. Aus
diesem Grunde sowie wegen der ständigen Sorge für den Schutz der Flanken
nahmen die Gefechte anfänglich einen schleppenden Verlauf. Hierzu kamen
noch politische Rücksichten. Man wollte bloß pazifizieren, nicht aber den
Gegner vernichten. Eine Schlacht im europäischen Sinne, bei der sich zwei
Armeen gegenüberstehn und ineinander verbeißen, war nicht möglich, denn die
Marokkaner beschränken sich bloß darauf, kurz zu attackieren und sich dann
rasch wieder zurückzuziehen.

Im ersten Teil des Feldzuges unter General Drude wurden die Kämpfe
weit außerhalb der mittlern Entfernungen eröffnet. Es wurden meist Zugsalven
abgegeben. In der Regel begann das Feuer auf zwölfhundert bis dreizehn¬
hundert, oft aber selbst auf zweitausend Meter. Es war nun selbstverständlich, daß
die Wirkung, noch dazu bei einem so beweglichen Gegner, eine äußerst geringe
war. Andrerseits kann nicht geleugnet werden, daß der moralische Eindruck
des Salvenfeuers gegenüber dem des Einzelfeuers bedeutender war. Auch
wurde ein bestimmter Raum derart bestrichen, daß der Gegner nicht näher
heranzukommen wagte und sein Feuer wirkungslos wurde. Einer Munitions¬
verschwendung konnte vorgebeugt werdeu.

Mit der Übernahme des Befehls über die Operationstruppen durch
General d'Amade trat ein völliger Umschwung in der Gefechtsführung ein.


Die militärische Lage in Marokko

ist, wird aus beiden Formationen in die Gefechtskolonne übergegangen, d. h.
der größere Teil der Truppen geht in Masse über und entwickelt sich nach
und nach; zurückbleiben die nichtkombattanten Staffeln unter dem Schutze des
Restes der Truppen.

Die Notwendigkeit, schnelle und entscheidende Hiebe zu führen, die Nasch-
heit, mit der der zumeist berittne Gegner seine Stellungen wechselte, legten
der Infanterie häufig harte Leistungen ans. Märsche von vierzig bis fünfzig
Kilometern mit und von sechzig bis siebzig Kilometern ohne Tornister waren
nicht selten und konnten auch nur von Truppen bewältigt werden, die an
Terrain und Klima gewöhnt waren.

Die Erfahrung, die die Franzosen mit drei Kompagnien berittner In¬
fanterie in Afrika gemacht haben, lehrte, wie die Vedette berichtet, daß es
am besten sei, je zwei Mann immer ein Pferd zuzuweisen, sodaß sich die
Leute stündlich im Gehen und Reiten abwechseln. Auch das Gepäck und ein
drei- bis viertägiger Proviant sind auf dem Reittier verladen. Auf diese
Weise legen die Abteilungen normal fünfzig bis sechzig Kilometer im Tag
zurück, können die Leistung aber auch auf achtzig Kilometer steigern.

Die Gebräuche des Gegners zwangen die Infanterie, ihre Gefechtsweise
einigermaßen zu ändern. So gewähren die Marokkaner ihren verwundeten
Feinden keine Unterkunft, ja im Gegenteil, sie reißen ihnen die Augen aus,
enthaupten und plündern sie. Infolgedessen muß immer dafür gesorgt werden,
daß die Verwundeten und Toten nicht in Feindeshände sielen. Die Angst
hiervor führt zu einer innigen gegenseitigen Unterstützung in Gefahren. Aus
diesem Grunde sowie wegen der ständigen Sorge für den Schutz der Flanken
nahmen die Gefechte anfänglich einen schleppenden Verlauf. Hierzu kamen
noch politische Rücksichten. Man wollte bloß pazifizieren, nicht aber den
Gegner vernichten. Eine Schlacht im europäischen Sinne, bei der sich zwei
Armeen gegenüberstehn und ineinander verbeißen, war nicht möglich, denn die
Marokkaner beschränken sich bloß darauf, kurz zu attackieren und sich dann
rasch wieder zurückzuziehen.

