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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Am lilort Zu den i(atholikentageii

Die nationale Betätigung der Katholiken ist eine Frage, die
offiziell auf den Tagesordnungen der katholischen Generalversammlungen
gar nicht vorkommt. Schon dies ist bezeichnend genug. Ja, wenn es sich
um rein religiöse oder charitative Veranstaltungen handelte, wie dies etwa die
Eucharistischen Kongresse sind oder die Versammlungen geistlicher Kongregationen
und Wohltätigkeitsvereine, dann wäre nichts dagegen einzuwenden, daß man
sich in der nationalen Betätigung zurückhält. Auf Versammlungen aber, wo
über die staatsrechtliche Stellung des Papsttums, über das Verhältnis der
katholischen Kirche zum Staat und die Konfessionalitüt der Volksschule, über
die Förderung der katholischen Presse, die Lösung sozialer Fragen und andre,
das öffentliche Leben berührende Dinge Reden gehalten und Resolutionen
gefaßt werden, da dürften Vortrüge über die vaterländischen Pflichten der
Katholiken keinesfalls fehlen.

Alle Verhandlungen der Katholikentage insbesondre in den öffentlichen
Versammlungen haben den Charakter von Belehrungen der Führer an das
gläubig zuhörende Volk. Die Reden dienen einer bestimmten Aufklärungs¬
arbeit, deren Zweck es ist, die Hörer der idealen Lebensauffassung und den
idealen Lebenszielen, die der Katholik sich stellen, und die er im öffentlichen
.Leben vertreten soll, näher zu bringen, für sie Verständnis zu wecken und zu
deren Verwirklichung im praktischen Leben anzuspornen. Da fragt man sich
doch mit Recht: Spielt denn unter diesen Idealen des katholischen Mannes
die Vaterlandsidee keine Rolle? Sind es die vaterländischen Pflichten nicht
wert, daß das katholische Volk über sie aufgeklärt, zu ihrer Erfüllung ange¬
halten wird? Genügt es hierzu wirklich, wenn gelegentlich in den Reden
auf die gutdeutsche Gesinnung, die die Katholiken hätten, hingewiesen wird,
wenn man die übliche Kaiserhuldigungsdepesche absendet und ihre Erwiderung
mit einem Hoch begrüßt? Diese Frage sich ernstlich vorlegen, heißt meiner
Ansicht nach auch sie mit nein beantworten. Wenn die Katholiken heute in
der staatlichen Beamtenschaft, in den Körperschaften der Selbstverwaltung, in
den führenden Stellungen von Handel und Gewerbe nicht in der Weise ver¬
treten sind, wie es ihnen vermöge ihres Bevölkerungsprozentsatzes zukäme,
dann trägt hieran einen großen Teil der Schuld die durch mehr als ein
halbes Jahrhundert auf den katholischen Generalversammlungen fortgesetzte Ver¬
säumnis der Aufklärung des katholischen Volkes über seine vaterländischen Pflichten.
Wenn sich das Zentrum, ganz im Gegensatz zu den auf den Katholikentagen
besonders in der letzten Zeit mit solcher Emphase verkündeten Versicherungen
von Vaterlandsliebe und Kaisertreue, nicht scheut, mit der Sozialdemokratie
zu paktieren, ja wenn in der Stichwahl Zentrumswähler sogar direkt und
ohne Gegenleistung den Sozialdemokraten unterstützen, dann drängt sich einem
die Frage geradezu auf: Wäre eine solche antinationale Haltung möglich, wenn
von jeher in den Generalversammlungen auf die vaterländische Erziehung der
katholischen Massen mit eiuer nur annähernd ebenso großen Regsamkeit und


Am lilort Zu den i(atholikentageii

Die nationale Betätigung der Katholiken ist eine Frage, die
offiziell auf den Tagesordnungen der katholischen Generalversammlungen
gar nicht vorkommt. Schon dies ist bezeichnend genug. Ja, wenn es sich
um rein religiöse oder charitative Veranstaltungen handelte, wie dies etwa die
Eucharistischen Kongresse sind oder die Versammlungen geistlicher Kongregationen
und Wohltätigkeitsvereine, dann wäre nichts dagegen einzuwenden, daß man
sich in der nationalen Betätigung zurückhält. Auf Versammlungen aber, wo
über die staatsrechtliche Stellung des Papsttums, über das Verhältnis der
katholischen Kirche zum Staat und die Konfessionalitüt der Volksschule, über
die Förderung der katholischen Presse, die Lösung sozialer Fragen und andre,
das öffentliche Leben berührende Dinge Reden gehalten und Resolutionen
gefaßt werden, da dürften Vortrüge über die vaterländischen Pflichten der
Katholiken keinesfalls fehlen.