Im ersten Teil des Feldzuges unter General Drude wurden die Kämpfe
weit außerhalb der mittlern Entfernungen eröffnet. Es wurden meist Zugsalven
abgegeben. In der Regel begann das Feuer auf zwölfhundert bis dreizehn¬
hundert, oft aber selbst auf zweitausend Meter. Es war nun selbstverständlich, daß
die Wirkung, noch dazu bei einem so beweglichen Gegner, eine äußerst geringe
war. Andrerseits kann nicht geleugnet werden, daß der moralische Eindruck
des Salvenfeuers gegenüber dem des Einzelfeuers bedeutender war. Auch
wurde ein bestimmter Raum derart bestrichen, daß der Gegner nicht näher
heranzukommen wagte und sein Feuer wirkungslos wurde. Einer Munitions¬
verschwendung konnte vorgebeugt werdeu.

Mit der Übernahme des Befehls über die Operationstruppen durch
General d'Amade trat ein völliger Umschwung in der Gefechtsführung ein.


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[0598] Die militärische Lage in Marokko ist, wird aus beiden Formationen in die Gefechtskolonne übergegangen, d. h. der größere Teil der Truppen geht in Masse über und entwickelt sich nach und nach; zurückbleiben die nichtkombattanten Staffeln unter dem Schutze des Restes der Truppen. Die Notwendigkeit, schnelle und entscheidende Hiebe zu führen, die Nasch- heit, mit der der zumeist berittne Gegner seine Stellungen wechselte, legten der Infanterie häufig harte Leistungen ans. Märsche von vierzig bis fünfzig Kilometern mit und von sechzig bis siebzig Kilometern ohne Tornister waren nicht selten und konnten auch nur von Truppen bewältigt werden, die an Terrain und Klima gewöhnt waren. Die Erfahrung, die die Franzosen mit drei Kompagnien berittner In¬ fanterie in Afrika gemacht haben, lehrte, wie die Vedette berichtet, daß es am besten sei, je zwei Mann immer ein Pferd zuzuweisen, sodaß sich die Leute stündlich im Gehen und Reiten abwechseln. Auch das Gepäck und ein drei- bis viertägiger Proviant sind auf dem Reittier verladen. Auf diese Weise legen die Abteilungen normal fünfzig bis sechzig Kilometer im Tag zurück, können die Leistung aber auch auf achtzig Kilometer steigern. Die Gebräuche des Gegners zwangen die Infanterie, ihre Gefechtsweise einigermaßen zu ändern. So gewähren die Marokkaner ihren verwundeten Feinden keine Unterkunft, ja im Gegenteil, sie reißen ihnen die Augen aus, enthaupten und plündern sie. Infolgedessen muß immer dafür gesorgt werden, daß die Verwundeten und Toten nicht in Feindeshände sielen. Die Angst hiervor führt zu einer innigen gegenseitigen Unterstützung in Gefahren. Aus diesem Grunde sowie wegen der ständigen Sorge für den Schutz der Flanken nahmen die Gefechte anfänglich einen schleppenden Verlauf. Hierzu kamen noch politische Rücksichten. Man wollte bloß pazifizieren, nicht aber den Gegner vernichten. Eine Schlacht im europäischen Sinne, bei der sich zwei Armeen gegenüberstehn und ineinander verbeißen, war nicht möglich, denn die Marokkaner beschränken sich bloß darauf, kurz zu attackieren und sich dann rasch wieder zurückzuziehen. Im ersten Teil des Feldzuges unter General Drude wurden die Kämpfe weit außerhalb der mittlern Entfernungen eröffnet. Es wurden meist Zugsalven abgegeben. In der Regel begann das Feuer auf zwölfhundert bis dreizehn¬ hundert, oft aber selbst auf zweitausend Meter. Es war nun selbstverständlich, daß die Wirkung, noch dazu bei einem so beweglichen Gegner, eine äußerst geringe war. Andrerseits kann nicht geleugnet werden, daß der moralische Eindruck des Salvenfeuers gegenüber dem des Einzelfeuers bedeutender war. Auch wurde ein bestimmter Raum derart bestrichen, daß der Gegner nicht näher heranzukommen wagte und sein Feuer wirkungslos wurde. Einer Munitions¬ verschwendung konnte vorgebeugt werdeu. Mit der Übernahme des Befehls über die Operationstruppen durch General d'Amade trat ein völliger Umschwung in der Gefechtsführung ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/598>, abgerufen am 23.07.2024.