Alle Verhandlungen der Katholikentage insbesondre in den öffentlichen
Versammlungen haben den Charakter von Belehrungen der Führer an das
gläubig zuhörende Volk. Die Reden dienen einer bestimmten Aufklärungs¬
arbeit, deren Zweck es ist, die Hörer der idealen Lebensauffassung und den
idealen Lebenszielen, die der Katholik sich stellen, und die er im öffentlichen
.Leben vertreten soll, näher zu bringen, für sie Verständnis zu wecken und zu
deren Verwirklichung im praktischen Leben anzuspornen. Da fragt man sich
doch mit Recht: Spielt denn unter diesen Idealen des katholischen Mannes
die Vaterlandsidee keine Rolle? Sind es die vaterländischen Pflichten nicht
wert, daß das katholische Volk über sie aufgeklärt, zu ihrer Erfüllung ange¬
halten wird? Genügt es hierzu wirklich, wenn gelegentlich in den Reden
auf die gutdeutsche Gesinnung, die die Katholiken hätten, hingewiesen wird,
wenn man die übliche Kaiserhuldigungsdepesche absendet und ihre Erwiderung
mit einem Hoch begrüßt? Diese Frage sich ernstlich vorlegen, heißt meiner
Ansicht nach auch sie mit nein beantworten. Wenn die Katholiken heute in
der staatlichen Beamtenschaft, in den Körperschaften der Selbstverwaltung, in
den führenden Stellungen von Handel und Gewerbe nicht in der Weise ver¬
treten sind, wie es ihnen vermöge ihres Bevölkerungsprozentsatzes zukäme,
dann trägt hieran einen großen Teil der Schuld die durch mehr als ein
halbes Jahrhundert auf den katholischen Generalversammlungen fortgesetzte Ver¬
säumnis der Aufklärung des katholischen Volkes über seine vaterländischen Pflichten.
Wenn sich das Zentrum, ganz im Gegensatz zu den auf den Katholikentagen
besonders in der letzten Zeit mit solcher Emphase verkündeten Versicherungen
von Vaterlandsliebe und Kaisertreue, nicht scheut, mit der Sozialdemokratie
zu paktieren, ja wenn in der Stichwahl Zentrumswähler sogar direkt und
ohne Gegenleistung den Sozialdemokraten unterstützen, dann drängt sich einem
die Frage geradezu auf: Wäre eine solche antinationale Haltung möglich, wenn
von jeher in den Generalversammlungen auf die vaterländische Erziehung der
katholischen Massen mit eiuer nur annähernd ebenso großen Regsamkeit und


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[0592] Am lilort Zu den i(atholikentageii Die nationale Betätigung der Katholiken ist eine Frage, die offiziell auf den Tagesordnungen der katholischen Generalversammlungen gar nicht vorkommt. Schon dies ist bezeichnend genug. Ja, wenn es sich um rein religiöse oder charitative Veranstaltungen handelte, wie dies etwa die Eucharistischen Kongresse sind oder die Versammlungen geistlicher Kongregationen und Wohltätigkeitsvereine, dann wäre nichts dagegen einzuwenden, daß man sich in der nationalen Betätigung zurückhält. Auf Versammlungen aber, wo über die staatsrechtliche Stellung des Papsttums, über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat und die Konfessionalitüt der Volksschule, über die Förderung der katholischen Presse, die Lösung sozialer Fragen und andre, das öffentliche Leben berührende Dinge Reden gehalten und Resolutionen gefaßt werden, da dürften Vortrüge über die vaterländischen Pflichten der Katholiken keinesfalls fehlen. Alle Verhandlungen der Katholikentage insbesondre in den öffentlichen Versammlungen haben den Charakter von Belehrungen der Führer an das gläubig zuhörende Volk. Die Reden dienen einer bestimmten Aufklärungs¬ arbeit, deren Zweck es ist, die Hörer der idealen Lebensauffassung und den idealen Lebenszielen, die der Katholik sich stellen, und die er im öffentlichen .Leben vertreten soll, näher zu bringen, für sie Verständnis zu wecken und zu deren Verwirklichung im praktischen Leben anzuspornen. Da fragt man sich doch mit Recht: Spielt denn unter diesen Idealen des katholischen Mannes die Vaterlandsidee keine Rolle? Sind es die vaterländischen Pflichten nicht wert, daß das katholische Volk über sie aufgeklärt, zu ihrer Erfüllung ange¬ halten wird? Genügt es hierzu wirklich, wenn gelegentlich in den Reden auf die gutdeutsche Gesinnung, die die Katholiken hätten, hingewiesen wird, wenn man die übliche Kaiserhuldigungsdepesche absendet und ihre Erwiderung mit einem Hoch begrüßt? Diese Frage sich ernstlich vorlegen, heißt meiner Ansicht nach auch sie mit nein beantworten. Wenn die Katholiken heute in der staatlichen Beamtenschaft, in den Körperschaften der Selbstverwaltung, in den führenden Stellungen von Handel und Gewerbe nicht in der Weise ver¬ treten sind, wie es ihnen vermöge ihres Bevölkerungsprozentsatzes zukäme, dann trägt hieran einen großen Teil der Schuld die durch mehr als ein halbes Jahrhundert auf den katholischen Generalversammlungen fortgesetzte Ver¬ säumnis der Aufklärung des katholischen Volkes über seine vaterländischen Pflichten. Wenn sich das Zentrum, ganz im Gegensatz zu den auf den Katholikentagen besonders in der letzten Zeit mit solcher Emphase verkündeten Versicherungen von Vaterlandsliebe und Kaisertreue, nicht scheut, mit der Sozialdemokratie zu paktieren, ja wenn in der Stichwahl Zentrumswähler sogar direkt und ohne Gegenleistung den Sozialdemokraten unterstützen, dann drängt sich einem die Frage geradezu auf: Wäre eine solche antinationale Haltung möglich, wenn von jeher in den Generalversammlungen auf die vaterländische Erziehung der katholischen Massen mit eiuer nur annähernd ebenso großen Regsamkeit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/592>, abgerufen am 22.07.2024.